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Erbrecht, Familienrecht -

Testamentsvollstrecker und Vormund bei minderjährigen Erben

Dieselbe Person kann gleichzeitig Testamentsvollstrecker und Vormund für einen minderjährigen Erben sein. Widerspricht aber der Minderjährige dieser Person, kann das Familiengericht einen Ergänzungspfleger bestellen. In diesem Fall ist dies dann grundsätzlich eine Ermessensentscheidung des zuständigen Gerichts nach § 1779 BGB. Das hat das OLG Hamm entschieden.

Sachverhalt

Verstorben war eine  Mutter, deren Kinder hälftige Vorerben waren. Die Mutter war von ihrem Ehemann, dem Vater der Kinder, geschieden. Weiterer Beteiligter war der Bruder der Erblasserin. Noch vor Abschluss des Scheidungsverfahrens hatte die Erblasserin ein notarielles Testament errichtet. Sie hatte u.a. verfügt, dass die Kinder Vorerben zu 1/2 sein sollen.

Es war ausdrücklich bestimmt, dass der Kindsvater „in keiner Weise auf den Nachlass einwirken soll“, auch nicht bei Minderjährigkeit der Kinder. Ihm soll „in keinem Falle vom Nachlass etwas zufließen“. Darüber hinaus hatte sie ihren Bruder zum Dauertestamentsvollstrecker bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres des jüngsten Kindes benannt. Dieser soll gleichzeitig Vormund nach §§ 1773 ff. BGB sein, sofern nicht dem Kindesvater das Sorgerecht zusteht.

Das Familiengericht hat für die Tochter eine Ergänzungspflegschaft mit den Aufgabenkreis „Wahrnehmung der Rechte des Kindes … gegenüber dem Testamentsvollstrecker“ angeordnet. Zum Ergänzungspfleger war das Jugendamt bestellt worden. Zuvor hatte die (fast volljährige) Tochter im Rahmen einer gerichtlichen Anhörung der Bestellung des Onkels zum Vormund explizit widersprochen. Sie bevorzugte im Hinblick auf Streitigkeiten zwischen ihm und ihrem Vater eine neutrale Stelle.

Zudem erhob der Kindsvater Vorwürfe gegen den Testamentsvollstrecker, dieser habe unnötige Kosten provoziert, seine Auskunftspflichten verletzt und eine Lebensversicherung verschwiegen. Auch habe er nicht zeitnah Rechnung gelegt. Im Gegenzug meinte der Testamentsvollstrecker, der Kindsvater habe sich rechtswidrig verhalten und keinen Trennungs- und Kindesunterhalt gezahlt.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die Beschwerde des als Vormunds benannten Testamentsvollstreckers scheitert; sie ist unbegründet. Die Ergänzungspflegschaft bleibt bestehen.

Nach der Auffassung des Gerichts war zuzugestehen, dass der Erblasserwille der Mutter, die ausdrücklich den Testamentsvollstrecker auch als Vormund nach §§ 1773 ff. BGB benannt hatte, zwar zentrale Bedeutung hat. Letztlich müsse dieser Erblasserwille aber hinter dem Willen der minderjährigen, fast volljährigen Tochter und Erbin zurücktreten.

Insofern ist zunächst umstritten, ob ein Erblasser verbindlich bestimmen könne, dass der Testamentsvollstrecker zugleich Vormund minderjähriger Erben sein solle. Der Senat geht jedoch durchaus davon aus, dass die Erblasserin den Testamentsvollstrecker zugleich wirksam als Vormund für einen minderjährigen Erben betreffend das ererbte Vermögen einsetzen könne. Es führt an, der BGH hat entschieden, ein Elternteil eines minderjährigen Erben könne Testamentsvollstrecker sein, und dieser sei nicht an der gleichzeitigen Ausübung der elterlichen Sorge für den Minderjährigen in Bezug auf das ererbte Vermögen gehindert.

Das OLG Hamm urteilt daher, dass dies mit der hiesigen Situation vergleichbar ist. Daraus folgt, dass der Testamentsvollstrecker hier auch grundsätzlich zugleich Ergänzungspfleger sein kann – und gemäß des Willens der Erblasserin auch sein sollte.

Das OLG Hamm thematisiert zutreffend nicht die Vorwürfe des Kindsvaters, die – wären sie korrekt – auf eine fehlende Eignung für das Amt des Testamentsvollstreckers hindeuten könnten, und auch nicht die Vorwürfe des Testamentsvollstreckers. Vielmehr stellt der Senat darauf ab, dass gemäß des expliziten Wunsches der minderjährigen Erbin, für die ein Ergänzungspfleger bestellt werden könne, eben nicht der Onkel, der gleichzeitig Testamentsvollstrecker sei, tätig werden soll, sondern eine „neutrale Stelle“.

