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Betreuung nur mit richterlicher Anhörung

Angesichts der mit einer Betreuung verbundenen tiefen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist eine persönliche Anhörung durch das Betreuungsgericht grundsätzlich unverzichtbar - eine Entscheidung nur nach Aktenlage genügt regelmäßig nicht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden und damit die Bedeutung der richterlichen Anhörung im Betreuungsverfahren herausgestellt.

Darum geht es

Nachdem die Beschwerdeführerin im Dezember 2010 im Wege der einstweiligen Anordnung unter vorläufige Betreuung gestellt worden war, beantragte der Betreuer im Juni 2011 beim Amtsgericht eine Verlängerung der einstweiligen Betreuung um sechs Monate. Mit Beschluss vom selben Tag verlängerte das Amtsgericht die Betreuung, ohne die Beschwerdeführerin zuvor anzuhören. Auf erneuten Antrag des Betreuers verlängerte das Amtsgericht im August 2011 die vorläufige Betreuung bis zum 31.10.2011, abermals ohne die Beschwerdeführerin vorher anzuhören. Mit Ablauf des 31.10.2011 endete die einstweilige Betreuung durch Zeitablauf.

Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin beim Amtsgericht die Feststellung, dass der Beschluss über die Verlängerung der Betreuung aus August 2011 sie in ihren Rechten verletzt habe. Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab. Das Landgericht wies die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde zurück, nachdem es zuvor die Beschwerdeführerin persönlich angehört hatte.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG) und ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts über die Verlängerung der Betreuung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Das Recht auf freie und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit sichert jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Die Anordnung einer Betreuung beeinträchtigt dieses Recht, sich in eigenverantwortlicher Gestaltung des eigenen Schicksals frei zu entfalten, denn sie weist Dritten zumindest eine rechtliche und tatsächliche Mitverfügungsgewalt bei Entscheidungen im Leben der Betroffenen zu.

Ein solcher Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn das zuständige Betreuungsgericht nach angemessener Aufklärung des Sachverhalts davon ausgehen darf, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung oder Verlängerung einer Betreuung tatsächlich gegeben sind. Zu den zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen gehört daher die Beachtung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Angesichts der mit einer Betreuung möglicherweise verbundenen tiefen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist eine Anhörung in Form einer persönlichen Anhörung im Angesicht der Betreffenden grundsätzlich unverzichtbar. Die persönliche Anhörung darf nur im Eilfall bei Gefahr im Verzug vorläufig unterbleiben, ist dann aber unverzüglich nachzuholen.

Aufgrund der engen Verbindung zwischen dem für das Betreuungsverfahren als Recht auf persönliche Anhörung ausgestalteten Gehörsrecht und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht liegt in der Anordnung einer Betreuung ohne diese Anhörung nicht nur eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG, sondern zugleich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Durch eine spätere Anhörung kommt eine Heilung damit nicht rückwirkend, sondern nur in Blick auf die Zukunft in Betracht.

Das Amtsgericht hat demgegenüber die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt persönlich angehört. Die vorliegend angegriffene erneute Verlängerung der Betreuung wurde vielmehr ? ebenso wie schon zuvor die Entscheidung über die erste Verlängerung ? zunächst angeordnet, ohne die Beschwerdeführerin auch nur in Kenntnis zu setzen. Auch im Weiteren fehlte es an einer persönlichen Anhörung. Ein Verzicht auf eine Anhörung durch die Beschwerdeführerin kann weder tatsächlich hergeleitet werden noch ist dieser einfachrechtlich begründbar.

Die Gehörsverletzungen konnten auch nicht im Zuge des Verfahrens über die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde geheilt werden. Das Unterbleiben der persönlichen Anhörung begründet die Rechtswidrigkeit der Anordnung der Betreuung. Die nachträgliche Anhörung durch das Beschwerdegericht kann das Unterbleiben der Anhörung durch das Betreuungsgericht nicht rückwirkend heilen.

Der Beschluss des Landgerichts, der ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Gehörsverletzung durch das Amtsgericht verneint, verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv zu machen. Zwar ist es mit diesem Gebot vereinbar, den Rechtsschutz davon abhängig zu machen, dass ein Rechtsschutzinteresse besteht. In Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe kann das Rechtsschutzinteresse jedoch auch dann bejaht werden, wenn die direkte Belastung durch Erledigung des Hoheitsakts entfallen ist, ohne dass die betroffene Person zuvor effektiven Rechtsschutz erlangen konnte. Der Beschluss vom 03.05.2012, in dem das Landgericht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Beschwerdeführerin verneint, verfehlt diese Anforderungen.

BVerfG, Beschl. v. 23.03.2016 - 1 BvR 184/13

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. 04.05.2016