Der BGH hat Freisprüche in zwei Fällen ärztlich assistierter Selbsttötungen bestätigt. Der BGH ging jeweils von einem freiverantwortlichen Selbsttötungswillen aus. Beide angeklagten Ärzte waren demnach nach Eintritt der Bewusstlosigkeit nicht zu Rettungsmaßnahmen entgegen des erklärten Willens der Suizidenten verpflichtet. Der neue § 217 StGB war zum Zeitpunkt der Suizide noch nicht in Kraft.
Darum geht es
Das Landgericht Hamburg und das Landgericht Berlin haben jeweils einen angeklagten Arzt von dem Vorwurf freigesprochen, sich in den Jahren 2012 bzw. 2013 durch die Unterstützung von Selbsttötungen sowie das Unterlassen von Maßnahmen zur Rettung der bewusstlosen Suizidentinnen wegen Tötungsdelikten und unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht zu haben.
Nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Hamburg litten die beiden miteinander befreundeten, 85 und 81 Jahre alten suizidwilligen Frauen an mehreren nicht lebensbedrohlichen, aber ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten.
Sie wandten sich an einen Sterbehilfeverein, der seine Unterstützung bei ihrer Selbsttötung von der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit abhängig machte. Dieses erstellte der Angeklagte, ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie.
Er hatte an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche keine Zweifel. Auf Verlangen der beiden Frauen wohnte der Angeklagte der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei und unterließ es auf ihren ausdrücklichen Wunsch, nach Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit Rettungsmaßnahmen einzuleiten.
Das Landgericht Hamburg hat den Angeklagten aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen freigesprochen. Beide Frauen hätten die alleinige Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt. Der Angeklagte sei aufgrund der ihm bekannten Freiverantwortlichkeit der Suizide auch nicht zu ihrer Rettung verpflichtet gewesen.
Anhaltspunkte für eine nach Einnahme der Medikamente eingetretene Änderung des Willens der beiden Frauen konnte das Landgericht nicht feststellen.
Gemäß den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Berlin hatte der Angeklagte als Hausarzt einer Patientin Zugang zu einem in hoher Dosierung tödlich wirkenden Medikament verschafft. Die 44-jährige Frau litt seit ihrer Jugend an einer nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Erkrankung und hatte den Angeklagten - nachdem sie bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen hatte - um Hilfe beim Sterben gebeten.
Der Angeklagte betreute die nach Einnahme des Medikaments Bewusstlose - wie von ihr zuvor gewünscht - während ihres zweieinhalb Tage dauernden Sterbens. Hilfe zur Rettung ihres Lebens leistete er nicht.
Das Landgericht Berlin hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar.
Zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit sei er nicht verpflichtet gewesen. Denn die freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Verstorbenen habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Der 5. („Leipziger“) Strafsenat des BGH hat die Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen und damit die beiden freisprechenden Urteile bestätigt.
Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden.
In beiden Fällen haben die Landgerichte rechtsfehlerfrei keine die Eigenveranwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. Deren Sterbewünsche beruhten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden „Lebensmüdigkeit“ und waren nicht Ergebnis psychischer Störungen.
Beide Angeklagte waren nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens hatte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können.
Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben.
Der Angeklagte im Berliner Verfahren war jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden.
Eine in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht nach § 323c StGB wurde nicht in strafbarer Weise verletzt. Da die Suizide, wie die Angeklagten wussten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, waren Rettungsmaßnahmen entgegen deren Willen nicht geboten.
Am Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) war das Verhalten der Angeklagten wegen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht zu messen, da dieser zur Zeit der Suizide noch nicht in Kraft war.
Dass die Angeklagten mit der jeweiligen Leistung von Hilfe zur Selbsttötung möglicherweise ärztliche Berufspflichten verletzt haben, ist für die Strafbarkeit ihres Verhaltens im Ergebnis nicht von Relevanz.
Die Urteile des Landgerichts Hamburg und des Landgerichts Berlin sind damit rechtskräftig.
BGH, Urteile v. 03.07.2019 - 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18
Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 03.07.2019