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Erbrecht, Familienrecht -

„Erbe unbekannt“: Voraussetzungen der Nachlasspflegschaft

Das Nachlassgericht beurteilt zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung, ob ein Erbe „unbekannt“ ist und die weiteren Voraussetzungen für eine Nachlasspflegschaft vorliegen. Ein Sicherungsbedürfnis ist gegeben, wenn ohne Eingreifen des Nachlassgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet ist. Eine Generalvollmacht steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Das hat das OLG München entschieden.

Sachverhalt

Das Nachlassgericht ordnete Nachlasspflegschaft an und bestellte einen Nachlasspfleger. Hiergegen wandte sich eine entfernte Verwandte und legte Beschwerde gegen den Beschluss zur Bestellung des Nachlasspflegers und Anordnung der Nachlasspflegschaft ein. Sie führte aus, sie sei eine Verwandte des Erblassers, und legte einige, aber nicht sämtliche Geburtsurkunden vor, um ihre Verwandtschaft zum Erblasser und damit ihre gesetzliche Erbenstellung gegenüber dem Nachlassgericht zu beweisen.

Sie argumentiert, ihre Erbenstellung wäre damit nachgewiesen worden, weshalb eine der Voraussetzungen einer Nachlasspflegschaft, namentlich unbekannte Erben, nicht gegeben sei. Weiter meint sie, auch die zweite Voraussetzung einer Nachlasspflegschaft, das sogenannte Sicherungsbedürfnis, sei ebenfalls nicht gegeben. Sie war Inhaberin einer Generalvollmacht des Erblassers. Diese galt ausdrücklich im Wortlaut „über den Tod hinaus bis zum Widerruf durch die Erben.“

Der Nachlasspfleger hatte diese Vollmacht widerrufen. Nun meint die entfernte Verwandte, darauf könne es nicht ankommen, weil der Nachlasspfleger ja gar nicht wirksam bestellt worden sei.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Beide Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft lagen vor – und zwar sowohl zum Zeitpunkt der Anordnung der Nachlasspflegschaft als auch zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Grundsätzlich ist der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgeblich für die Beurteilung, ob die entsprechenden Voraussetzungen vorgelegen haben. Das war hier der Fall.

Unstreitig waren Erben der ersten und zweiten Ordnung väterlicherseits und mütterlicherseits nicht vorhanden. Die Beschwerdeführerin hatte als entfernte Verwandte des Erblassers zwar behauptet, sie sei Erbin der dritten Ordnung.

Dies hatte sie allerdings nicht in der ordnungsgemäßen Form nachgewiesen (in einem Erbscheinsverfahren, mit Vorlage aller Geburts- und Sterbeurkunden, die lückenlos nachweisen, dass sie mit dem Erblasser tatsächlich verwandt ist und dass alle der mit dem Erblasser näher verwandten Personen bereits vorverstorben waren). Nur, weil jemand möglicherweise mit dem Erblasser verwandt ist, ist dies kein Grund für ein Nachlassgericht, eine Nachlasspflegschaft abzulehnen, weil es ja noch unbekannte Erben geben könne.

Ein Sicherungsbedürfnis ist dann gegeben, wenn ohne Eingreifen des Nachlassgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet ist. Dies beurteilt sich nach dem Interesse der endgültigen Erben. Es kann fehlen, wenn dringliche Nachlassangelegenheiten von einer bevollmächtigten, handlungsfähigen Person erledigt werden können und missbräuchliche Verfügungen vor Erbscheinserteilung ausgeschlossen sind.

Dies bedeutet, dass allein die Tatsache, dass eine Generalvollmacht vorlag, ein Sicherungsbedürfnis i.S.d. § 1960 BGB nicht ausschließt. Für die beiden anderen Voraussetzungen, nämlich eine Handlungswilligkeit und -fähigkeit sowie ein Ausschluss missbräuchlicher Verfügungen über den Nachlass, die ein Sicherungsbedürfnis verhindern, ist hier nichts ersichtlich und nichts vorgetragen. Daher kommt es nicht darauf an, dass die Generalvollmacht überhaupt widerrufen wurde, und auch nicht, dass sie vom bestellten Nachlasspfleger widerrufen wurde.

Hinzu kommt, dass zentrale Aufgabe eines Nachlasspflegers die Erbenermittlung ist, und ein Sicherungsbedürfnis kann allein noch deswegen gegeben sein, weil Erben zu ermitteln sind. Das ist hier der Fall: Für das Nachlassgericht und auch für das Beschwerdegericht im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung waren Erben nicht nachgewiesen. Eine bloß mögliche Verwandtschaft der Beschwerdeführerin zum Erblasser spielt hierbei keine Rolle. Daher war die Beschwerde unbegründet.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das OLG München räumt dem Nachlassgericht und auch dem Beschwerdegericht, wenn es über die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Nachlasspflegschaft zu befinden hat, ein, schon zeitlich auf die Tatsachen bis zur Entscheidungsfindung abzustellen.

Inhaltlich stellt es klar, dass es der Anordnung der Nachlasspflegschaft nicht entgegensteht, wenn

  • eine Vollmacht (auch eine solche, die über den Tod hinaus gilt) vorliegt, wenn nicht klar ist, dass der Bevollmächtigte überhaupt handeln kann und will, und sichergestellt ist, dass er keine nachlassschädigenden Verfügungen trifft,
  • mögliche Verwandte dem Nachlassgericht/Beschwerdegericht bekannt sind, wenn diese nicht in einer für ein Erbscheinsverfahren notwendigen Form von Geburts- und Sterbeurkunden nachweisen können, dass sie tatsächlich verwandt sind.

Damit ist eine grundsätzlich weite Anwendbarkeit der Anordnung einer Nachlasspflegschaft gegeben.

Praxishinweis

Nachlasspflegschaften sind sinnvoll, wenn die Erben tatsächlich nicht bekannt sind und ein Sicherungsbedürfnis besteht. Wenn allerdings Personen für sich in Anspruch nehmen, Erbe zu sein, ist eine einmal angeordnete Nachlasspflegschaft lästig und unnötig kostenträchtig. Die Entscheidung des OLG München macht es schwerer, gegen eine solche angeordnete Nachlasspflegschaft vorzugehen:

Wer für sich in Anspruch nimmt, gesetzlicher Erbe zu sein, muss dies dem Nachlassgericht gegenüber in einer für ein Erbscheinsverfahren notwendigen Form durch Urkunden belegen.
Sogar das Vorhandensein einer Generalvollmacht für eine solche Person ist für sich gesehen kein Grund, von der Anordnung einer Nachlasspflegschaft abzusehen.

Es muss vielmehr vorgetragen und belegt sein, dass der Bevollmächtigte auch handeln kann und will. Zudem muss sichergestellt sein, dass er keine den Nachlass schädigenden, missbräuchlichen Verfügungen vornimmt, die den Erben später nicht genehm sind. Die Hürden sind also hoch, und es ist noch immer unklar, wie genau der Bevollmächtigte nachweisen soll, dass er nicht nachlassschädigend tätig wird.

OLG München, Beschl. v. 16.08.2018 – 31 Wx 145/18

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Erbrecht Miles B. Bäßler