Das BAG bittet den EuGH um Klarstellung, ob und unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Zahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer bei einer Massenentlassungsanzeige zu berücksichtigen sind. Die Frage, inwieweit Leiharbeitnehmer bei Schwellenwerten mitgezählt werden, stellt sich sowohl im Kündigungsschutzgesetz als auch im Betriebsverfassungsgesetz.
Sachverhalt
In diesem Fall ging es um eine Massenentlassungsanzeige. Der Arbeitgeber ist nach § 17 Abs. 1 KSchG verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er
- in Betrieben mit i.d.R. mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer,
- in Betrieben mit i.d.R.mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern zehn von Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,
- in Betrieben mit i.d.R. mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer
innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Versäumt der Arbeitgeber dies, findet sich in § 18 Abs. 1 KSchG als Konsequenz, dass ohne eine entsprechende Anzeige die Kündigungen nicht wirksam werden.
Der Arbeitgeber des Falls betrieb Bildungseinrichtungen und wollte insgesamt vier der Einrichtungen schließen. Insgesamt wurden zwölf Kündigungen ausgesprochen. Eine Arbeitnehmerin klagte gegen die Kündigung und meinte, die Kündigung wäre unwirksam. Nach ihrer Ansicht wäre eine Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit erforderlich gewesen, die jedoch unterblieben war. Nach ihren Berechnungen gab es 120 Arbeitnehmer und es würden 10 % der Arbeitnehmer entlassen werden.
Der Arbeitgeber meinte dagegen, die vier beschäftigten Leiharbeitnehmer müssten bei Berechnung der Arbeitnehmerzahl mit berücksichtigt werden. Und bei einer Berücksichtigung der vier Leiharbeitnehmer würde kündigungsschutzrechtlich eine Arbeitnehmerzahl von 124 bestehen und davon 10 % sind 12,4 Arbeitnehmer. Eine Massenentlassung wäre damit nicht erforderlich gewesen, da nur zwölf Arbeitnehmer gekündigt worden seien. Und dies seien eben weniger als 10 % gewesen.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Das BAG hat erkannt, dass für die Beantwortung dieser Rechtsfrage der EuGH zuständig ist. Denn die Regelung aus § 17 KSchG über anzeigepflichtige Massenentlassungen dient der Umsetzung der Richtlinie 98/59/EG. Deshalb legte das BAG dem EuGH die Frage vor, ob und unter welchen Voraussetzungen Leiharbeiter bei der Bestimmung der Zahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG zu berücksichtigen sind.
Folgerungen aus der Entscheidung
Es handelt sich um einen äußerst interessanten Beschluss des BAG. In aller Regel versuchen Arbeitgeber, Grenzzahlen gerade nicht zu erreichen und dementsprechend Leiharbeitnehmer nicht mitzuzählen. Hier liegt der Fall genau andersrum. Für den Arbeitgeber ist es äußerst vorteilhaft, wenn die Leiharbeitnehmer mitberücksichtigt werden müssten. Denn dann erreicht er eben nicht die Grenzzahlen für ein Massenentlassungsverfahren.
Praxishinweis
Die rechtsentscheidende Problematik liegt hier im Kündigungsschutzgesetz. Für einen anderen wichtigen Bereich, nämlich den des Betriebsverfassungsgesetzes, ist die Rechtsfrage durch eine Gesetzesänderung bzw. durch das BAG selbst bereits entschieden worden (BAG, Beschl. v. 02.08.2017 – 7 ABR 51/15).
Die Frage, wann Leiharbeitnehmer im Betrieb mitzuzählen sind, war schon häufig Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. So sind beispielsweise Leiharbeitnehmer bei der Anzahl der im Betrieb von der Arbeitsleistung freizustellenden Betriebsratsmitglieder nun mitzuberücksichtigen.
Denn nach § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG in der seit dem 01.04.2017 geltenden Fassung (!) sind Leiharbeitnehmer auch im Entleihbetrieb zu berücksichtigen, wenn Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes eine bestimmte Anzahl an Arbeitnehmern voraussetzen. Daher sind Leiharbeitnehmer bei der nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG maßgeblichen Beschäftigtenanzahl für die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder mitzuzählen.
Im Übrigen hat das BAG für den Bereich des BetrVG auch bereits etwas zur Feststellung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl entschieden: Die Feststellung der Beschäftigtenanzahl erfordert danach sowohl eine rückblickende Betrachtung, für die ein Zeitraum zwischen sechs Monaten und zwei Jahren als angemessen betrachtet wird, als auch eine Prognose, bei der konkrete Unternehmensentscheidungen zu berücksichtigen sind.
Ein Vorbringen des Arbeitgebers, dass der Beschäftigungsstand sich zukünftig reduziere, rechtfertigte nicht die Prognose eines unmittelbaren Rückgangs der Mitarbeiteranzahl. Denn ein Arbeitgeber muss zumindest eine konkrete unternehmerische Entscheidung zum Personalabbau getroffen und dargelegt haben und nicht nur Angaben zu Vorstellungen und Planungen abgeben.
BAG, Beschl. v. 16.11.2017 – 2 AZR 90/17 (A)
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Arno Schrader