Familienrecht -

Herabsetzung eines Unterhaltsanspruchs nach Eintritt des Unterhaltsberechtigten in das Rentenalter

BGH, Urt. v. 29.06.2011 - XII ZR 157/09

Auch ein vor der Unterhaltsrechtsreform titulierter oder vereinbarter Unterhaltsanspruch kann nach dem Eintritt des Unterhaltsberechtigten in das Rentenalter herabgesetzt oder befristet werden.

Darum geht es:

Der Mann war früher Chefarzt, von 2004 an im Vorruhestand und ist seit 2007 in Pension. Bei der Scheidung der Ehe im Jahre 1985 hatte er sich in einem Vergleich verpflichtet, Unterhalt in Höhe von 1.789,52 € monatlich zu zahlen. Das OLG hat den Unterhalt nur auf 584 € monatlich herabgesetzt. Seine Revision dagegen hat Erfolg.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

ür die Frage der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltsgewährung ist das im Lauf der Jahre immer schwächer gewordene Band der nachehelichen Solidarität maßgebend. Diese Unbilligkeit hat sich nach rund zehnjähriger Haushaltsführung in der kinderlosen Ehe, nach inzwischen 25-jähriger Distanz zur Ehe und nach ebenso lang währender Unterhaltszahlung weithin verwirklicht. Das Erreichen der Altersgrenze, die typischerweise zu finanziellen Einbußen führt, ist eine weitere Zäsur, die es jedenfalls von diesem Zeitpunkt an als unbillig erscheinen lässt, den ehelichen Lebensstandard der Unterhaltsberechtigten auf Kosten ihres geschiedenen Mannes fortzuschreiben.

Der BGH erkennt kein schützenswertes Vertrauen in den dauernden Fortbestand der titulierten Unterhaltsregelung an. Auch dass ein Versuch des Mannes, den Titel im Jahr 1990 abändern zu lassen, erfolglos geblieben war, besagt nicht, dass er eine ungeschmälerte Unterhaltszahlung lebenslang hinnehmen wolle.

Ein ehebedingter Nachteil liegt nicht darin, dass die Frau während der Ehezeit nicht erwerbstätig war, was zu einer geringeren Altersrente führen kann. Denn insoweit greift der zwischen den Parteien durchgeführte Versorgungsausgleich, durch den die gesamten ehezeitlich erworbenen Versorgungsanwartschaften der Parteien vollständig ausgeglichen sind.

Die Frau hatte bereits in der Trennungszeit wieder das Vergütungsniveau ihrer vorehelich angelegten beruflichen Möglichkeiten erreicht, sodass ehebedingte Fortkommensnachteile bereits damals nicht mehr gegeben waren. Durch ehebedingte Gründe war sie auch nicht dauerhaft daran gehindert, ihre in der Trennungszeit ausgeübte Halbtagstätigkeit alsbald in eine Vollzeittätigkeit auszuweiten.

Die Nachteile in ihrer Erwerbsbiografie nach der Scheidung sind darauf zurückzuführen, dass die Frau ein nichteheliches Kind betreute. Da diese Nachteile nicht ehebedingt sind, kann nicht auf fiktiv erworbene Versorgungsanwartschaften abgestellt werden, die sie als Kinderlose hätte erzielen können. Nicht ehebedingt ist auch der Umstand, dass sie im Anschluss an die Kinderbetreuung altersbedingt auf dem Arbeitsmarkt keinen Platz mehr fand.

Das OLG hat der Frau ein fiktives Alterseinkommen von 226 € zugerechnet, als habe sie eine ihren beruflichen Fähigkeiten entsprechende Erwerbstätigkeit gefunden und ausgeübt. Der BGH stellt hier auf ihre unterhaltsrechtliche Obliegenheit ab, nach ihren Möglichkeiten zum weiteren Aufbau einer eigenen Altersversorgung durch Berufstätigkeit beizutragen, § 1569 BGB.

Ihr Lebensbedarf, auf den der Unterhalt maximal herabgesetzt werden kann, ist daher bereits durch das eigene Renteneinkommen von 940 € und ein fiktives Renteneinkommen von weiteren 266 € gedeckt.
Allerdings stellt der Unterhalt nach dem angemessenen Bedarf nur die gesetzliche Untergrenze dar, bis zu der der Unterhalt herabgesetzt werden kann. Auch bei feststehender Untergrenze ist eine Ausschöpfung des Spielraums bis zum angemessenen Lebensbedarf nicht zwingend, sondern unterliegt der tatrichterlichen Beurteilung des Einzelfalls. Eine teilweise Herabsetzung des Unterhalts ist geboten, wenn dies der Billigkeit entspricht. Auch eine stufenweise Herabsetzung bis zum völligen Wegfall des Unterhaltsanspruchs ist rechtlich möglich, sodass sich die Frage einer Befristung nach § 1578b Abs. 2 BGB im Ergebnis nicht mehr stellt.

Folgerungen aus der Entscheidung

Auch lange nach der Scheidung, auch wenn der Unterhaltsberechtigte inzwischen das Rentenalter erreicht hat, kann der Unterhalt noch herabgesetzt werden.

Ehebedingte Nachteile müssen anhand einer konkreten Kausalitätsprüfung genau ermittelt werden. Dabei ist die Ehe wegzudenken mit der Folge, dass auch die finanziellen Verhältnisse des Unterhaltspflichtigen keine Rolle spielen. Abzustellen ist auf das hypothetische Leben einer Person, die ihr Einkommen nach ihren beruflichen und persönlichen Verhältnissen durch eigene Erwerbstätigkeit verdient und auch in diesem Umfang eine Altersversorgung aufgebaut hätte. Alle Nachteile, die nicht aus der Gestaltung der Lebensverhältnisse in der Ehe herrühren, muss sie selbst tragen.

Praxishinweis

Der Unterhaltstitel wird rückwirkend zum Beginn des Abänderungsverfahrens herabgesetzt. Daher wird die Frau hier zur Rückzahlung der überzahlten Beträge von 29.571,92 € nebst Zinsen verurteilt. Dieses Risiko sollte bei einem länger dauernden Abänderungsverfahren zur Herabsetzung des Unterhalts bedacht werden. Gemäß § 241 FamFG tritt die verschärfte Haftung bereits mit Rechtshängigkeit des Abänderungsantrags ein (dazu Viefhues in Kemper/Schreiber, HK-FamFG, 2. Auflage 2011, § 241 FamFG Rdnr. 5 f.), sodass sich der Unterhaltsberechtigte nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann.

Quelle: Weiterer Aufsicht führender Richter am AG Oberhausen Dr. Wolfram Viefhues - vom 15.11.11