Bei einem „Berliner Testament“ können bereits Forderungen zur Auskunft über den Wert des Nachlasses und damit verbundene Geldforderungen eine bestehende Pflichtteilsstrafklausel auslösen. Dabei kommt es unabhängig vom Wortlaut auf den Empfängerhorizont des überlebenden Ehegatten an und ob hiermit ein „ernsthaftes Verlangen“ ausgedrückt wird. Das hat das OLG Köln entschieden.
Sachverhalt
Der Erblasser verstarb 2017, er war mit der im Jahr 2000 vorverstorbenen B verheiratet. Das Paar hatte drei gemeinsame Kinder. Der Sohn war im Kindesalter vorverstorben, die Tochter F (Beteiligte zu 1) und die Tochter M lebten noch. Die B hatte aus erster Ehe zwei Kinder, Tochter T (Beteiligte zu 2) und Tochter D, die 2014 vorverstorben war und Enkelin S hinterließ.
Im Testament von 1999 setzten sich die Eheleute wechselseitig zu Alleinerben ein. Sie bestimmten zudem: „Nach dem Tode des Längstlebenden von uns sollen unsere vier Kinder F, M, T und D unser Vermögen zu gleichen Teilen erben. Sollte eines unserer Kinder nach dem Tode des Erstversterbenden vom Überlebenden seinen Pflichtteil fordern, so soll es auch nach dem Tode des Überlebenden auf den Pflichtteil beschränkt bleiben.“
Nachdem die B verstarb, machte deren Tochter T Auskunftsansprüche bezüglich ihres Pflichtteilsanspruchs geltend. Der Erblasser erteilte Auskunft. Daraufhin errechnete der Rechtsanwalt der Tochter T einen Betrag von ca. 10.000 DM Pflichtteil. Er schrieb den Erblasser wie folgt an:
„Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, dass Sie meiner Mandantin ohne dass nunmehr formal ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird, einen Betrag von DM 10.000,00 zahlen und dieser Betrag auf das Erbe meiner Mandantin angerechnet wird. Sollten Sie mit diesem Vorschlag einverstanden sein, bitte ich um Überweisung des Betrages bis zum …. Anderenfalls würde meine Mandantin ihr Pflichtteilsrecht in Anspruch nehmen.“
Diesem Vorschlag stimmte der Erblasser schriftlich zu. Er zahlte fristgerecht 10.000 DM und schrieb als Verwendungszweck der Überweisung „Pflichtteil I“. 2014 verfasste der Erblasser ein neues notarielles Testament, er setzte die Töchter F und M sowie und die Enkelin S zu Erbinnen zu gleichen Teilen mit der Begründung ein, im Hinblick auf die Zahlung wäre er nicht mehr an die Erbeinsetzung der Töchter T, F, M und D gebunden.
Die Tochter F beantragte einen Erbschein, der sie sowie M und S zu Erbinnen zu je 1/3 ausweisen sollte. Die Tochter T hingegen beantragte einen Erbschein, der sie sowie F, M und D als Erbinnen zu je 1/4 ausweisen sollte.
Sie argumentiert, sie hätte keinen Pflichtteil nach der Mutter geltend gemacht, das habe ihr Anwalt seinerzeit ausdrücklich geschrieben. Der Vater hätte nur einen Vergleichsvorschlag angenommen. Die Tochter F unterlag und legte Beschwerde ein.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die Beschwerde war zulässig, aber unbegründet. Die Tochter F hatte durch ihr Gebaren die Pflichtteilsstrafklausel ausgelöst und sich daher als testamentarische Erbin für den zweiten Erbfall disqualifiziert.
So setzt die Wirkung der Pflichtteilsstrafklauseln schon dann ein, wenn ein „ernsthaftes Verlangen“ bezüglich des Pflichtteils dem Grunde nach begehrt wird, unabhängig davon, ob die tatsächlich geschuldete Summe gefordert wird. Deshalb war es unbeachtlich, dass nicht die exakt ermittelte Pflichtteilsforderung, sondern ein annähernd hoher Pauschalbetrag gefordert wurde.
Auch die Tatsache, dass der Rechtsanwalt der Tochter F seinerzeit schrieb, er mache einen Pflichtteilsanspruch nicht formal geltend, ist irrelevant: Das „ernsthafte Verlangen“ muss nicht zwingend einhergehen mit den Worten fordern, begehren, verlangen etc. Es reicht im Rahmen des Empfängerhorizonts des überlebenden Ehegatten aus, dass für diesen eine gewisse Intensität des Begehrens des Pflichtteilsanspruchs erkennbar wird.
Das war hier der Fall. So hatte der Rechtsanwalt der Tochter F in Aussicht gestellt, dass – sollte der Erblasser seinem Vorschlag nicht folgen – die Tochter F ihr Pflichtteilsrecht in Anspruch nehmen werde. Darüber täuscht nicht hinweg, dass er explizit erwähnt hatte, er mache den Pflichtteilsanspruch nicht „formal geltend“.
So hatte der Erblasser im Überweisungstext bei seiner Zahlung explizit dargestellt, er zahle auf den Pflichtteil der Tochter T – er hatte deren Begehr als „ernsthaftes Verlangen“ aufgefasst. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Tochter F einen Anspruch gerichtlich eingeklagt oder auch tatsächlich durchgesetzt hat.
Es reicht die Entäußerung des „ernsthaften Verlangens“ für eine Pflichtteilsstrafklausel wie sie hier formuliert war. Dahinstehen kann, dass die Tochter F ihren Pflichtteil dann auch erhalten hat, denn die Pflichtteilsklausel wirkt bereits, wenn der Pflichtteilsberechtigte das besagte „ernsthafte Verlangen“ formuliert. Das war hier der Fall.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die Entscheidung stellt klar, dass eine klassische Pflichtteilsstrafklausel, die darauf abstellt, dass der Pflichtteil „geltend gemacht“ werden muss, zu Lasten der Pflichtteilsberechtigten wirkt.
Es schützt diese nicht, hingegen stärkt sie die Autonomie des Willens der Erblasser, wenn ein „ernsthaftes Verlangen“ des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem überlebenden Ehegatten entäußert wird. Dabei kommt es auf den Wortlaut des Begehrens nicht an. Derjenige, der dieses „ernsthafte Verlangen“ geäußert hat, verliert im zweiten Erbfall, wenn der zweite Ehegatte verstirbt, seine Erbenposition und ist auf den Pflichtteil beschränkt.
Praxishinweis
Möchte ein Pflichtteilsberechtigter, der sich einer Pflichtteilsstrafklausel im Ehegattentestament gegenüber sieht, seinen Pflichtteil einkassieren, ohne sich der „Zurücksetzung“ auf seinen Pflichtteil auszusetzen, ist dies mit der neuen Entscheidung wohl regelmäßig nicht (mehr) möglich. Daher muss auch der Berater auf diese Interpretation der Geltendmachung hinweisen.
Nichts gesagt ist hingegen mit dieser Entscheidung zu Pflichtteilsklauseln, die ihre Wirkung nicht nur an das „Geltendmachen“, sondern an das tatsächliche Erhalten eines Pflichtteils auf gleich welchem Wege (nach außergerichtlicher Aufforderung oder gerichtlicher Geltendmachung) knüpfen. Das zeigt auch: Diese aktuelle Entscheidung gilt nicht pauschal für jede mögliche Pflichtteilsstrafklausel, der Berater muss vielmehr den Wortlaut und die Anknüpfungspunkte der konkreten Pflichtteilsstrafklausel genau prüfen.
OLG Köln, Beschl. v. 27.09.2018 – 2 Wx 314/18
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Erbrecht Miles B. Bäßler