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Folgen vorübergehender Geschäftsunfähigkeit im Prozess

Ein vom Prozessbevollmächtigten abgeschlossener Prozessvergleich ist nicht deshalb unwirksam, weil die im Termin anwesende Partei vorübergehend geschäftsunfähig war.

OLG Celle, Urt. v. 05.08.2009 — 14 U 37/09, DRsp. Nr. 2009/18892

Darum geht es

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs. Dieser war im ersten Rechtszug (erste mündliche Verhandlung am 05.06.2008) zur Gesamtabgeltung aller Schäden des Klägers aus einem Verkehrsunfall geschlossen worden. Der Kläger hatte an der Verhandlung samt Vergleichsschluss persönlich mit seinem damaligen Bevollmächtigten teilgenommen.

Am 17.08.2008 begehrte der Kläger die Wiederaufnahme des Rechtsstreits. Er sei beim Termin aufgrund medikamentöser Beeinflussung geschäftsunfähig i.S.d. § 105 Abs. 2 BGB gewesen, der Vergleich sei mithin unwirksam.

Das Landgericht hat am 02.01.2009 durch Urteil festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Vergleich erledigt ist. Es komme wegen der Bevollmächtigung des aufgetretenen Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 BGB auf eine Geschäftsunfähigkeit des Klägers bei Vergleichsabschluss nicht an. Der Kläger wendet hiergegen ein, dass seine Geschäftsunfähigkeit erst im Anschluss an den Termin vom 05.06.2008 festgestellt werden konnte.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Keine Geschäftsunfähigkeit i.S.v. § 105 Abs. 2 BGB

Der Vergleich ist nicht wegen Geschäftsunfähigkeit des Klägers am 05.06.2008 unwirksam. § 166 Abs. 2 BGB ist nicht anwendbar. Durch diese Norm soll verhindert werden, dass durch die Bevollmächtigung eines arglosen Dritten die gesetzliche Folge der Mangelhaftigkeit eines Rechtsakts umgangen wird. Sie dient dem Schutz des Geschäftspartners und nicht dem Schutz des Vertretenen (so zutreffend OLG Hamm, MDR 2009, 194 und LAG Hessen, Urt. v. 07.07.2006 — 3 Sa 1546/05, DRsp. Nr. 2007/885. Ebenso LG Schweinfurt MDR 1983, 64 m.w.N.).

Deshalb ist der Einwand des Klägers, bei Abschluss des Vergleichs nicht geschäftsfähig gewesen zu sein, unerheblich, da es insoweit auf die — zweifelsfrei gegebene — Geschäftsfähigkeit des Prozessbevollmächtigten ankommt.
Der Kläger bestreitet nicht bei Mandatierung Anfang 2008 eine umfassende Prozessvollmacht erteilt zu haben. Diese wird durch eine spätere Geschäftsunfähigkeit des Klägers als Vollmachtsgeber nicht berührt (§ 86 ZPO). Nach ihrem gesetzlichen Umfang (§ 81 ZPO) war der Prozessbevollmächtigte auch durch Beendigung des Rechtsstreits durch Vergleich ermächtigt. Eine Beschränkung nach § 83 ZPO ist nicht dargelegt worden. Schon deshalb hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.

Keine Unwirksamkeit gem. § 779 BGB

Eine Unwirksamkeit des Vergleichs ist auch nicht wegen § 779 BGB ersichtlich. Es ist nicht dargelegt, dass beide Parteien bei Vergleichsschluss zu Grunde gelegt hätten, eine Entwicklungen wie die vorliegende könne nicht eintreten. Es ist also keine Unkenntnis oder Unsicherheit bezüglich der Sachlage anzunehmen.

Keine Unwirksamkeit wegen Anfechtung

Es fehlt nicht nur an einer entsprechenden Erklärung des Klägers, es fehlt auch an einem Anfechtungsgrund. Eine Täuschung oder Drohung i.S.d. § 123 Abs. 1 BGB ist nicht ersichtlich, ein Inhaltsirrtum gem. § 119 BGB ist schon wegen Versäumung der Anfechtungsfrist (§ 121 BGB) ausgeschlossen.

Vergleich nicht nichtig

Schließlich ist auch kein Missverhältnis zwischen Abfindungssumme und Gesamtschaden erkennbar. Selbst wenn man dieses unterstellen würde, dann hätten die Beklagten die deutliche Willensschwäche des Klägers ausnutzen müssen, um den Tatbestand des § 138 BGB zu erfüllen. Diese war den Beklagten aber auch nach klägerischem Vortrag unbekannt. Außerdem muss sich der Kläger insoweit die Willensfreiheit seines Prozessbevollmächtigten entgegenhalten lassen.

Keine Störung der Geschäftsgrundlage

Ergänzend stützt der Kläger seine Berufung auf den Einwand einer Störung der Geschäftsgrundlage. Auch dies bleibt ohne Erfolg. Soweit es überhaupt noch zu berücksichtigen wäre gem. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO, was vorliegend nicht der Fall ist (s. o. unter § 779 BGB), könnte dies lediglich zu einer Anpassung des Vergleichs führen gem. § 313 Abs. 1 BGB. Die Wirksamkeit des Vergleichs wird hierdurch aber nicht in Frage gestellt.

Quelle: OLG Celle - Urteil vom 05.08.09