Das Bundesverwaltungsgericht hat beschlossen, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob Regelungen, die die Erhebung von Erschließungsbeiträgen zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage erlauben, mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sind. Auch der Annahme einer allgemeinen Höchstgrenze von 30 Jahren widersprachen die Bundesverwaltungsrichter.
Darum geht es
Der Kläger wendet sich gegen Erschließungsbeitragsbescheide i.H.v. insgesamt mehr als 70 000 €. Er ist Eigentümer mehrerer Grundstücke in einem Gewerbegebiet. Das abgerechnete Teilstück der Straße, an dem diese liegen, wurde bereits 1986 vierspurig erbaut. Die zunächst vorgesehene vierspurige Fortführung wurde 1999 endgültig aufgegeben. Der zweispurige Weiterbau erfolgte sodann 2003/2004.
Erst im Jahr 2007 widmete die Gemeinde den Straßenzug in seiner gesamten Länge dem öffentlichen Verkehr. Die angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheide ergingen im August 2011. Der Einwand des Klägers, 25 Jahre nach Herstellung der seine Grundstücke erschließenden Straße dürften keine Beiträge mehr erhoben werden, blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hielt die Beitragserhebung für rechtmäßig, weil seit dem Eintritt der Vorteilslage noch nicht 30 Jahre vergangen seien und keine besonderen Umstände schon zuvor ein Vertrauen des Klägers darauf begründet hätten, von einem Beitrag verschont zu bleiben.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Bundesverwaltungsgericht ist der Vorinstanz nicht gefolgt.
Das Landesrecht ermöglicht bislang, Erschließungsbeiträge zeitlich unbefristet nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Zwar verjähren Beitragspflichten gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Kommunalabgabengesetzes Rheinland-Pfalz in Verbindung mit §§ 169, 170 der Abgabenordnung in vier Jahren nach Entstehung des Anspruchs.
Der Beginn der Verjährungsfrist setzt damit aber u.a. die öffentliche Widmung der Erschließungsanlage voraus, die auch noch geraume Zeit nach deren Fertigstellung erfolgen kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt eine solche Regelung gegen das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.
Der Gesetzgeber hat danach die Aufgabe, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und der Einzelnen an Rechtssicherheit zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm zwar ein weiter Gestaltungsspielraum zu.
Er darf es aber nicht gänzlich unterlassen, der Abgabenerhebung eine bestimmte zeitliche Grenze zu setzen. Die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Grenze von 30 Jahren nach Eintritt der Vorteilslage entspricht diesen Anforderungen nicht. Denn sie findet keine hinreichende Grundlage in der Rechtsordnung.
Im vorliegenden Fall waren zwischen der tatsächlichen Entstehung des Vorteils - spätestens im Jahr 1999 - und dem Erlass der Beitragsbescheide im Jahr 2011 mehr als 10 Jahre vergangen. Insofern besteht angesichts der in anderen Bundesländern bereits geltenden Vorschriften jedenfalls die Möglichkeit, dass die auch in Rheinland-Pfalz gebotene, aber bisher unvollständige gesetzliche Normierung eine Beitragserhebung hier ausschließen wird.
Weil somit die Entscheidung in dem vorliegenden Revisionsverfahren von der Gültigkeit der beanstandeten Regelung abhängt, musste das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren aussetzen und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen.
BVerwG, Beschl. v. 06.09.2017 - 9 C 5.17
Quelle: BVerwG, Pressemitteilung v. 06.09.2018