Die lebenslange Unscheidbarkeit der Ehe nach kirchlichem Recht kann im Einzelfall mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes und dem deutschem ordre public unvereinbar sein.
Der Bundesgerichtshof hat damit seine Rechtsprechung aus dem Jahre 1964 weiterentwickelt.
Er hatte über den Scheidungsantrag einer syrischen Staatsangehörigen zu entscheiden. Beide Parteien auch der Ehemann ist Syrer lebten seit Jahren getrennt als Asylbewerber in Deutschland und haben eine jetzt zehnjährige Tochter. Der Ehemann gehört einer katholischen, die Ehefrau der syrisch-orthodoxen Kirche an. Sie waren 1993 in Syrien von einem Priester der chaldäischen Kirche getraut worden.
Die Vorinstanzen hatten die Scheidung abgelehnt, weil für die Parteien nach dem hier anzuwendenden syrischen Recht das Ostkirchenrecht maßgeblich sei, nämlich der 1990 von Papst Johannes Paul II. promulgierte Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO). Danach könne die Ehe nicht geschieden werden. Das sei mit der deutschen Rechtsordnung vereinbar, wie der Bundesgerichtshof 1964 in zwei Entscheidungen bestätigt habe. Denn Art. 6 Abs. 1 GG schütze vor allem die bestehende Ehe.
Auf die Revision der Antragstellerin hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung und Verhandlung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen:
Dieses wird zunächst zu prüfen haben, ob die Ehe der Parteien überhaupt wirksam geschlossen wurde. Das richtet sich, da die Religionszugehörigkeit des Ehemannes nicht eindeutig festgestellt ist, aufgrund der Weiterverweisung des syrischen Kollisionsrechts entweder nach dem CCEO oder nach dem Codex Iuris Canonici (CIC). Fehlt es danach an einer der Wirksamkeitsvoraussetzungen nach kanonischem Recht (etwa, weil die Ehe wie hier vor dem Priester einer Kirche geschlossen wurde, der keine der Parteien angehört), wird es bei der Abweisung des Scheidungsantrages verbleiben müssen, da eine in Wirklichkeit nicht bestehende Ehe nicht geschieden werden kann.
Erweist sich die Ehe als wirksam geschlossen, wird zu prüfen sein, ob zumindest die Ehefrau nach Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention Flüchtlingsstatus hatte. Dann wäre sie im Scheidungsverfahren wie eine Deutsche zu behandeln mit der Folge, daß deutsches Recht anzuwenden ist.
Ist dies nicht der Fall, wird das Oberlandesgericht zu prüfen haben, ob die Anwendung des dann einschlägigen kanonischen Rechts im Einzelfall wegen Unvereinbarkeit mit Art. 6 Abs. 1 GG und dem deutschen ordre public außer Betracht bleiben muß.
Insoweit hat der Senat ausgeführt, er halte an seinen vor 42 Jahren ergangenen Entscheidungen nicht mehr fest. Diese seien vor der Eherechtsreform vom 14. Juni 1976 und damit zu einer Zeit ergangen, als eine Ehe auch nach deutschem Recht nur aus Verschulden eines oder beider Ehepartner geschieden werden konnte. Inzwischen habe das Bundesverfassungsgericht mit seiner "Spanierentscheidung" vom 4. Mai 1971 in Fällen mit Auslandsbezug eine stärkere Beachtung der Grundrechte gefordert und betont, Art. 6 Abs. 1 GG schütze auch die Möglichkeit, durch Scheidung die Freiheit zur Eheschließung wiederzuerlangen.
Auch sei der Begriff des ordre public nicht statisch, sondern folge dem Wandel der elementaren Wertvorstellungen der deutschen und zunehmend auch der europäischen Rechtsgemeinschaft. Dieser Wandel zeige sich auch darin, dass es in Europa, soweit ersichtlich, vor staatlichen Gerichten unscheidbare Ehen inzwischen nur noch in Andorra, Malta und dem Vatikanstaat gebe.
Deshalb könne es sich im Einzelfall als nicht hinnehmbar erweisen, einen Ehegatten gegen seinen Willen an einer unheilbar zerrütteten Ehe lebenslang festzuhalten. Insoweit sei gegebenenfalls auch zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin sich andernfalls einen erneuten Kinderwunsch nur um den Preis eines Ehebruchs erfüllen könnte und der Tochter endgültig die Chance genommen würde, mit einem neuen Partner ihrer Mutter in einer durch das Institut der Ehe gefestigten Familie aufzuwachsen.
Quelle: BGH - Pressemitteilung vom 12.10.06