Der Deutsche Bundestag hat am 05.07.2007 nach zweiter und dritter Beratung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versicherungsvertragsrechts verabschiedet.
Um das aus dem Jahr 1908 stammende Versicherungsvertragsgesetz (VVG) mit der rechtspolitischen und -tatsächlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte in Einklang zu bringen, war nach Ansicht des BMJ eine Gesamtreform erforderlich. Der Entwurf der Bundesregierung berücksichtigt die Rechtsprechung des BVerfG zur Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung und des BGH zur Berechnung von Mindestrückkaufswerten.{DB:tt_content:2566:bodytext}
Zu den Regelungen im einzelnen:
I. Verbraucherschutz
1) Beratung und Information der Versicherungsnehmer
Die Versicherer müssen die Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Vertrages künftig umfassender beraten und informieren. Das Beratungsgespräch ist zu dokumentieren. Wenn Anlass besteht, ist auch im laufenden Vertragsverhältnis zu beraten; will ein Versicherungsnehmer z.B. einen Lebensversicherungsvertrag kündigen, sollte u.a. auf die Möglichkeit hingewiesen werden, den Vertrag ohne Prämienzahlung fortzusetzen.
2) Vorvertragliche Anzeigepflichten
Künftig hat der Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss grundsätzlich nur solche Umstände anzuzeigen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat. Das Risiko einer Fehleinschätzung, ob ein Umstand für das versicherte Risiko erheblich ist, liegt damit nicht mehr beim Versicherungsnehmer.
Verstöße des Versicherungsnehmers gegen die Anzeigepflicht berechtigen den Versicherer nur noch dann zum Rücktritt vom Vertrag, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat. In den anderen Fällen kann der Versicherer den Vertrag lediglich unter bestimmten Voraussetzungen mit Wirkung für die Zukunft kündigen oder die Fortsetzung zu anderen Bedingungen verlangen.
Der Versicherer muss seine Rechte innerhalb einer Ausschlussfrist (drei Jahre in der privaten Krankenversicherung, sonst fünf oder – bei vorsätzlichem oder arglistigem Handeln – zehn Jahre) geltend machen, da eine Rückabwicklung eines Vertrages oder eine rückwirkende Anpassung nach vielen Jahren den Versicherungsnehmer unzumutbar belasten kann.
3) Direktanspruch in der Pflichtversicherung
Künftig wird der Geschädigte bei allen Pflichtversicherungen den Versicherer unmittelbar in Anspruch nehmen können, wenn über das Vermögen des Schädigers ein Insolvenzverfahren eröffnet, ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt oder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, oder wenn der Aufenthalt des Schädigers unbekannt ist. So wird dem Geschädigten in diesen für ihn besonders ungünstigen Fällen erleichtert, seine Ersatzansprüche zu realisieren.
II. Gerechterer Interessenausgleich
1) Einheitliches Widerrufsrecht
Das Widerrufsrecht bei Versicherungsverträgen wird vereinheitlicht. Nach dem neuen Recht können auch Handwerker und Freiberufler, nicht nur Verbraucher, einen Vertrag widerrufen. Die Widerrufsfrist beträgt zwei Wochen, bei der Lebensversicherung 30 Tage. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn dem Versicherungsnehmer sämtliche Vertragsbedingungen und Informationen übermittelt worden sind; die im geltenden Recht vorhandene absolute Ausschlussfrist von einem Jahr entfällt ersatzlos.
2) Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips
Verletzt der Versicherungsnehmer nach Vertragsschluss vertragliche Pflichten oder andere Obliegenheiten grob fahrlässig, bemessen sich die Folgen künftig nach dem Grad seines Verschuldens. Das derzeit noch geltende Alles-oder-Nichts-Prinzip wird aufgegeben, d.h. bei grob fahrlässigen Verstößen des Versicherungsnehmers gegen Obliegenheiten kann die Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens gekürzt, jedoch nicht mehr vollständig versagt werden.
