Bei der Prüfung, ob ein Betriebsübergang vorliegt, müssen Tatsachen im Rahmen einer Gesamtbewertung berücksichtigt werden. Teilaspekte dürfen dabei nicht isoliert betrachtet werden. Das hat das BAG im Fall eines Rettungsdienstes entschieden. Die Folgen eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB können sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer weitreichend sein.
Sachverhalt
Eine Rettungsassistentin war seit April 2001 bei einem Arbeitgeber beschäftigt, der für den Rettungsdienst in einem Landkreis zuständig war. Der Arbeitgeber betrieb vier Rettungswachen, er beschäftigte 41 Arbeitnehmer und hatte Rettungsfahrzeuge. Auf die Arbeitsverhältnisse fanden die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) Anwendung. Ende 2010 fasste dann der Landkreis den Beschluss, den Rettungsdienst ab Juni 2011 wieder selbst zu übernehmen. Die Mietverträge über die Rettungswachen wurden gekündigt, neue Rettungsfahrzeuge bestellt und die Stellen neu ausgeschrieben.
Insgesamt bewarben sich 70 Arbeitnehmer und der Landkreis übernahm sämtliche 41 Beschäftigte des Rettungsdienst-Unternehmens. Hinzu kamen mehr als zehn neue Stellen, da ein verändertes Schichtmodell durchgeführt werden sollte. Der Landkreis schloss mit allen Beschäftigten neue Arbeitsverträge zum 01.06.2011. Diese Arbeitsverträge beinhalteten eine Probezeit und eine Bezugnahme auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD).
Die neuen Fahrzeuge wurden dann ab dem 01.06.2011 eingesetzt und die alten Fahrzeuge des ursprünglichen Arbeitgebers nicht übernommen. Die Rettungswachen sowie die Einrichtungsgegenstände der Rettungswachen wurden allerdings weiterhin benutzt.
Die nunmehr beim Landkreis beschäftigte Rettungsassistentin war der Auffassung, dass ein Betriebsübergang nach § 613a BGB vorliegen würde. Der Landkreis sei daher in die Rechte und Pflichten aus den bisher bestehenden Arbeitsverträgen eingetreten. Sie wollte also erreichen, dass die alten Arbeitsverträge weiterhin Gültigkeit haben und damit auch keine Probezeit und kein TVöD Anwendung finden. Schließlich klagte sie ihr vermeintliches Recht ein.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Die Rettungsassistentin trieb ihre Klage bis zum BAG. Dort war allerdings Schluss: Sie verlor. Die Richter urteilten, dass kein Betriebsübergang vorlag. Das LAG hatte die Klage zuvor ebenfalls abgewiesen, allerdings mit der Begründung, dass die Betriebsmittel – hier insbesondere die Rettungsfahrzeuge – für den Betrieb des Rettungsdienstes identitätsprägend seien, da deren Einsatz zum eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs gehöre. Das allein reichte allerdings für die Ablehnung eines Betriebsübergangs nicht aus.
Das BAG sagte deutlich, dass eine Gesamtbewertung aller maßgeblichen Kriterien erfolgen muss. Im Ergebnis hatte auch das LAG die Klage zutreffend abgewiesen. Die wirtschaftliche Einheit „Rettungsdienst“ hatte nach dem Inhaberwechsel ihre Identität nicht bewahrt, so das BAG.
Folgerungen aus der Entscheidung
Ein Betriebsübergang oder auch ein Betriebsteilübergang i.S.d. § 613a Abs. 1 BGB liegt vor, wenn ein neuer Rechtsträger eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Ob ein solcher Übergang vorliegt, ist im Rahmen der Gesamtbewertung zu beurteilen. Sämtliche Tatsachen sind zu berücksichtigen. Teilaspekte dürfen gerade nicht nur isoliert betrachtet werden.
Praxishinweis
Bei Betriebsübergängen sind Arbeitnehmer umfassend zu informieren. Darauf sollte der Arbeitgeber im eigenen Interesse achten, aber auch der Betriebsrat. Andernfalls können Arbeitnehmer auch nach Monaten oder vielleicht sogar Jahren widersprechen und ihren alten Arbeitgeber zurückerhalten.
Nach § 613a Abs. 5 BGB sind von einem Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer vom bisherigen Arbeitgeber oder vom neuen Inhaber in Textform zu unterrichten über
- den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
- den Grund für den Übergang,
- die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
- die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
Ziel der Unterrichtung soll es sein, dass der Arbeitnehmer dadurch eine ausreichende Wissensgrundlage erhält. Er soll nämlich entscheiden können, ob er dem Betriebsübergang widersprechen soll oder nicht. Die Textform sichert dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, dass er die für ihn neuen Informationen nachlesen, sich weitergehend erkundigen und ggf. beraten lassen kann, um dann eine Entscheidung zu treffen.
Ist in dem alten Betrieb allerdings kein Arbeitsplatz mehr vorhanden, läuft der Arbeitnehmer nach Ausübung des Widerspruchs Gefahr, eine dann sozial gerechtfertigte betriebsbedingte Kündigung des bisherigen Arbeitgebers zu erhalten. Das gilt es insbesondere auf Arbeitnehmerseite zu berücksichtigen.
Aber eins ist auch klar: Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Nur das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt. So steht es in § 613a Abs. 4 BGB.
BAG, Urt. v. 25.08.2016 - 8 AZR 53/15
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Arno Schrader