Letztlich stellt der Senat diesen Willen über den Willen der Erblasserin im Hinblick auf §§ 1917 Abs. 1 S. 2, 1778 Abs. 1 Nr. 5 BGB: Eine Person darf bei der Pflegerauswahl ohne ihre Zustimmung nur dann übergangen werden, wenn ein Minderjähriger, der das 14. Lebensjahr vollendet hat, der Bestellung widerspricht. Das ist hier erfolgt. Der Widerspruch steht zwar der Ernennung zum Ergänzungspfleger nach §1779 BGB nicht grundsätzlich entgegen. Gleichwohl eröffnet § 1779 BGB ein Ermessen.

Dieses habe u.a. den mutmaßliche Willen der Eltern (hier: Erblasserin), persönliche Bindungen des Mündels, Nähe der Verwandtschaft und soziale Nähe im Hinblick auf Kontakte zu berücksichtigen. Das Gericht gelangt im Rahmen der Abwägung der einzelnen Gesichtspunkte dazu, dass der Wille der Erblasserin  aufgrund des Widerspruchs ihrer minderjährigen Tochter zurücktreten muss. Diese ist nämlich 17 Jahre und sieben Monate alt und hat sich im Rahmen der Anhörung vor dem Familiengericht orientiert und selbstbestimmt gezeigt und explizit nicht ihren Onkel als Ergänzungspfleger gewünscht.

Folgerungen aus der Entscheidung

Die Entscheidung berührt eine Schnittstelle zwischen Erbrecht und Familienrecht und den noch nicht durch den BGH entschiedenen Streit, ob ein Erblasser wirksam einen Vormund für minderjährige Erben bestimmen kann, der gleichzeitig Testamentsvollstrecker ist. Das OLG Hamm stellt sich gegen seine frühere Rechtsprechung und bejaht diese Frage grundsätzlich. Es räumt aber dem familienrechtlich abgeleiteten Selbstbestimmungsrecht des Mündels im Rahmen des § 1778 BGB, insbesondere § 1778 Abs. 1 Nr. 5 BGB, eine zentrale Bedeutung ein. Dies mag aber dem hiesigen Einzelfall geschuldet sein, da es sich hierbei um eine fast volljährige Erbin handelte.

Außer Betracht lässt die Entscheidung dabei die Einwände, der designierte Vormund habe seine Amtspflichten als Testamentsvollstrecker unzureichend erfüllt. Dabei lässt der Senat offen, ob es diese überhaupt gab und weiterhin, ob – selbst dies unterstellt –  Entsprechendes im hiesigen Verfahren überhaupt beachtlich gewesen wäre.

Im Gegenzug spielt auch die Rechtfertigung des Testamentsvollstreckers in der Entscheidung keine Rolle. Der Widerspruch zwischen Wille der Erblasserin und Wille der minderjährigen Erben über die Person des Ergänzungspflegers eröffnet die Norm des § 1779 BGB und damit eine (schlecht prognostizierbare) Ermessensausübung durch das Gericht, die zugunsten der minderjährigen Erbin ausging.

Praxishinweis

Die Entscheidung führt letztlich zu mehr Einzelfallgerechtigkeit – aber auch zu mehr Rechtsunsicherheit. Liegt ein Fall vor, in dem ein Testamentsvollstrecker gleichzeitig Vormund für einen minderjährigen Erben sein soll, ist dies nach der neuen Entscheidung des OLG Hamm grundsätzlich zulässig. Es mag aber im Einzelfall sein, dass dennoch ein Ergänzungspfleger bestellt werden muss. Dies ist insbesondere gegeben, wenn sich der minderjährige Erbe explizit gegen den Vormund ausspricht (§ 1778 Abs. 1 Nr. 5 BGB). Dann ist grundsätzlich eine Ermessensentscheidung des zuständigen Gerichts nach § 1779 BGB eröffnet.

Dieser Aspekt eröffnet auch Missbrauchsmöglichkeiten: Wirkt ein Dritter, dem der Testamentsvollstrecker als Ergänzungspfleger nicht genehm ist, auf den Minderjährigen ein, dass dieser ein Widerspruch gegen die Person des Ergänzungspflegers ausspricht, eröffnet er dem Gericht eine Ermessensmöglichkeit. Dagegen lässt sich nur steuern, wenn im Rahmen der Ermessensausübung hinreichend Anhaltspunkte vorgetragen werden, dass eine entsprechende Beeinflussung besteht. Dies mag im Einzelfall schwierig sein.

OLG Hamm, Beschl. v. 15.05.2017 - 7 WF 240/16

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Erbrecht Miles B. Bäßler