Liddy Hansdottir © fotolia.de

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Familienrecht -

BVerfG: Nichtzulassung der Sukzessivadoption durch eingetragene Lebenspartner ist verfassungswidrig

BVerfG, Urt. v. 19.02.2013 - 1 BvL 1/11 und 1 BvR 3247/09 

Die Nichtzulassung der sukzessiven Adoption angenommener Kinder  eingetragener Lebenspartner durch den anderen Lebenspartner verletzt  sowohl die betroffenen Kinder als auch die betroffenen Lebenspartner in  ihrem Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Dies hat der Erste  Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem heute verkündeten Urteil  entschieden. Der Gesetzgeber hat bis zum 30.06.2014 eine  verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Bis zur gesetzlichen Neuregelung
ist das Lebenspartnerschaftsgesetz mit der Maßgabe anzuwenden, dass die  Sukzessivadoption auch für eingetragene Lebenspartnerschaften möglich  ist.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:

Nach bisheriger Rechtslage ist die Adoption des leiblichen Kindes des  eingetragenen  Lebenspartners möglich (sogenannte Stiefkindadoption, § 9  Abs. 7 LPartG). Nicht eröffnet ist hingegen die hier in Rede stehende  Adoption des vom eingetragenen Lebenspartner angenommenen Kindes  (sogenannte Sukzessivadoption). Ehegatten wird demgegenüber sowohl die Möglichkeit der Stiefkindadoption als auch die der Sukzessivadoption  eingeräumt.

Der Ausschluss der Sukzessivadoption durch eingetragene Lebenspartner
verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

 

 

 

  • Dabei kommt ein - gegenüber dem bloßen Willkürverbot - deutlich  strengerer Prüfungsmaßstab zur Anwendung. Mit Blick auf die  Ungleichbehandlung der betroffenen Kinder gilt dies schon deshalb, weil  Grundrechte berührt sind, die für die Persönlichkeitsentfaltung der  Kinder wesentlich sind. Auch die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung  von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern unterliegt hohen  verfassungsrechtlichen Anforderungen, weil sie die sexuelle Identität  betrifft.
  • Die Ungleichbehandlung der betroffenen Kinder im Verhältnis zu  adoptierten Kindern von Ehepartnern ist nicht gerechtfertigt. Gleiches  gilt für die Ungleichbehandlung der betroffenen Lebenspartner im  Verhältnis zu Ehegatten, denen eine Sukzessivadoption möglich ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

