Wer in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Kündigung während der gesamten Kündigungsfrist der Arbeit aufgrund von Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit (AU) fernbleibt, kann unter Umständen keine Entgeltfortzahlung beanspruchen. Das hat das LAG Schleswig-Holstein entschieden. Im Streitfall hatte das Gericht den Beweiswert der AU-Bescheinigungen als erschüttert angesehen.
Darum geht es
Die als Pflegeassistentin beschäftigte Klägerin hatte am 04.05.2022 mit Datum 05.05.2022 ein Kündigungsschreiben zum 15.06.2022 verfasst und darin u.a. um die Zusendung einer Kündigungsbestätigung und der Arbeitspapiere an ihre Wohnanschrift gebeten.
Sie bedankte sich für die bisherige Zusammenarbeit und wünschte dem Unternehmen alles Gute. Die Klägerin erschien ab dem 05.05.2022 nicht mehr zur Arbeit und reichte durchgehend bis zum 15.06.2022 und damit genau für sechs Wochen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein.
Die beklagte Arbeitgeberin zahlte keine Entgeltfortzahlung.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die Zahlungsklage blieb anders als beim Arbeitsgericht Lübeck (Urt. v. 23.11.2022 - 5 Ca 973/22) vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein erfolglos.
Das Landesarbeitsgericht verweist zunächst auf den hohen Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
Der Arbeitgeber kann diesen Beweiswert nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt.
Eine Erschütterung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn sich ein Arbeitnehmer in Zusammenhang mit seiner Kündigung einmal zeitlich passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankschreiben lässt.
Das Landesarbeitsgericht hat sich insoweit mit der Entscheidung des BAG vom 08.09.2021 (Az. 5 AZR 149/21) den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in einer Gesamtbetrachtung aller Indizien als erschüttert angesehen.
Demnach kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein, wenn die Krankschreibung aufgrund mehrerer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durchgehend bis zum Ende der Kündigungsfrist andauert, diese punktgenau den maximalen Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen umfasst und sich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, dass der Verfasser von vornherein nicht mehr mit seiner Anwesenheit rechnet.
Im Rahmen der erforderlichen Beweisaufnahme konnte die Klägerin das Gericht nicht von ihrer Arbeitsunfähigkeit überzeugen.
Bei der Beweiswürdigung stellt das Landesarbeitsgericht entscheidend darauf ab, dass nach seiner Überzeugung die Klägerin ihrem Arzt Beschwerden vorgetragen hat, die tatsächlich nicht bestanden haben.
Die Revision ist nicht zugelassen worden.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.
LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 02.05.2023 - 2 Sa 203/22
Quelle: LAG Schleswig-Holstein, Pressemitteilung v. 23.06.2023