Eine tarifvertragliche Regelung, die einen Zuschlag für Nachtarbeit halbiert, wenn diese in einem Schichtsystem geleistet wird, kann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Das hat das BAG entschieden. In einem weiteren Verfahren will das BAG durch den EuGH die Rechtmäßigkeit unterschiedlich hoher Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit klären lassen.
Verfahren 10 AZR 334/20
Die Beklagte betreibt eine Brauerei in Hamburg. Der Kläger leistet dort Schichtarbeit. Nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Brauereien und deren Niederlassungen in Hamburg und Schleswig-Holstein ist für Arbeit in der Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr ein Zuschlag von 25 % zum Stundenentgelt zu zahlen.
Für Nachtarbeit, die in demselben Zeitraum außerhalb eines Schichtsystems erbracht wird, sieht der Tarifvertrag einen Zuschlag von 50 % vor. Der Kläger meint, die Halbierung des Zuschlags für Nachtschichtarbeit widerspreche den gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen.
Danach gehen von regelmäßiger Nachtschichtarbeit erheblich gravierendere Gesundheitsgefahren aus als von gelegentlich geleisteter Nachtarbeit. Mit seiner Klage will der Kläger festgestellt wissen, dass die Beklagte den Zuschlag von 50 % auch für die Nachtschicht zu zahlen hat.
Die Beklagte hält die Tarifnorm für wirksam. Der höhere Zuschlag solle eine besondere Belastung der unvorbereitet zu Nachtarbeit herangezogenen Arbeitnehmer ausgleichen. Sie büßten die Dispositionsmöglichkeit über ihre Freizeit in der entsprechenden Nacht ein.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hatte vor dem Zehnten Senat des BAG Erfolg.
Nachtarbeitnehmer und Nachtschichtarbeitnehmer sind nach Auffassung des Senats miteinander vergleichbar.
Nach dem Manteltarifvertrag ist bei der Durchführung von Nachtarbeit außerhalb von Schichtsystemen auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten weitgehend Rücksicht zu nehmen.
Der höhere Zuschlag für Nachtarbeitnehmer kann daher nicht den Zweck haben, ihre Freizeit vor Eingriffen durch den Arbeitgeber zu schützen. Andere sachliche Gründe, die die schlechtere Behandlung der Nachtschichtarbeitnehmer rechtfertigen könnten, lassen sich dem Manteltarifvertrag nicht entnehmen.
Der Kläger kann den höheren Zuschlag verlangen, um mit den nicht regelmäßig nachts Arbeitenden gleichbehandelt zu werden (sog. Anpassung nach oben).
Verfahren 10 AZR 332/20 (A)
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist der Manteltarifvertrag der Erfrischungsgetränke-Industrie anzuwenden. Der Tarifvertrag regelt, dass der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % der Stundenvergütung beträgt.
Die Klägerin leistete Nachtarbeit in einem Schichtmodell und erhielt dafür einen Zuschlag von 20 %. Sie ist der Auffassung, die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung bestehe nicht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das BAG ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union, Fragen nach der Auslegung von Unionsrecht zu beantworten.
Führen tarifvertragliche Regelungen die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG im Sinn von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) durch, wenn sie unterschiedlich hohe Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit enthalten?
Ist eine tarifvertragliche Regelung gleichbehandlungswidrig nach Art. 20 der Charta, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht, wenn damit neben den gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Nachtarbeit auch Belastungen wegen der schlechteren Planbarkeit der Arbeitszeit ausgeglichen werden sollen? Diese Fragen stellen sich auch für eine große Zahl von anderen Tarifverträgen.
BAG, Urt. v. 09.12.2020 - 10 AZR 334/20
BAG, Beschl. v. 09.12.2020 - 10 AZR 332/20 (A)
Quelle: BAG, Pressemitteilungen v. 09.12.2020