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Erbrecht, Familienrecht -

Erbstreit: Wann müssen beratende Anwälte als Zeugen aussagen?

Ein Rechtsanwalt, der den Erblasser bei der Testamentserstellung beraten hat, hat nicht unbedingt ein Zeugnisverweigerungsrecht in einem Prozess, in dem sich die Erben über die Auslegung des Testaments streiten. Das hat das OLG München entschieden. Ein Anwalt muss nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden, ob er im Prozess vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht oder aussagt.

Sachverhalt

Zwei Töchter des Erblassers streiten vor Gericht über den Nachlass und die Auslegung eines Testaments. Der Streit geht besonders um die Frage, ob die klagende K Vorausvermächtnisnehmerin über ein Reihenhaus mit Garage in München ist (mit der Folge, dass sie von der beklagten Miterbin B das Objekt zu Alleineigentum verlangen kann, ohne dass sie sich dessen Wert auf ihren restlichen Erbteil anrechnen lassen muss), oder ob sie Miterbin ist, sodass ihr das Objekt im Rahmen einer Teilungsanordnung zusteht (mit der Folge, dass der Wert des Objektes auf ihren Erbteil angerechnet wird).

Rechtsanwalt R hatte unstreitig in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt den Erblasser erbrechtlich beraten, zeitlich danach hatte der Erblasser das gegenständliche privatschriftliche Testament errichtet. K benannte R als Zeugen für den Begünstigungswillen als Vorausvermächtnisnehmerin. Dieser beruft sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht, das sich aus seiner Schweigepflicht als Rechtsanwalt des Erblassers ergäbe (§ 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO).

Tochter B beantragt nach § 387 ZPO, R gerichtlich von seinem Zeugnisverweigerungsrecht zu befreien, weil mutmaßlicher Wille des Erblassers ist, dass R als dessen Rechtsbeistand Auskunft über seinen (des Erblassers) Willen erteilt. R ist anderer Auffassung und argumentiert, der Erblasser habe nicht einmal gewollt, dass Anwaltsschriftsätze zu ihm nach Hause geschickt werden, damit Verwandte von der Korrespondenz keine Kenntnis hätten.

Er habe zwar tatsächlich einen Testamentsentwurf erstellt, ob dieser umgesetzt worden sei, entziehe sich aber seiner Kenntnis. Da zwar die klagende K, nicht aber die Beklagte B ihn (den R) von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden habe, könne er zu den Details der anwaltlichen Beratung keine Aussagen treffen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Das Gericht entschied, dass dem R kein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Zwar sei R der Rechtsanwalt des Erblassers gewesen und unterliege diesen gegenüber der anwaltlichen Schweigepflicht. Danach steht dem Rechtsanwalt grundsätzlich ein Zeugnisverweigerungsrecht in Bezug auf alle Tatsachen zu, die ihm im Rahmen eines Mandatsverhältnisses anvertraut worden sind.

Hierzu muss nicht explizit der Wunsch nach Vertraulichkeit geäußert worden sein. Die Schweigepflicht gilt grundsätzlich auch über den Tod des Mandanten hinaus. Umstritten ist, ob Erben den Geheimnisträger von der Schweigepflicht nach dem Tod des Erblassers entbinden können.

Das OLG München führt insoweit aus, Erben könnten zwar grundsätzlich im Zusammenwirken einen Rechtsanwalt von seiner Schweigepflicht entbinden. Das ist aber hier nicht erfolgt. Unabhängig davon kann die Art der anvertrauten Tatsache es im Rahmen des mutmaßlichen Erblasserwillens gebieten, dass nur derjenige über ihre Offenbarung entscheiden darf, dem sie anvertraut wurde.

So liegt der Fall hier: Der Rechtsanwalt, dem im Rahmen eines Mandatsverhältnisses ein Geheimnis anvertraut wurde, muss nach dem Tod des Mandanten nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden ob er im Zivilprozess nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO von dem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht oder aussagen will. Hier ist die Gefahr der Spannung zwischen dem mutmaßlichen Willen des ehemaligen Mandanten und der Gefahr der eigenen Strafverfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB) gegeben. Zur Entscheidung ist der Erblasserwille heranzuziehen.

Ist dieser nicht konkret geäußert, muss der mutmaßliche Wille des Erblassers erforscht werden. Dabei hat der Geheimnisträger einen letzten Entscheidungsspielraum, der nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Diesen hat er aber nur, wenn er sich nicht nur auf allgemeine Erwägungen zurückzieht.

Er muss also konkret die Art und Weise seiner Ermessensausübung darlegen. Tut er das nicht, ist er schon deswegen nicht schützenswert. Weiter ist zu berücksichtigen, dass R das einzige Beweismittel ist. Und in einer solchen Konstellation ist er gehalten, besonders sorgfältig abzuwägen, ob die Offenbarung seiner Kenntnisse über die Motive und Willen des Erblassers nicht sogar in seinem Interesse ist. Und ein etwaiges Interesse des Erblassers an Geheimhaltung überwiegt.

Folgerungen aus der Entscheidung

Die Entscheidung stellt Kriterien heraus, ob und unter welchen Umständen ein Rechtsanwalt, der einen Erblasser erbrechtlich beraten hat, sich bei einer Vernehmung als Zeuge in einem Streit der Erbprätendenten auf seine anwaltliche Schweigepflicht berufen darf. Das ist grundsätzlich der Fall, gleichwohl muss der Rechtsanwalt über allgemeine Erwägungen hinaus nachvollziehbar begründen, welche Aspekte ihn bewegen, nicht auszusagen.

Erfüllt er diese formalen Kriterien nicht, kann das Gericht ihn zwingen, im Rahmen des §§ 387 ZPO doch seine Aussage zu machen; es kann damit letztlich seine Schweigepflicht im Rahmen des konkreten Erbprozesses aufheben.

Praxishinweis

Die Entscheidung schwächt die Durchsetzung der Schweigepflicht der Anwaltschaft und erleichtert gleichzeitig gerichtliche die Erforschung von Erblassermotiven und dem Erblasserwillen, wenn ein Rechtsanwalt den Erblasser vor dem Tod erbrechtlich beraten hat. Sie ist einerseits nachvollziehbar, weil das Gericht einer gewissen Dichte und Qualität von Tatsachengrundlagen bedarf, um seine Entscheidung zu treffen.

Andererseits sind die Kriterien, die das Gericht aufstellt, schwammig und kaum konkretisierbar. Sie helfen dem Rechtsanwalt in einer entsprechenden Situation nicht wirklich weiter, denn er läuft das Risiko, dass das Gericht seine Überlegungen, warum er das Zeugnis verweigert, als zu allgemein verwirft. Dies ist umso ärgerlicher für den Rechtsanwalt, weil er sich, wenn er zu freimütig Geheimnisse, und sei es im Gerichtsverfahren, ausplaudert, selber einer Strafbarkeit nach § 203 StGB aussetzen kann.

Er wäre gehalten, sich das Einverständnis aller Erben für seine Aussage einzuholen. Erhält er dieses (wie hier) nicht, muss er sich auf diese unklare Rechtslage einlassen. Gleiches dürfte für Steuerberater gelten, die einen Erblasser vor dem Tode beraten haben.

OLG München, Urt. v. 24.10.2018 –31 13 U 1223/15

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Erbrecht Miles B. Bäßler