Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes stattgegeben, der in eingetragener Lebenspartnerschaft lebt, für den aber eine Zusatzrente wie für ledige Versicherte berechnet worden war. Demnach war die Erforderlichkeit eines Antrags für die günstigere Berechnung erst mit der BVerfG-Entscheidung vom 07.07.2009 erkennbar.
Darum geht es
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes erhalten nach Renteneintritt regelmäßig eine Zusatzversorgung über die VBL. Diese wurde bei Eheleuten nach deren günstigeren Steuerklasse berechnet, wenn sie nach § 56 Abs. 1 Satz 4 der Satzung der VBL in der damals geltenden Fassung (VBLS a. F.) einen entsprechenden Antrag stellten.
Der Beschwerdeführer bezieht seit 1998 eine solche Zusatzrente, der die für Unverheiratete geltende Steuerklasse I/0 zugrunde gelegt worden war. Er begründete im Jahr 2001 eine eingetragene Lebenspartnerschaft, worüber er die VBL im Oktober 2006 unterrichtete, und beantragte 2011 eine Neuberechnung seiner Rente ab dem Zeitpunkt der Verpartnerung wie für Eheleute.
Die VBL leistete daraufhin eine Nachzahlung nur für den Zeitraum ab der Mitteilung über die Verpartnerung, da für die Zeit zuvor ein Antrag fehle. Die Klage auf eine höhere Zusatzrente für die Zeit davor blieb in allen Instanzen ohne Erfolg.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die angegriffenen Urteile verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG, soweit sie für die Zeit vor November 2006 einen Anspruch auf Neuberechnung der Rente unter Verweis auf den fehlenden Antrag verneinen.
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet die allgemeine Gleichbehandlung. Dabei verschärfen sich die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung umso mehr, je weniger die Merkmale, an die sie anknüpft, für die Betroffenen verfügbar sind und je mehr sich diese Merkmale den in dem besonderen Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 3 GG ausdrücklich benannten Merkmalen annähern.
Das ist bei der Ungleichbehandlung von Menschen in einer Ehe und in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft der Fall, denn sie knüpft an das personenbezogene Merkmal der sexuellen Orientierung an. Daher gilt für die Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung zwischen verheirateten und verpartnerten Personen zu rechtfertigen ist, ein strenger Maßstab.
Wenden die Gerichte die Regelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 VBLS a. F., wonach nur auf Antrag für die Zusatzrente die für Ehepaare geltende günstigere Steuerklasse zugrunde gelegt wird, uneingeschränkt auf verpartnerte Versicherte an, benachteiligt das den Beschwerdeführer in nicht gerechtfertigter Weise.
Die Gerichte haben hier verkannt, dass die formal gleiche Anwendung einer Bestimmung auf Lebenssachverhalte, die in diskriminierender Weise ungleich geregelt waren, eine Diskriminierung fortschreiben kann.
Die formale Gleichbehandlung hinsichtlich des erforderlichen Antrags auf Neuberechnung der Zusatzrente bewirkt hier eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung. Zwar scheint es formal gleich, sowohl verheiratete als auch verpartnerte Anspruchsberechtigte an einen Antrag zu binden.
Tatsächlich war die Situation der Betroffenen jedoch in dem hier streitigen Zeitraum in einer Weise unterschiedlich, dass die formale Gleichbehandlung tatsächlich eine Ungleichbehandlung in der Sache bewirkt. Im Unterschied zu Eheleuten konnten verpartnerte Versicherte nach damals geltendem Recht nicht erkennen, dass sie ebenso wie Eheleute einen Antrag hätten stellen müssen.
Die Regelung zum Antragserfordernis galt für sie schon nach dem Wortlaut nicht, denn eine Rentenberechnung auf Grundlage der günstigeren Steuerklasse war nur für Verheiratete vorgesehen. Zudem waren Rechtsprechung und Fachliteratur damals mehrheitlich der Auffassung, eine Gleichstellung zugunsten des Beschwerdeführers mit der Ehe sei nicht geboten.
Geändert hat sich dies erst mit dem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 07.07.2009 (BVerfGE 124, 199). Erst dann war für verpartnerte Versicherte erkennbar, dass eine Regelung, die sich auf Eheleute bezog, auch auf sie Anwendung finden würde, und auch sie einen Antrag stellen müssen, um die daran gebundenen positiven Wirkungen zu erreichen.
Der VBL ist hier nicht vorzuwerfen, sie habe sich treuwidrig verhalten oder es pflichtwidrig unterlassen, verpartnerte Versicherte über die Möglichkeit einer Antragstellung umfassend informiert zu haben. Sie durfte ebenso wie der Beschwerdeführer damals davon ausgehen, dass verpartnerte Versicherte keine Zusatzrenten erhalten würden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass ein aus der damaligen Ungleichbehandlung zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft entstandener Nachteil für die Betroffenen fortgeschrieben werden dürfte. Wird ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot festgestellt, folgt daraus vielmehr grundsätzlich die Verpflichtung, die Rechtslage rückwirkend verfassungsgemäß zu gestalten.
Eine auf den Zeitpunkt der Einführung des Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft zurückwirkende Gleichbehandlung verpartnerter und verheirateter Personen lässt sich nur erreichen, indem auf einen entsprechenden kurz danach gestellten Antrag hin die Rente auch rückwirkend angepasst wird.
Daher kann der Beschwerdeführer hier verlangen, dass seine Versorgungsrente unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III/0 rückwirkend auf den Zeitpunkt der Begründung seiner eingetragenen Lebenspartnerschaft neu berechnet wird.
BVerfG, Beschl. v. 11.12.2019 - 1 BvR 3087/14
Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. 20.12.2019