Der Arbeitgeber darf nach billigem Ermessen bestimmen, welcher Markt für die Marktüblichkeit der Verzinsung des Versorgungskapitals heranzuziehen ist und welcher konkrete Zinssatz festgelegt wird. Demnach darf sich der Arbeitgeber an einem Zinssatz orientieren, der für risikoarme Finanzanlagen wie deutsche oder französische Staatsanleihen gilt. Das hat das BAG entschieden.
Sachverhalt
Ein Unternehmen hat eine Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossen, nach der die Arbeitnehmer durch Entgeltumwandlung ein Versorgungskapital aufbauen. Diese GBV wird durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung „Auszahlungsrichtlinie“ flankiert. Danach kann das Versorgungskapital im Versorgungsfall nach Wahl des Arbeitnehmers in höchstens zwölf Jahresraten ausgezahlt werden. Das Versorgungskapital, das nach Zahlung der ersten Rate noch nicht ausgezahlt ist, wird vom Unternehmen mit einem von der Höhe der durchschnittlichen Ratenlaufzeit abhängigen, marktüblichen Zinssatz verzinst. Das Unternehmen legt diesen Zinssatz jeweils im Februar vor Auszahlung der ersten Rate für jede Ratenanzahl (zwei bis zwölf Raten) fest. Die Festlegung ist für die Auszahlung aller Raten dieser Versorgungsberechtigten verbindlich.
Im Mai 2011 übersandte das Unternehmen einem der versorgungsberechtigten Arbeitnehmer eine „Versorgungsprognose bAV“. Danach war bei zwölf Raten von einer Verzinsung von 2,54 % auszugehen. Nachdem Vollendung des 65. Lebensjahres am 28.11.2011 betrug das Versorgungskapital des Arbeitnehmers 363.534,48 € . Er entschied sich für die Auszahlung des Kapitals in zwölf Jahresraten.
Unter dem 15.03.2012 sandte das Unternehmen dem Arbeitnehmer einen endgültigen Ratenauszahlungsplan zu. Danach betrug der Zinssatz 0,87 %. Der Arbeitgeber hat bei der Ermittlung des Zinssatzes die Zinsstrukturkurve für deutsche und französische Staatsnullkuponanleihen (Bloomberg Yield Curve) zugrunde gelegt. Der Arbeitnehmer hat eine Verzinsung seines Versorgungskapitals mit 3,55 % p.a. verlangt.
Das ArbG Nürnberg hat die Klage mit Urteil vom 03.12.2013 (4 Ca 3949/13) abgewiesen, das LAG Nürnberg hat die Beklagte auf die Berufung des Klägers mit Urteil vom 09.03.2015 (7 Sa 64/14) zur Zahlung von 4.962,24 € verurteilt und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Auf die (zugelassene) Revision der Beklagten hat das BAG das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die Klage ist insgesamt unbegründet. Die Beklagte ist nach der Auszahlungsrichtlinie verpflichtet, das Versorgungskapital mit einem marktüblichen Zinssatz zu verzinsen, der von der durchschnittlichen Ratenlaufzeit abhängig ist. Die Bestimmung und Festlegung des marktüblichen Zinssatzes erfolgt nach billigem Ermessen i.S.v. § 315 BGB. Dies ergibt die Auslegung der Auszahlungsrichtlinie nach den für Betriebsvereinbarungen maßgeblichen Grundsätzen. Die Auszahlungsrichtlinie enthält keine ausdrückliche Bestimmung, was unter einem „marktüblichen“ Zinssatz zu verstehen ist.
Die Verwendung des unbestimmten Artikels („einem“) zeigt, dass die Betriebsparteien nicht nur die Möglichkeit verschiedener Zinssätze, sondern auch verschiedener Märkte in Betracht gezogen haben. Nach der Auszahlungsrichtlinie kommt der Beklagten bei der Festlegung eines marktüblichen Zinssatzes ein Bestimmungsrecht zu. Dieses erstreckt sich nicht nur auf die Festlegung eines konkreten Zinssatzes, sondern auch auf die Auswahl des Marktes, auf den für die Festsetzung eines konkreten Zinssatzes abgestellt werden soll.
Die Entscheidung der Beklagten, den Zinssatz aus der Zinsstrukturkurve für Nullkuponanleihen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik mit einer Laufzeit von fünfeinhalb Jahren i.H.v. 0,87 % zugrunde zu legen, entspricht der Billigkeit und ist deshalb für den Kläger verbindlich. Bei der Auswahl des marktüblichen Zinses ist maßgebend, dass es im Stadium der Auszahlung des während des Erwerbslebens erarbeiteten Versorgungskapitals nicht mehr um dessen weiteren Aufbau geht. Der Eintritt des Versorgungsfalls stellt eine entscheidende Zäsur dar.
Die Beklagte durfte deshalb für die Bestimmung des maßgeblichen Marktes darauf abstellen, wie ein erreichtes Versorgungskapital sicher anzulegen ist. Dann ist ein Zinssatz als marktüblich anzusehen, der für risikoarme Finanzanlagen zu erwirtschaften ist. Bei deutschen und französischen Staatsanleihen ist von einem äußerst geringen Ausfallrisiko auszugehen. Auch ein Wechselkursrisiko besteht nicht.
Nullkuponanleihen sind eine übliche laufzeitorientierte Anlageform. Aus einer Zinsstrukturkurve lassen sich das kurzfristig und das langfristig erwartete Zinsniveau ableiten, das mit sicheren Anlagen zu erzielen ist. Eine Zinsstrukturkurve ist deshalb geeignet, einen marktüblichen Zins zu bestimmen.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die Entscheidung misst dem Arbeitgeber als Versorgungsschuldner das Recht auf ein Höchstmaß an Sicherheit hinsichtlich des Kapitalerhalts zu. Das BAG verneint hingegen eine Selbstbindung des Arbeitgebers, der ja laut Tatbestand des Berufungsurteils noch im Mai 2011 einen Zinssatz i.H.v. 2,54 % p.a. prognostiziert hatte. Dem Arbeitgeber ist es also möglich, im Rahmen einer Prognose sein Bestimmungsrecht anders auszuüben als bei der endgültigen Entscheidung.
Praxishinweis
Das LAG Nürnberg hatte der Klage mit der Begründung teilweise stattgegeben, das als „marktüblicher Zinssatz“ die Zinsstrukturkurve (Svensson-Methode) für börsennotierte Bundeswertpapiere mit einer Laufzeit von elf Jahren heranzuziehen sei. Danach belaufe sich der Zinssatz im Februar 2012 auf 2,13 % p.a. Das BAG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht damit nicht die Entscheidung des Arbeitnehmers auf deren Billigkeit überprüft, sondern eine eigene Bestimmung vorgenommen hat. Hierin liegt eine typische Verletzung der Vorschriften des § 315 BGB. Den Arbeitnehmern ist anzuraten, für die Bestimmung des „marktüblichen Zinssatzes“ verbindliche Vorgaben zu machen, möglichst einen bestimmten Referenzzinssatz zu bestimmen.
BAG, Urt. v. 30.08.2016 - 3 AZR 272/15
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber