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Arbeitsrecht -

BAG-Urteile: Hinweispflicht für Verjährung und Verfall von Urlaub

Das BAG hat mit zwei Urteilen Verjährung und Verfall von Urlaubsansprüchen geklärt. Demnach hängt der Beginn der Verjährungsfrist von einer Belehrung des Arbeitgebers ab. Bei längerer Erkrankung des Arbeitnehmers hängen Hinweispflicht und der Urlausverfall nach der „15-Monatsfrist“ davon ab, ob und wann der Arbeitnehmer zeitweise gearbeitet hat. Hintergrund der Urteile sind Vorgaben des EuGH.

Verjährung von Urlaubsansprüchen - 9 AZR 266/20 

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt der gesetzlichen Verjährung. Allerdings beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Darum geht es

Der Beklagte beschäftigte die Klägerin vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Beklagte an die Klägerin zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen 3.201,38 € brutto. 

Der weitergehenden Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, kam der Beklagte nicht nach.

Während das Arbeitsgericht die am 06.02.2018 eingereichte Klage - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - abgewiesen hat, sprach das Landesarbeitsgericht der Klägerin 17.376,64 € brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu (LAG Düsseldorf, Urt. v. 21.02.2020 - 10 Sa 180/19). 

Dabei erachtete das Landesarbeitsgericht den Einwand des Beklagten, die geltend gemachten Urlaubsansprüche seien verjährt, für nicht durchgreifend.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des BAG keinen Erfolg. 

Zwar finden die Vorschriften über die Verjährung (§ 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 BGB) auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. 

Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Der Senat hat damit die Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (Az. C-120/21) umgesetzt. 

Nach der Rechtsprechung des EuGH tritt der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurück, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen. 

Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. 

Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole.

Der Beklagte hat die Klägerin nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. 

Die Ansprüche verfielen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) noch konnte der Beklagte mit Erfolg einwenden, der nicht gewährte Urlaub sei bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt. 

Den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs hat die Klägerin innerhalb der Verjährungsfrist von drei Jahren erhoben.

BAG, Urt. v. 20.12.2022 - 9 AZR 266/20

Hinweis: Vorabentscheidungsersuchen des BAG, Beschl. v. 29.09.2020 - 9 AZR 266/20 (A).

Verfall von Urlaub aus gesundheitlichen Gründen - 9 AZR 245/19

Der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, erlischt regelmäßig nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Das folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG.

Darum geht es

Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger ist bei der beklagten Flughafengesellschaft als Frachtfahrer im Geschäftsbereich Bodenverkehrsdienste beschäftigt. 

In der Zeit vom 01.12.2014 bis mindestens August 2019 konnte er wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen und deshalb seinen Urlaub nicht nehmen. 

Mit seiner Klage hat er ua. geltend gemacht, ihm stehe noch Resturlaub aus dem Jahr 2014 zu. Dieser sei nicht verfallen, weil die Beklagte ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (u.a. Hessisches LAG, Urt. v. 07.03.2019 - 9 Sa 145/17). 

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers, die wegen streitiger Urlaubsansprüche aus weiteren Jahren aus prozessualen Gründen zurückzuweisen war, hatte hinsichtlich des Resturlaubs aus dem Jahr 2014 beim BAG überwiegend Erfolg. 

Entgegen der Auffassung der Beklagten verfiel der im Jahr 2014 nicht genommene Urlaub des Klägers nicht allein aus gesundheitlichen Gründen.

Grundsätzlich erlöschen Urlaubsansprüche nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor durch Erfüllung sog. Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. 

Besonderheiten bestehen, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen konnte.

Nach bisheriger BAG-Rechtsprechung gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche in einem solchen Fall - bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit - ohne weiteres mit Ablauf des 31.03. des zweiten Folgejahres unter („15-Monatsfrist“). 

Diese Rechtsprechung hat das BAG in Umsetzung der Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022, (Az. C-518/20 und C-727/20) um die ihn das BAG durch Beschluss vom 07.07.2020 (Az. 9 AZR 401/19 (A)) ersucht hat, weiterentwickelt.

Danach verfällt weiterhin der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. 

Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.

Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer - wie vorliegend der Kläger - im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. 

In dieser Fallkonstellation setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage zu versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.

Der für das Jahr 2014 im Umfang von 24 Arbeitstagen noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch konnte danach nicht allein deshalb mit Ablauf des 31.03.2016 erlöschen, weil der Kläger nach Eintritt seiner vollen Erwerbsminderung mindestens bis August 2019 aus gesundheitlichen Gründen außerstande war, seinen Urlaub anzutreten. 

Der Resturlaub blieb ihm für dieses Jahr vielmehr erhalten, weil die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten bis zum 01.12.2014 nicht nachgekommen ist, obwohl ihr dies möglich war.

BAG, Urt. v. 20.12.2022 - 9 AZR 245/19 

Hinweis: Das BAG hat am 20.12.2022 unter Zugrundelegung der entsprechenden Rechtsgrundsätze die Rechtsache - 9 AZR 401/19 - entschieden, die auf Ersuchen des BAG vom 07.07.2020 ebenfalls Gegenstand der Vorabentscheidung des EuGH (Urt. v. 22.09.2022 - C-518/20 und C-727/20) war. 

Quelle: BAG, Pressemitteilungen v. 20.12.2022

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