Familienrecht -

Ehebedingter Nachteil bei Fortführung einer vor der Eheschließung aufgenommenen Kinderbetreuung

BGH, Urt. v. 07.03.2012 - XII ZR 25/10

Die geraume Zeit vor der Eheschließung aufgenommene Kinderbetreuung und ein damit verbundener Arbeitsplatzwechsel begründen keinen ehebedingten Nachteil. Die Zeit der vorehelichen Kinderbetreuung ist auch nicht der Ehedauer zuzurechnen.

Darum geht es

Die Parteien sind geschiedene Ehegatten und streiten über die Abänderung des durch Vergleich festgelegten nachehelichen Unterhalts. Seit 1990 lebten sie zusammen und haben zwei gemeinsame Kinder, geboren im April 1990 und im September 1991. Im März 1999 schlossen die Parteien die Ehe. Nachdem sie sich im November 2001 getrennt hatten, wurde die Ehe im Oktober 2003 rechtskräftig geschieden. In einem anlässlich der Scheidung geschlossenen Vergleich verpflichtete sich der Kläger zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 250 €.

Der 1951 geborene Kläger ist seit 2005 wiederverheiratet und seit 2008 Vater eines weiteren Kindes. Seit dessen Geburt ist seine jetzige Ehefrau nicht mehr berufstätig.

Die 1957 geborene Beklagte war bis zur Geburt des zweiten Kindes voll berufstätig. Seit 1992 ist sie angestellte Schulzahnärztin mit einer Wochenarbeitszeit von 19,25 Stunden; außerdem ist sie selbstständig als Gutachterin tätig. Die Kinder wohnten bis August 2006 bei der Beklagten; seitdem wohnt das jüngere beim Kläger.

Der Kläger macht den Wegfall des Unterhaltsanspruchs seit dem 01.01.2006 geltend; die Beklagte hingegen verlangt widerklagend eine Erhöhung des Unterhalts. Strittig ist insbesondere, ob die Beklagte zur Ausübung einer Vollzeittätigkeit gesundheitlich in der Lage und ob der Unterhalt zu befristen ist. Das AG hat der Klage bis August 2006 teilweise stattgegeben, auf die Widerklage aber den Unterhalt seit September 2006 auf 432 € Elementarunterhalt und 108 € Altersvorsorge erhöht. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG den Unterhalt von September 2006 bis Dezember 2009 abweichend festgesetzt, es aber ansonsten bei der Erhöhung belassen. Seit dem 01.01.2010 hat das OLG den Unterhalt wegfallen lassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, dass der Unterhalt schon seit dem 01.01.2006 entfallen soll, aber ohne Erfolg.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das OLG hat den Unterhaltsanspruch teilweise aus § 1573 Abs. 2 BGB und teilweise aus § 1572 BGB hergeleitet. Aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen genüge die Beklagte mit der Teilzeittätigkeit und der zusätzlichen Gutachtertätigkeit ihrer Erwerbsobliegenheit. Soweit der Unterhalt als Krankheitsunterhalt geschuldet werde, komme eine Befristung auf vor dem 31.12.2009 nicht in Betracht.

Das OLG hat schwerpunktmäßig die Frage erörtert, inwieweit voreheliche Kinderbetreuungszeiten für Unterhaltsleistungen anerkannt werden.

Nach Auffassung des OLG stehen die aus der vorehelichen Kindererziehung hervorgegangenen Verflechtungen der Annahme einer Ehe von kurzer Dauer entgegen. Damit hat das OLG ersichtlich die Zeiten der vorehelichen Kindererziehung der Ehedauer gleichgestellt.

§ 1578b Abs. 1 Satz 2 BGB stellt darauf ab, inwiefern "durch die Ehe" Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Bei der Prüfung sind auch solche Nachteile zu berücksichtigen, die infolge der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinsamen Kindes entstanden sind, also ausdrücklich „durch die Ehe" oder „während der Ehe". Jedenfalls eine mehrere Jahre praktizierte voreheliche Kinderbetreuung ist davon jedoch nicht erfasst.

Dementsprechend hat das OLG gefolgert, dass eine mehrere Jahre vor der Eheschließung vollzogene berufliche Veränderung keinen ehebedingten Nachteil begründet, auch wenn diese durch das voreheliche Zusammenleben veranlasst worden war (vgl. BGH, Urt. v. 06.10.2010 - XII ZR 202/08, FamRZ 2010, 1971).

Damit steht im Einklang, dass allein das Zusammenleben in nichtehelicher Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung keine rechtlich gesicherte Position begründet. Ein Unterhaltsanspruch gem. § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB beruht allein auf der Kinderbetreuung (BGH, Urt. v. 16.07.2008 - XII ZR 109/05, FamRZ 2008, 1739). Dagegen ist ein über die Kindesbetreuung hinausgehender Unterhaltsanspruch selbst dann nicht geschuldet, wenn dem Elternteil durch die Betreuung bleibende Nachteile entstanden sind. Denn die spätere Eheschließung wirkt nicht auf die Zeit des vorherigen Zusammenlebens und der Betreuung gemeinschaftlicher Kinder zurück.

Ein ehebedingter Nachteil kann sich allerdings aus der Fortsetzung der Kinderbetreuung nach der Eheschließung ergeben, soweit ein Ehegatte mit Rücksicht auf die Ehe und die übernommene oder fortgeführte Rollenverteilung auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet. Ein Nachteil entsteht dem Ehegatten in diesem Fall, wenn er bei der Eheschließung aufgrund der Rollenverteilung in der Ehe keine (weitergehende) Erwerbstätigkeit aufnimmt und ihm dadurch eine dauerhafte Einkommenseinbuße entsteht.

Auch hier kann die Zeit der vorehelichen Kinderbetreuung und -erziehung aus denselben Gründen nicht der Ehedauer zugeschlagen werden. Denn eine über den Unterhalt nach § 1615l BGB hinausgehende Rechtsposition wird erst durch die Eheschließung begründet.

Quelle: RAin Nicole Seier - vom 06.08.12