Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass eine Fahrerlaubnis auch dann bei acht oder mehr Punkten entzogen wird, wenn dieser Punktestand bereits bei Verwarnung des Führerscheininhabers vorlag, der Behörde aber noch nicht bekannt war. Eine entsprechende Verringerung des Punktestands greift dann nicht. Das Gericht bestätigte damit eine Abkehr vom sog. Tattagprinzip.
Darum geht es
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis auf der Grundlage des Fahreignungs-Bewertungssystems (§ 4 StVG). Mit Bescheid vom 13.02.2015 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Kläger, der mit Schreiben vom 21.01.2015 wegen des Erreichens von sieben Punkten im Fahreignungsregister verwarnt worden war, die Fahrerlaubnis; er habe mit einer am 10.03.2014 begangenen und mittlerweile auch rechtskräftig geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitung neun Punkte erreicht und damit die Schwelle von acht Punkten überschritten, ab der er gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gelte.
Der hiergegen gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht Regensburg stattgegeben. Im Fall des Klägers seien die in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG vorgesehenen Stufen des Maßnahmenkatalogs (Ermahnung - Verwarnung - Fahrerlaubnisentziehung) nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden; der zur Fahrerlaubnisentziehung führende Verkehrsverstoß sei zum Zeitpunkt der Verwarnung bereits begangen, rechtskräftig geahndet und auch im Fahrerlaubnisregister eingetragen gewesen.
Deshalb verringere sich der Punktestand des Klägers auf sieben Punkte. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dieses Urteil auf die Berufung des Beklagten geändert und die Klage abgewiesen. Eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG trete nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde beim Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 StVG weitere Verkehrsverstöße, die zur nächsten Stufe des Maßnahmenkatalogs - hier der Fahrerlaubnisentziehung - führten, auch bereits bekannt gewesen seien. Hier habe die Fahrerlaubnisbehörde von der am 10.03.2014 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zum Zeitpunkt der Verwarnung noch nichts gewusst.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Der Gesetzgeber hat mit der Reform des Punktesystems und den dazu im Dezember 2014 in Kraft getretenen Änderungen die Warn- und Erziehungsfunktion des gestuften Maßnahmensystems des § 4 Abs. 5 StVG hinter den Schutz der Verkehrssicherheit vor Mehrfachtätern zurücktreten lassen. Ein Fahrerlaubnisinhaber kann nicht mehr mit Erfolg geltend machen, er habe den weiteren Verkehrsverstoß, der zum Überschreiten der Acht-Punkte-Grenze führe, bereits vor der Erteilung der Verwarnung begangen, so dass ihn deren Warnfunktion nicht mehr habe erreichen können.
Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Verwarnung und einer nachfolgenden Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach der geänderten gesetzgeberischen Konzeption - insoweit in bewusster Abkehr vom sogenannten Tattagprinzip - der Kenntnistand, den die Fahrerlaubnisbehörde bei Ergreifen der jeweiligen Maßnahme hat. Gleiches gilt für die Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG.
Auch sie tritt nur ein, wenn der Fahrerlaubnisbehörde die weiteren, zum Erreichen von acht oder mehr Punkten führenden Verkehrsverstöße bereits bei der Verwarnung bekannt waren. Der vom Gesetzgeber vorgenommene „Systemwechsel“ ist verfassungsrechtlich im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot und den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu beanstanden.
BVerwG, Urt. v. 26.01.2017 - 3 C 21.15
Quelle: BVerwG, Pressemitteilung v. 26.01.2017