BAG, Beschl. v. 14.02.2012 - 3 AZB 59/11
Der Versorgungsempfänger hat nach Anpassung der Betriebsrente gem. § 16 Abs. 3 BetrAVG ein Titulierungsinteresse für die volle Betriebsrente, die der Arbeitgeber künftig zu zahlen hat. Der Streitwert ist deshalb nach der vollen eingeklagten Betriebsrente zu berechnen.
Darum geht es
Der Arbeitnehmer bezieht seit Januar 1995 von der Arbeitgeberin eine Betriebsrente. Die Arbeitgeberin passte die Betriebsrente in der Folgezeit mehrfach nach § 16 BetrAVG an, zuletzt mit Wirkung zum 01.07.2010 auf insgesamt 2.557,04 €. Diesen Betrag zahlte sie ab dem 01.07.2010 monatlich an den Arbeitnehmer aus.{DB:tt_content:2566:bodytext}
Mit Klage vom 08.02.2011 verlangte der Arbeitnehmer die Zahlung rückständiger Betriebsrente für die Zeit von Juli 2010 bis Februar 2011 in Höhe von 135,68 € brutto sowie Zahlung künftiger Leistungen für die Zeit ab März 2011 in Höhe von 2.574 € brutto monatlich. Die Arbeitgeberin beantragte Klageabweisung. Zugleich erkannte sie den Anspruch auf künftige Leistungen in Höhe von monatlich 2.557,04 € brutto unter Protest gegen die Kostenlast an. Im Kammertermin änderte der Arbeitnehmer seine Klageanträge dahin ab, dass er rückständige Betriebsrente für die Zeit von Juli 2010 bis Juni 2011 in Höhe von insgesamt 91,08 € und die Zahlung künftiger Leistungen ab Juli 2011 in Höhe von 2.564,63 € brutto monatlich verlangte. Im Übrigen nahm er die Klage zurück. Mit Urteil vom 21.07.2011 (17 Ca 1022/11) erkannte das Arbeitsgericht Stuttgart in der Hauptsache nach den zuletzt gestellten Anträgen und wies die Kostenlast insgesamt dem Arbeitnehmer zu.
Dieser hat sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er sich allein gegen die Kostenentscheidung wendet. Das Arbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde dem LAG Baden-Württemberg zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde mit Beschluss vom 22.09.2011 (18 Ta 24/11) zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Arbeitnehmer mit seiner Rechtsbeschwerde.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die sofortige Beschwerde des Arbeitnehmers ist gem. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 99 Abs. 2 ZPO statthaft. Das Arbeitsgericht hat den Wert der Beschwerde in der Hauptsache gem. §§ 9, 5 ZPO im Urteil auf 107.805,54 € festgesetzt. Dieser Betrag ist nicht offensichtlich unrichtig. Auch der gem. § 567 Abs. 2 ZPO erforderliche Beschwerdewert wird überschritten. Dieser Wert beläuft sich nach § 42 Abs. 2, Abs. 4 GKG auf den dreifachen Jahresbetrag der ursprünglich geforderten Gesamtrente in Höhe von 2.574 € brutto.
Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich ein Titulierungsinteresse für die volle geschuldete Betriebsrente. Nach § 258 ZPO sind Betriebsrentenzahlungen als wiederkehrende Leistungen schon vor Eintritt der Fälligkeit des jeweiligen Teilanspruchs der Titulierung zugänglich.
Das Titulierungsinteresse schließt die Anwendung von § 93 ZPO jedoch nicht aus. Die Vorschrift erfordert nach ihrem Wortlaut zwar, dass der gesamte Klageanspruch anerkannt wird.
Ausnahmsweise kann jedoch auch ein Teilanerkenntnis die Kostenfolge des § 93 ZPO auslösen. Die Arbeitgeberin kann sich zwar nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie in vertretbarer Würdigung der Umstände der Ansicht sein durfte, dass sie alles, was sie leistet, auch schuldet. Denn sie hat die von ihr zu zahlende Betriebsrente in Abweichung von der ständigen Rechtsprechung berechnet. Deshalb konnte sie nicht annehmen, dass sie die gesamte Schuld erfüllt.
Allerdings bleibt der von der Arbeitgeberin gezahlte und anerkannte Teilbetrag nur geringfügig sowohl hinter der vom Arbeitnehmer ursprünglich geforderten als auch hinter der von der Arbeitgeberin tatsächlich geschuldeten monatlichen Betriebsrente zurück. Zudem hat der Arbeitnehmer seit Juli 2010 die Teilleistungen entgegengenommen. Es ist ihm daher zumutbar gewesen, die Teilleistungen seitens der Arbeitgeberin weiterhin anzunehmen und die Klage auf die darüber hinausgehenden Differenzbeträge zu beschränken. Die Gefahr, dass der Arbeitgeber bei einer entsprechenden Titulierung nur den Differenzbetrag zahlen und sich im Übrigen seiner Leistungspflicht entziehen wird, besteht in einem solchen Fall nicht.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die Bejahung des Titulierungsinteresses für die volle Betriebsrente erhöht den Streitwert für die Anpassung von Betriebsrenten nach § 16 Abs. 3 BetrAVG merklich und macht Anpassungsklagen für Rechtsanwälte wirtschaftlich attraktiver.
Die Entscheidung des BAG steht - vollkommen zu Recht - im Widerspruch zum Beschluss des BGH vom 02.12.2009 (XII ZB 207/08) zu der Kostentragungspflicht bei einem Teilanerkenntnis. Für das Betriebsrentenrecht ist die Interessenabwägung im Fall geringfügiger Streitigkeiten über die Höhe der geschuldeten Rente gegen das Titulierungsinteresse des Versorgungsempfängers gefallen. Andernfalls würde der Arbeitgeber faktisch rechtlos gestellt. Offen ist nur, wann noch Geringfügigkeit vorliegt. Im entschiedenen Fall betrug der geltend gemachte Differenzbetrag 7,59 € monatlich bzw. 0,3 % der tatsächlich geschuldeten, laufenden Rente. Hier muss die Entwicklung der Rechtsprechung beobachtet werden.
Praxishinweis
Die Entscheidung muss jeder Rechtsanwalt, der im Bereich des Betriebsrentenrechts tätig ist, kennen. Insbesondere haftungsrechtlich kann die Entscheidung von Relevanz sein. Läuft der Rechtsanwalt in die neu aufgestellte Geringfügigkeitsfalle, können die Kosten des Rechtsstreits den Wert der erstrittenen Betriebsrentenerhöhung um ein Vielfaches überschreiten - im entschiedenen Fall entsprach der ca. 450- bis 500-fache monatliche Erhöhungsbetrag den RVG-Gebühren für den eigenen Anwalt in der ersten Instanz. Bei der Antragstellung ist also in Zukunft Vorsicht geboten.
Quelle: RA Dr. Martin Kolmhuber - vom 05.06.12