3) Das Prinzip der „Unteilbarkeit der Prämie“ wird abgeschafft
Wird der Versicherungsvertrag im Laufe des Versicherungsjahres von der Versicherung gekündigt oder durch Rücktritt beendet, muss der Versicherungsnehmer künftig die Prämie auch nur noch bis zu diesem Zeitpunkt zahlen. Nach dem geltenden Recht schuldet er die volle Jahresprämie auch dann, wenn der Versicherungsvertrag nicht zum Ende der Versicherungsperiode (regelmäßig ein Jahr), sondern im Laufe des Versicherungsjahres endet.
4) Wegfall der Klagefrist
Bislang muss der Versicherungsnehmer seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung binnen sechs Monaten geltend machen, nachdem der Versicherer die Leistung schriftlich abgelehnt hat (§ 12 Abs. 3 VVG). Diese Sonderregelung, die auf eine einseitige Verkürzung der Verjährungsfrist zu Lasten der Versicherungsnehmer hinausläuft, wird ersatzlos gestichen.
III. Modernisierung der Lebensversicherung
1) Anspruch auf Überschussbeteiligung
Der Anspruch auf Überschussbeteiligung wird im Gesetz als Regelfall verankert. Außerdem erhält der Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Beteiligung an den stillen Reserven und die Grundsätze für die Verteilung der Überschüsse werden bestimmt.
Zur Beteiligung an den stillen Reserven:
Der Versicherungsnehmer soll – wie das BVerfG in seinem Urteil zur Überschussbeteiligung vom BVerfG in seinem Urteil zur Überschussbeteiligung vom 26.07.2005 vorgibt – in Zukunft angemessen auch an den noch nicht realisierten Gewinnen beteiligt werden (so genannte stille Reserven), soweit sie durch seine Beiträge erzielt worden sind. Die Versicherungsunternehmen müssen die stillen Reserven offen legen und den Versicherungsnehmer jährlich über den auf ihn entfallen Teil unterrichten. Die Hälfte der stillen Reserven, die durch die Beiträge des Versicherungsnehmers erwirtschaftet worden sind, ist bei Beendigung des Vertrages auszuzahlen. Die andere Hälfte verbleibt im Unternehmen, um Wertschwankungsrisiken ausgleichen zu können. Diesen Anspruch hat jeder Versicherungsnehmer für die Restlaufzeit seines Vertrages nach Inkrafttreten des Gesetzes.
2) Modellrechnung
Der Versicherungsnehmer ist darüber zu unterrichten, welche Leistungen zu erwarten sind. Die Angaben müssen realistisch sein und dem Versicherungsnehmer deutlich machen, dass es sich nur um Prognosen und nicht um garantierte Leistungszusagen handelt. Um Missbrauchsgefahren zu verhindern, werden die Versicherer verpflichtet, eine Modellrechnung zu überlassen, bei der die mögliche Ablaufleistung unter Zugrundelegung realistischer Zinssätze dargestellt wird.
3) Berechnung des Rückkaufswerts
Entsprechend dem Urteil des BGH vom 12.10.2005 ist für ab dem 01.01.2008 neu abgeschlossene Verträge der Rückkaufswert der Lebensversicherung nach dem Deckungskapital der Versicherung zu berechnen; dies gilt auch, wenn der Vertrag vorzeitig beendet wird.
4) Frühstorno
Für ab dem 01.01.2008 neu abgeschlossene Verträge werden die Abschlusskosten der Lebensversicherung bei Kündigung auf die ersten fünf Vertragsjahre verteilt. Vorbild ist insoweit das Modell der Riester-Rente. Der Rückkaufswert fällt damit in den ersten Jahren höher aus.
5) Transparenz bei Abschluss- und Vertriebskosten
Die Versicherer sollen künftig verpflichtet werden, die jeweiligen Abschluss- und Vertriebskosten zu beziffern und offenzulegen (dies gilt auch für die private Krankenversicherung). Die Einzelheiten werden in der geplanten Verordnung über Informationspflichten bei Versicherungsverträgen (VVG-InfoV) geregelt.
IV. In-Kraft-Treten
Das Gesetz wird am 01.01.2008 in Kraft treten. Es wird dann für alle nach diesem Zeitpunkt geschlossenen Verträge sowie für Altverträge gelten. Allerdings gilt die Neuregelung der Berechnung der Rückkaufswerte nur für Verträge, die nach dem 01.01.2008 geschlossen werden.
Quelle: BMJ - Pressemitteilung vom 05.07.07