Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Pflegezeitgesetz: Neue Freistellungsansprüche und Kündigungsschutz

Der Bundestag hat das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz beschlossen. Am 25.04.2008 wird der Bundesrat vermutlich zustimmen, so dass es am 01.07.2008 in Kraft treten kann. Und was hat das mit Arbeitsrecht zu tun? Eine Menge: Artikel 3 des Gesetzes enthält das „Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz – PflegeZG)“.

Es wird künftig für Arbeitnehmer Ansprüche auf Freistellung für die Pflege eines nahen Angehörigen sowie bei kurzfristiger Arbeitsverhinderung geben. Während dieser Zeiten sieht das Gesetz einen besonderen Kündigungsschutz vor. Weiterhin wird ein Sachgrund für die Befristung eines Arbeitsverhältnisses mit einer Ersatzkraft geschaffen.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Aber der Reihe nach:

Unbestreitbar ist eine umfassende Überarbeitung der seit nunmehr ca. 13 Jahren bestehenden Pflegeversicherung dringend erforderlich. Nach langen Beratungen erfolgte nun eine Einigung, der der Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition bereits zugestimmt hat.

Kurzzeitige Befreiung

Nach § 2 PflegeZG können Beschäftigte kurzfristig bis zu zehn Tage von der Arbeit fern bleiben, wenn sie für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation die Pflege organisieren bzw. eine pflegerische Versorgung sicherstellen müssen. Dabei müssen sie dem Arbeitgeber ihre Verhinderung und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen. Der Arbeitgeber kann eine ärztliche Bescheinigung verlangen. Er ist in dieser Zeit zur Zahlung einer Vergütung nur verpflichtet, so weit sich eine solche Verpflichtung aus anderen gesetzlichen Vorschriften oder Vereinbarungen ergibt.

Pflegezeit

Beschäftigt der Arbeitgeber zudem in der Regel mehr als 15 Mitarbeiter, muss er sich künftig darauf einstellen, dass seine Mitarbeiter pflegebedingt möglicherweise bis zu sechs Monaten Pflegezeit nehmen. Dieses Recht haben die Beschäftigten immer dann, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen selbst pflegen möchten. Dabei können die Mitarbeiter zwischen vollständiger Freistellung oder Teilzeit, also teilweiser Freistellung wählen. In welchem Umfang der Mitarbeiter seine Arbeitszeit reduzieren möchte, darf er selbst entscheiden.

Die Voraussetzungen

Der Arbeitgeber muss spätestens zehn Arbeitstage vor Beginn der Pflegezeit schriftlich informiert werden für welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Freistellung in Anspruch genommen wird. Bei einer teilweisen Freistellung ist auch die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit anzugeben. Bei einer Pflege-Teilzeit haben Arbeitgeber und Beschäftigter über die Verringerung und die Verteilung der Arbeitstage eine schriftliche Vereinbarung zu treffen.

Dauer der Pflegezeit

Die Pflegezeit beträgt für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen längstens sechs Monate. Endet die Pflegebedürftigkeit oder ist die häusliche Pflege unmöglich oder unzumutbar, endet die Pflegezeit vier Wochen nach Eintritt der veränderten Umstände. Der Arbeitgeber ist unverzüglich zu unterrichten.

Kündigungsschutz

Der Arbeitgeber darf künftig das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung oder der Pflegezeit nicht kündigen. Dies ist nur bei Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ausnahmsweise zulässig.

Befristete Verträge

Für die Vertretung der Pflegekraft kann befristet ein anderer Arbeitnehmer eingestellt werden. Hierin liegt ein sachlicher Grund für die Befristung. Die Dauer der Befristung muss kalendermäßig bestimmt oder bestimmbar sein. Dieser Arbeitsvertrag ist mit einer Frist von zwei Wochen kündbar, wenn die Pflegezeit vorzeitig endet. Das Kündigungsschutzgesetz ist in diesen Fällen nicht anzuwenden. So steht es ausdrücklich in § 6 Abs. 3 PflegeZG.

