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Familienrecht -

Elternunterhalt bei geschiedenen Eltern und herabwürdigendem Kontaktabbruch

OLG Oldenburg, Urt. v. 25.10.2012 - 14 UF 80/12

Der Anspruch auf Elternunterhalt ist verwirkt, wenn der Bedürftige durch unwürdiges Verhalten das Familienband zerrissen hat. So urteilte das OLG Oldenburg in einem Fall, in dem das Kind bei der Mutter aufwuchs, zum Vater kaum Kontakt hatte und (nunmehr im Erwachsenenalter) wegen der Heimkosten für den Vater in Anspruch genommen werden sollte.  

Darum geht es

Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung kommt dem Elternunterhalt zunehmende Bedeutung zu. Oft geht es dabei um Heimkosten und auf den Sozialhilfeträger übergegangene Ansprüche. Zugleich sind immer häufiger unterhaltspflichtige Kinder betroffen, deren Eltern geschieden wurden. Das OLG Oldenburg hat sich mit einem Fall befasst, in dem das Kind bei der Mutter aufwuchs, zum Vater kaum Kontakt bestand und das nunmehr erwachsene Kind wegen der Heimkosten für den Vater in Anspruch genommen werden soll. § 1611 Abs. 1 BGB sieht vor, dass Unterhaltsansprüche verwirkt sind, wenn sich der Unterhaltsbedürftige vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht hat. § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII verhindert den Forderungsübergang auf den Sozialhilfeträger, wenn die Inanspruchnahme eine unbillige Härte wäre.

Im vorliegenden Fall trennten sich die Eltern Anfang der 1970er-Jahre. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt. In der Trennungssituation wurde das Kind Zeuge und Opfer von Handgreiflichkeiten des Vaters. Der anfangs lose Kontakt zwischen dem Kind und seinem Vater ebbte bald ab. Der Vater zeigte weder Interesse daran, dass das Kind das Abitur bestanden, noch daran, dass es sich verlobt hatte. Nicht einmal auf der Beerdigung des Großvaters wechselten Vater und Kind persönliche Worte. 1998 errichtete der Vater ein Testament und enterbte sein Kind, da seit 27 Jahren kein Kontakt bestanden habe. Dieses Testament und die persönliche Anhörung des Kindes hat das Gericht als Beweismittel herangezogen. Der Vater kann in der Sache nicht mehr angehört werden, da er bereits tot ist.

Als der Vater-Kind-Kontakt abbrach, war das Kind bereits volljährig. Gleichwohl zieht das OLG aus § 1618a BGB (Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig) den Schluss, dass es die Aufgabe des Vaters gewesen wäre, den endgültigen Bruch zu verhindern. Das Verhalten des Vaters offenbart einen groben Mangel an elterlicher Verantwortung und menschlicher Rücksichtnahme. Die Zurückweisung der Kontaktversuche des Kindes (Mitteilungen von dem bestandenen Abitur und der beabsichtigten Verlobung) wertet das OLG als besonders kränkend für das Kind. Es ist nicht daran zu zweifeln, dass der Vater vorsätzlich handelte.

Dies wird nicht dadurch relativiert, dass sich die Eltern nach langjährigen Ehekonflikten getrennt hatten, und berechtigte den Vater nicht dazu, sich auch gegenüber seinem Kind zurückzuziehen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das OLG beurteilt die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen als grob unbillig und sieht den Anspruch als vollständig verwirkt an. Wer sich bewusst und dauerhaft von jeglichen Beziehungen persönlicher und wirtschaftlicher Art zu seinen Kindern ablöst, stellt sich selbst außerhalb des familiären Solidarverbands. Geschieht dies zudem in einer Weise, die für das nunmehr unterhaltspflichtige Kind traumatisierend wirkte, muss diesem die Auferlegung einer Zahlungspflicht in besonderer Weise als unbillig erscheinen.

Dafür ist ausschlaggebend, dass der Unterhaltsanspruch aus § 1601 BGB sich nicht unmittelbar aus dem rechtlichen Status der Verwandtschaft legitimiert, sondern seine Wurzeln in der familiären Solidarität und Verantwortung hat (BGH, Urt. v. 15.09.2010 - XII ZR 148/09). Diese gelten in einem Mehrgenerationenverhältnis lebenslang.

Andererseits ist niemand gehalten, den Grundsatz der Solidarität auch tatsächlich zu leben, wenn es an der dafür erforderlichen tragfähigen familiären Bindung fehlt. Wer sich bewusst und dauerhaft aus jeglicher persönlichen und wirtschaftlichen Beziehung zu seinen nächsten Verwandten löst, entzieht sich selbst dem familiären Solidarsystem und kann dann auch keine solidarische Unterstützung mehr erwarten. Dies stünde in einem eklatanten Widerspruch zu dem eigenen Verhalten. In einer solchen Situation wird der eigene Elternteil "wie ein Fremder" empfunden, was die Auferlegung einer weiteren finanziellen Unterstützung schlechterdings als unbillig erscheinen lässt.

Auch hatte der Vater nach der Trennung keinen Unterhalt gezahlt. Für die Verwirkung nach § 1611 Abs. 1 BGB müsste er jedoch seine dem Kind gegenüber bestehende Unterhaltspflicht gröblich verletzt haben. Das Kind konnte nicht nachweisen, dass der Vater leistungsfähig gewesen wäre oder je zu Unterhaltszahlungen aufgefordert worden war. Das allein hätte also nicht genügt.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die Verwirkung von Unterhaltsansprüchen bei gestörten Familienverhältnissen grundsätzliche Bedeutung hat. Die Stadt Bremen hat die Rechtsbeschwerde eingelegt, sodass die Sache nun dem BGH zur Entscheidung vorliegt. 

Quelle: RAin Martina Mainz-Kwasniok - vom 29.01.13