Das OLG Stuttgart hält es für grundsätzlich zulässig, in einem Bußgeldverfahren ein Video zu verwerten, das ein anderer Verkehrsteilnehmer anlasslos mit einer „Dashcam“ aufgenommen hat. Dies gilt nach dem Gericht jedenfalls für die Verfolgung schwerwiegender Verkehrsordnungswidrigkeiten. So ging es im Streitfall um einen Rotlichtverstoß an einer mindestens seit sechs Sekunden rot zeigenden Ampel.
Darum geht es
Das Amtsgericht Reutlingen hatte gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Missachtens des Rotlichts einer Ampel eine Geldbuße von 200 € und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Den Tatnachweis konnte das Amtsgericht allein aufgrund eines Videos führen, das ein anderer Verkehrsteilnehmer zunächst anlasslos mit einer „Dashcam“ aufgenommen hatte.
Als „Dashcam“ wird eine kleine Videokamera auf dem Armaturenbrett oder an der Windschutzscheibe eines Fahrzeugs bezeichnet, die während der Fahrt aufnimmt.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das OLG Stuttgart hat die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt und die Rechtsbeschwerde des Betroffenen verworfen.
Das Gericht hat offen gelassen, ob bzw. unter welchen Umständen die Nutzung einer „Dashcam“ durch einen Verkehrsteilnehmer gegen § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) verstößt, der die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen nur in engen Grenzen zulässt. Denn jedenfalls enthalte § 6b Abs. 3 Satz 2 BDSG kein Beweisverwertungsverbot für das Straf- und Bußgeldverfahren.
Somit folge aus einem (möglichen) Verstoß gegen diese Vorschrift nicht zwingend eine Unverwertbarkeit der Videoaufnahme. Über die Verwertbarkeit sei vielmehr im Einzelfall unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden.
Dass das Amtsgericht im vorliegenden Fall kein Beweisverwertungsverbot angenommen habe, sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Zwar griffen Videoaufnahmen von Verkehrsvorgängen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein. Die Intensität und Reichweite des Eingriffs sei im konkreten Fall jedoch gering.
Insbesondere betreffe ein Video, das lediglich Verkehrsvorgänge dokumentiere und mittelbar die Identifizierung des Betroffenen über das Kennzeichen seines Fahrzeugs ermögliche, nicht den Kernbereich seiner privaten Lebensgestaltung oder seine engere Privat- oder gar Intimsphäre. Im Rahmen der Abwägung seien zudem die hohe Bedeutung der Verfolgung schwerer Verkehrsverstöße für die Sicherheit des Straßenverkehrs und das Gewicht des Verstoßes im Einzelfall zu berücksichtigen.
Der Senat hob zugleich hervor, dass die Bußgeldbehörden ihrerseits bereits bei Verfahrenseinleitung die Verwertbarkeit derartiger Aufnahmen zu prüfen und u. a. die Schwere des Eingriffs gegen die Bedeutung und das Gewicht der angezeigten Ordnungswidrigkeit abzuwägen hätten. Aufgrund des Opportunitätsgrundsatzes (vgl. § 47 OWiG) stehe es den Bußgeldbehörden frei, ein ausschließlich auf der Ermittlungstätigkeit von Privaten mittels „Dashcam“ beruhendes Verfahren nicht weiter zu verfolgen.
Rechtsfragen, die sich beim Einsatz von „Dashcams“ stellen, sind seit einiger Zeit in der – auch zivil- und verwaltungsrechtlichen – Rechtsprechung und Literatur stark umstritten und werden uneinheitlich beantwortet. Auch der 54. Deutsche Verkehrsgerichtstag hatte sich im Januar 2016 mit dieser Thematik befasst. Soweit ersichtlich handelt es sich um die erste obergerichtliche Entscheidung zu dieser Fragestellung. Gegen den Beschluss ist kein weiteres Rechtmittel statthaft.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 04.05.2016 - 4 Ss 543/15
Quelle: OLG Stuttgart, Pressemitteilung v. 18.05.2016