In § 7 PflegeZG finden sich Definitionen, wer im Sinne des Gesetzes

• Beschäftigter,
• Arbeitgeber,
• naher Angehöriger und wer
• pflegebedürftig ist.

Ausblick

Völlig außer Frage steht, dass die Pflegeversicherung wegen der demografischen Entwicklung reformiert werden muss. Auch die Problematik des Zusammentreffens von Beruf und Angehörigenpflege ist nicht zu unterschätzen. Aus rein arbeitsrechtlicher Sicht sind aber grundsätzliche Zweifel angebracht, ob die Schaffung neuer Freistellungsansprüche die richtige Lösung ist.

Eigentlich sollte es ein erklärtes Ziel sein, (auch) das Arbeitsrecht zu vereinfachen. Im Gesetzentwurf findet sich jedoch zu den neuen Belastungen der Arbeitgeber kein einziger Satz. Während in größeren Unternehmen schon heute oft die speziellen Probleme für Beschäftigte in solchen Situationen gelöst sind, belasten derartige Ansprüche insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen. Und die neue Befristungsmöglichkeit wird dort nicht wirklich helfen.

Der Freistellungsanspruch wegen der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung war auch bisher in § 616 BGB geregelt, dort jedoch im Regelfall sogar mit einer Fortzahlung der Vergütung. Das wird es wohl künftig nicht mehr geben. Sollte eine Divergenz zwischen § 2 Abs. 3 PflegeZG und § 616 BGB bestehen? Zugegebenermaßen hat der Autor noch nicht auf jede der vielzähligen Problematiken des neuen Gesetzes eine Antwort.

Der Rat des Rechtsanwalts

Rechtsberater auf Arbeitnehmerseite sollten aber auf jeden Fall den neuen besonderen Kündigungsschutz im Auge behalten. Hier können sich natürlich erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten im Vorfeld des Ausspruchs einer Kündigung ergeben: Falls eine Kündigung erwartet wird, sollte schnell überprüft werden, ob eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung oder in Betrieben mit in der Regel mehr als 15 Beschäftigten eine Pflegezeit beantragt werden kann. Natürlich ist aber zunächst die Bescheinigung eines Arztes erforderlich.

Weitere Kritik

Und die (theoretische) Eröffnung der Möglichkeit, während der zehntägigen Kurzzeitpflege eine behördliche Zustimmung zur Kündigung zu erhalten, zeigt, dass das Gesetz offensichtlich nicht von Arbeitsrechtspraktikern geschaffen wurde. Besonders „gelungen“ ist dabei aus arbeitsrechtlicher Sicht der § 3 Abs. 4 PflegeZG., dessen Wortlaut ich Ihnen deshalb auch nicht vorenthalten möchte:
„Wenn nur teilweise Freistellung in Anspruch genommen wird, haben Arbeitgeber und Beschäftigte über die Verringerung und die Verteilung der Arbeitstage eine schriftliche Vereinbarung zu treffen. Hierbei hat der Arbeitgeber den Wünschen der Beschäftigten zu entsprechen, es sei denn, dass dringende betriebliche Belange entgegenstehen."

Also werden wir uns demnächst mit Klagen auf Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung befassen müssen. Warum der Gesetzgeber sich hier nicht an § 8 TzBfG orientiert hat, ist unbegreiflich.

Fazit

Das Gesetz bringt erhebliche Neuerungen im Bereich der Freistellungsansprüche, des Kündigungsrechts und des Befristungsrechts. Eine Vereinfachung des Arbeitsrechts wird damit gerade nicht erreicht.

Übersicht zu den wichtigsten Neuerungen zum kostenlosen Download für Sie  (pdf-Datei, 2 Seiten)


 

Quelle: Rechtsanwalt Arno Schrader - Beitrag vom 31.03.08