Familienrecht -

Voraussetzungen der Zurechnung fiktiver Einkünfte

Entscheidungsbesprechung mit Praxishinweis: Dem Unterhaltsverpflichteten können fiktive Einkünfte nur dann zugerechnet werden, wenn nachgewiesen ist, dass dieser sich nicht hinreichend um Erwerb bemüht hat und wenn er die zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlichen Einkünfte überhaupt erzielen könnte.

Die Entscheidung:
OLG Brandenburg - Beschluss vom 14.01.09 (13 WF 128/08)

redaktioneller Leitsatz: Wird zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen auf fiktive Einkünfte abgestellt, so hat dies neben den fehlenden subjektiven Erwerbsbemühungen objektiv zur Voraussetzung, dass die zur Erfüllung der Unterhaltspflichtigen erforderlichen Einkünfte für den Verpflichteten überhaupt erzielbar sind.

Darum geht es:
Die Beklagte ist Mutter von zwei minderjährigen Kindern und hat eine Ausbildung zur Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk, Fachrichtung Fleisch/Wurst absolviert. Diesen Beruf hat sie nur kurzzeitig – zwei Monate - ausgeübt. Seit nunmehr acht Jahren arbeitet sie – in Absprache mit ihrem Ehemann und Vater der minderjährigen Kinder - im Rotationssystem in Teilzeit. Mit Beschluss vom 17.09.2008 verpflichtet das AG die Beklagte gemäß §§ 1601 ff BGB Unterhalt in Höhe von € 245,-- pro Kind an ihre minderjährigen Kinder zu zahlen. Hiergegen legt die Beklagte sofortige Beschwerde ein. Auf diese sofortige Beschwerde hebt das Brandenburgische OLG den Beschluss auf und weist das AG an, erneut zu befinden.

Entscheidungsgründe:
Gemäß §§ 1601 BGB steht den minderjährigen Kindern gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterhalt zu. Das AG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Verpflichtete insoweit die Darlegungs- und Beweislast trifft, wenn sie sich gegenüber dem geltend gemachten Mindestunterhalt auf ihre Leistungsunfähigkeit berufen will. Gemäß § 1603 BGB entfällt die Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt in den Fällen, wenn und soweit der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt für die minderjährigen Kinder zu gewähren. Für minderjährige Kinder erwächst aber aus § 1603 Abs. 2 BGB eine gesteigerte Unterhaltspflicht, d.h. sämtliche zur Verfügung stehenden Mittel sind für den eigenen Unterhalt und den der Kinder gleichmäßig zu verwenden. Daraus resultiert die Pflicht der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft, d.h. zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Unterlässt der Unterhaltspflichtige willentlich eine ihm mögliche und auch zumutbare Erwerbstätigkeit, so können fiktive erzielbare Einkünfte für die Unterhaltsberechung berücksichtigt werden. Jedoch darf die Grenze des Zumutbaren nicht überschritten werden (BVerfG FamRZ 2007, 273 ff; BVerfGE FamRZ 2008, 1145).

Im vorliegenden Fall wiesen die Abrechnungsbögen der Beklagten bei einem Arbeitseinsatz von rd. 100 Stunden im Monat einen durchschnittlichen Nettoverdienst von rd. € 719,16, d.h. aus. Die Beklagte hat sich um zusätzliche Verdienstmöglichkeiten durch Aufnahme weiterer Tätigkeiten erfolglos bemüht. Nach Ansicht des AG hat sich die Beklagte nicht durchgängig und ernsthaft um eine weitere Tätigkeit bemüht. Das OLG geht hingegen davon aus, dass fiktive Einkünfte nur zugerechnet werden dürften, wenn dem Verpflichteten überhaupt möglich wäre, diese zur Erfüllung der Unterhaltspflicht erforderlichen Einkünfte zu erzielen.

Hierbei ist jedoch eine Einzelfallentscheidung zu treffen, bei der weitergehende Faktoren wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Gesundheitszustand des Unterhaltspflichtigen sowie das Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze zu berücksichtigen sind. Es war zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst bei Ausübung einer Vollzeittätigkeit bei ihrem jetzigen Arbeitgeber nicht mehr als € 1.230 brutto und damit kein über € 1.000 liegendes Nettogehalt erzielen könnte. Gleiches dürfte auch gelten, wenn sie eine Tätigkeit im Rahmen ihres Ausbildungsberufes ausübte. Neben den Einkünften aus einer fiktiven Vollzeitbeschäftigung können der Beklagten keine zusätzlichen fiktiven Einkünfte aus einer Nebenbeschäftigung zugerechnet werden. Eine Obliegenheit zur Erzielung von weitergehendem Einkommen kann ferner nur dann angenommen werden, wenn diese weitere Erwerbstätigkeit dem Unterhaltspflichtigen zum einen zumutbar ist und ihn zum anderen nicht unzumutbar belastet (BVerfG FamRZ 2003, 661 f). Nach Ansicht des OLG läge hingegen eine unzumutbare Belastung darin, wenn die Beklagte entweder in Vollzeit tätig ist oder ihr ein solches Vollzeit-Einkommen fiktiv zugerechnet wird. Darüber hinaus sind Arbeitsstellen geringfügiger Beschäftigung gerade auch für diejenigen, die bereits eine Vollzeittätigkeit ausüben, nur schwer zu finden.

Daher wird das AG angewiesen, noch einmal genau zu prüfen, in welcher Höhe der Beklagten entweder neben dem tatsächlich erzielten Einkommen ein fiktives Einkommen aus einer Nebentätigkeit oder in welcher Höhe ihr fiktive Einkünfte aus einer Vollzeittätigkeit zuzurechnen sind. Zur Vermeidung einer unzumutbaren Belastung sind in jedem Fall die persönlichen Voraussetzungen der Beklagten sowie die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt in die Abwägung einzubeziehen. Auch das BVerfG geht davon aus, dass nicht jedem Unterhaltspflichtigen regelmäßig ein zur Begleichung des Mindestunterhaltsanspruchs für zwei minderjährige Kinder ausreichendes Einkommen zugerechnet werden kann.

Praxishinweise:
Ob überhaupt ein fiktives Einkommen zugrunde gelegt werden kann, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Sowohl die in der Person des Unterhaltspflichtigen liegenden Faktoren wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Gesundheitszustand als auch die außerhalb seiner Person liegenden Umstände wie die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt und dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze müssen geprüft werden. Darüber hinaus muss sich eine Prüfung der grundsätzlichen Zumutbarkeit sowie der Zumutbarkeit der sich daraus für den Unterhaltspflichtigen ergebenden Belastung erfolgen. Im Rahmen der richterlichen Abwägung müssen sämtliche Umstände des Einzelfalles berücksichtigt und entsprechend abgewogen werden.

Weiterführende Informationen zu diesem Thema in rechtsportal.de

Bibliothek, Lexikon des Unterhaltsrechts, Stichwort „fiktive Einkünfte“ (Schnellsuche: Dok-Nr. D5721_5688419)

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Quelle: Rechtsanwältin Nicole Seier - Entscheidungsbesprechung vom 06.07.09