Schwangeren Arbeitnehmerinnen darf aufgrund einer Massenentlassung gekündigt werden, wenn der Arbeitgeber die Kündigungsgründe und die sachlichen Kriterien mitteilt, nach denen die zu entlassenden Arbeitnehmerinnen ausgewählt wurden. Das hat der EuGH entschieden. Bei Massenentlassungen gilt eine Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit, maßgeblich ist der Ausspruch der Kündigung.
Sachverhalt
Mit der Arbeitnehmervertretung eines spanischen Unternehmens wurden Verhandlungen über eine Massenentlassung geführt und eine Einigung erzielt. Danach musste auch einer schwangeren Arbeitnehmerin gekündigt werden. In dem Kündigungsschreiben wurde die Kündigung begründet und mitgeteilt, weitgreifende Personalanpassungen seien erforderlich. Es habe ein Bewertungsverfahren gegeben, wonach die Schwangere zu kündigen sei.
Die Arbeitnehmerin erhob dagegen bei dem spanischen Arbeitsgericht Klage. Das Berufungsgericht fragte dann bei dem EuGH nach und wollte wissen, wie es um die Auslegung des Kündigungsverbots zugunsten schwangerer Arbeitnehmerinnen, wie es die Richtlinie 92/85 über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen vorsieht, in Massenentlassungsverfahren i.S.d. Richtlinie 98/59 bestellt ist.
Die Richtlinie 92/85 verbietet nämlich die Kündigung von Arbeitnehmerinnen in der Zeit vom Schwangerschaftsbeginn bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs. Davon ausgenommen sind die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten zulässig sind.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Der EuGH entschied, dass die Richtlinie 92/85 nicht einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin aufgrund einer Massenentlassung zulässig ist. Der EuGH wies zunächst darauf hin, dass eine Kündigung, die wesentlich mit der Schwangerschaft der Betroffenen zusammenhängt, mit dem in dieser Richtlinie vorgesehenen Kündigungsverbot unvereinbar ist.
Dagegen verstößt eine Kündigungsentscheidung in der Zeit vom Schwangerschaftsbeginn bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs aus Gründen, die nichts mit der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19.10.1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz zu tun haben, nicht gegen die Richtlinie 92/85. Voraussetzung ist nur, dass der Arbeitgeber schriftlich berechtigte Kündigungsgründe anführt und die Kündigung der betroffenen schwangeren Arbeitnehmerin nach den betreffenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zulässig ist.
Hierzu ist nach den beiden Richtlinien in ihrer Kombination nur erforderlich, dass der Arbeitgeber
- die nicht in der Person der schwangeren Arbeitnehmerin liegenden Gründe schriftlich darlegt, nach denen er die Massenentlassung vornimmt (also wirtschaftliche, technische oder sich auf Organisation oder Produktion des Unternehmens beziehende Gründe), und
- der betroffenen Arbeitnehmerin die sachlichen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer nennt.
Folgerungen aus der Entscheidung
Ein gutes und richtiges Urteil, das letztendlich seine Entsprechung auch in den Normen findet, die in der Bundesrepublik Deutschland gelten. Natürlich kann einer schwangeren Arbeitnehmerin gekündigt werden, wenn es dafür dringende betriebliche Gründe gibt. Nur ist eben gerade eine Kündigung wegen der Schwangerschaft i.d.R. nicht möglich. Und das ist auch gut so.
Praxishinweis
Das gilt in der Bundesrepublik: Will ein Arbeitgeber innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine größere Anzahl von Arbeitnehmern entlassen, hat er das zuvor der Agentur für Arbeit anzuzeigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG). Die Anzeigepflicht richtet sich nach der Betriebsgröße und der Anzahl der im gleichen Zeitraum geplanten Entlassungen.
Für Entlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen gelten folgende Grenzwerte:
- In Betrieben mit i.d.R. mehr als 20 Arbeitnehmern und weniger als 60 Beschäftigten werden mehr als fünf Arbeitnehmer entlassen.
- In Betrieben mit i.d.R. mehr als 60 Arbeitnehmern und weniger als 500 Beschäftigten werden zehn von 100 der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 entlassen.
- In Betrieben mit i.d.R. mindestens 500 Arbeitnehmern werden mindestens 30 Arbeitnehmer entlassen.
Allerdings ist insoweit zu berücksichtigen, dass den Entlassungen per Kündigung andere Beendigungen der Beschäftigungsverhältnisse, die ein Arbeitgeber veranlasst (wie z.B. ein Aufhebungsvertrag), gleichstehen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass unter Entlassung dabei nach ständiger Rechtsprechung des BAG sowie des EuGH nicht die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstanden wird, sondern vielmehr der Ausspruch der Kündigung maßgeblich ist.
EuGH, Urt. v. 22.02.2018 – C-103/16
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Arno Schrader