Das Bundesverfassungsgericht hat über das Recht der leiblichen Eltern auf Rückkehr eines zu Behandlungszwecken nach Deutschland eingereisten Kindes entschieden.
Die Gasteltern wollten die Heimreise mit der Begründung verzögern, die Herausnahme des Kindes aus der Gastfamilie zum Zwecke der Rückführung zu seinen leiblichen Eltern würde das Kind in eine Belastungssituation bringen, die zu einer Kindeswohlgefährdung führe.
Sachverhalt:
Der in Afghanistan lebende Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und Vater einer 1992 geborenen Tochter. Das Kind wurde 1999 auf Vermittlung einer humanitären ärztlichen Vereinigung wegen einer Verletzung und Folgeerkrankungen zur Behandlung nach Deutschland geflogen. In der Folgezeit lebte das Kind bei Gasteltern. Auf deren Antrag hin ordnete das Oberlandesgericht an, dass das Mädchen bis Ende des Jahres 2006 dort verbleibe. Zur Begründung führte das Gericht auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens aus, dass eine Herausnahme des Kindes aus der Gastfamilie zum Zwecke der Rückführung zu seinen leiblichen Eltern das Kind in eine Belastungssituation bringen würde, die zu einer Kindeswohlgefährdung führe.
Entscheidung:
Die gegen diese – zwischenzeitlich aufgehobene – Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde des Vaters des Kindes war erfolgreich. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat festgestellt, dass die Entscheidung das Elternrecht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG verletzt hat.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist trotz der zwischenzeitlichen Aufhebung der angegriffenen Entscheidung zur Durchsetzung des Elternrechts geboten. Hätte diese Entscheidung Bestand, so könnten Dritte vom Gebrauch ihres Elternrechts abgehalten werden. Es stünde zu besorgen, dass im Ausland lebende Eltern ihre Kinder jedenfalls deutlich seltener im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen zu Behandlungszwecken nach Deutschland einreisen lassen, weil sie befürchten müssten, dass ihnen ihr Kind selbst bei verantwortungsvollem Erziehungsverhalten entzogen wird.
Das Oberlandesgericht hat die Bedeutung des Elternrechts des Beschwerdeführers verkannt. Allein aus dem Umstand, dass das Kind von einer Gastfamilie aufgenommen wurde, ergibt sich noch kein Pflegeverhältnis im rechtlichen Sinn. Darüber hinaus ist die Gestaltung des Verfahrens verfassungsrechtlich zu beanstanden. Das Gericht hat den afghanischen, mit dem deutschen Rechtssystem offensichtlich nicht vertrauten und nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer weder zu den Lebensverhältnissen der Herkunftsfamilie und zu den persönlichen Lebensperspektiven des Kindes in seinem Heimatland befragt noch anderweitig – etwa durch Einholung eines Berichts des Internationalen Sozialdienstes – hierzu Ermittlungen veranlasst. Zudem wäre eine Eltern- Kind-Exploration durch die Sachverständige erforderlich gewesen, um die Bindungen des Kindes zu seinen leiblichen Eltern verlässlich beurteilen zu können.
Im derzeit bei ihm anhängigen Abänderungsbeschwerdeverfahren wird sich das Oberlandesgericht auch damit auseinanderzusetzen haben, dass ausweislich der Stellungnahme des Landes Nordrhein-Westfalen ein Verbleiben des Kindes in Deutschland nach Vollendung seines 18. Lebensjahres nicht gesichert ist. Insofern wird zu prüfen sein, ob es dem Kind bei zeitnaher Rückführung nach Afghanistan leichter fallen könnte, sich wieder in Afghanistan zu integrieren als im Erwachsenenalter.
Quelle: BVerfG - Pressemitteilung vom 29.09.06