  1. Generell soll mit der Beschränkung von Sukzessivadoptionen insbesondere der Gefahr entgegengewirkt werden, dass ein Kind  konkurrierenden Elternrechten ausgesetzt ist, die widersprüchlich  ausgeübt werden könnten. Zum Wohle des Kindes soll zudem  verhindert  werden, dass es im Wege der sukzessiven Adoption von Familie zu Familie  weitergegeben wird. Weil diese Gefahren für gering gehalten werden, wenn es sich bei den Eltern um  Ehepartner handelt, ist die Sukzessivadoption durch Ehepartner zugelassen. Die Adoption durch den eingetragenen  Lebenspartner unterscheidet sich jedoch in beiden Aspekten nicht von der  durch den Ehepartner. Insbesondere ist die eingetragene  Lebenspartnerschaft gleichermaßen auf Dauer angelegt und durch  eine  verbindliche Verantwortungsübernahme geprägt wie eine Ehe.
  2. Der Ausschluss der Sukzessivadoption ist nicht damit zu  rechtfertigen, dass dem Kind das Aufwachsen mit  gleichgeschlechtlichen  Eltern schade. Es ist davon auszugehen, dass die behüteten Verhältnisse  einer eingetragenen Lebenspartnerschaft das Aufwachsen von Kindern  ebenso fördern können wie die einer Ehe. Bedenken, die sich gegen das  Aufwachsen von Kindern in gleichgeschlechtlichen  Elterngemeinschaften im  Allgemeinen richten, wurden in der ganz überwiegenden Zahl der  sachverständigen Stellungnahmen zurückgewiesen. Im Übrigen wäre der  Ausschluss der Sukzessivadoption ungeeignet, etwaige Gefahren solcher Art zu beseitigen, denn er kann, darf und soll nicht verhindern, dass  das Kind mit seinem Adoptivelternteil und dessen gleichgeschlechtlichem  Lebenspartner zusammenlebt. Weder die Einzeladoption durch homosexuelle  Menschen noch das faktische Zusammenleben eingetragener Lebenspartner  mit dem Kind eines der beiden Partner ließen sich ohne gravierende  Verstöße gegen das Grundgesetz unterbinden. Das  Lebenspartnerschaftsgesetz unterstützt deren familiäres Zusammenleben  vielmehr, indem es gerade für diesen Fall Regelungen trifft, die dem  Lebenspartner, der nicht Elternteil im Rechtssinne ist, elterntypische  Befugnisse einräumen, einschließlich der Möglichkeit, einen gemeinsamen Lebenspartnerschaftsnamen zu verwenden. Auch die  Sukzessivadoption an  sich beeinträchtigt das Kindeswohl nicht, sondern ist diesem in den hier  zu beurteilenden Konstellationen regelmäßig zuträglich. Nach Einschätzung der angehörten Sachverständigen ist sie geeignet, stabilisierende entwicklungspsychologische Effekte zu entfalten. Ferner verbessert sie die Rechtsstellung des Kindes bei Auflösung der  Lebenspartnerschaft durch Trennung oder Tod. Dies betrifft zum einen das Sorgerecht, das dann im Fall der Trennung unter Berücksichtigung des Kindeswohls von Fall zu Fall angemessen geregelt werden kann. Zum anderen gilt dies in materieller Hinsicht, denn ein Kind profitiert von der doppelten Elternschaft insbesondere in unterhalts- und erbrechtlicher Hinsicht. Schließlich ist eine Gefährdung des Kindeswohls durch Zulassung der Sukzessivadoption auch deshalb nicht zu befürchten, weil jeder Adoption - auch der Sukzessivadoption - eine  Einzelfallprüfung vorausgeht, bei der etwaige individuelle Nachteile der konkret in Frage stehenden Adoption berücksichtigt werden.
  3. Der Ausschluss der Sukzessivadoption wird nicht durch den Zweck gerechtfertigt, eine Umgehung der gesetzgeberischen Entscheidung gegen die Zulassung der gemeinschaftlichen Adoption durch zwei eingetragene Lebenspartner zu verhindern. Dabei bedarf hier keiner Entscheidung, ob der Ausschluss der gemeinschaftlichen Adoption mit dem Grundgesetz  vereinbar ist, obgleich das Gesetz diese für Eheleute zulässt.
  4. Der durch Art. 6 Abs. 1 GG gebotene besondere Schutz der Ehe rechtfertigt nicht die Benachteiligung angenommener Kinder eines Lebenspartners gegenüber angenommenen Kindern eines Ehepartners. Zwar ist es dem Gesetzgeber wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Ehe grundsätzlich nicht verwehrt, diese gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen. Zur Rechtfertigung der Benachteiligung vergleichbarer Lebensgemeinschaften bedarf es jedoch eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der hier nicht gegeben ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

  • Auch zwischen der Adoption eines leiblichen Kindes des eingetragenen Lebenspartners und der Adoption eines angenommenen Kindes des eingetragenen Lebenspartners bestehen keine Unterschiede solcher Art, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten.

 

 

 

 

Das Recht des Kindes auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung, das Elterngrundrecht und das Familiengrundrecht sind hingegen - für sich genommen - nicht verletzt.

 

 

 

 

 

  • Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verleiht dem Kind ein Recht auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung. Wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Grundrechtsschutz erfüllt, ist in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden. Die Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden Spielraums sind hier nicht überschritten. Die betroffenen Kinder sind nicht elternlos, sondern haben einen Elternteil im Rechtssinne. Zudem hat der Gesetzgeber anderweitig Sorge dafür getragen, dass der Lebenspartner des Adoptivelternteils in gewissem Umfang elterliche Aufgaben wahrnehmen kann, indem ihm praktisch wichtige elterntypische Befugnisse verliehen werden (vgl. § 9 Abs. 1 und Abs. 2 LPartG).
  • Dass ein eingetragener Lebenspartner das angenommene Kind seines Partners nicht adoptieren kann, verletzt nicht das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht. Zwar schützt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur verschiedengeschlechtliche Eltern, sondern auch zwei Elternteile gleichen Geschlechts. Dies folgt schon aus der Kindeswohlfunktion des Elterngrundrechts. Auch der Wortlaut des Elterngrundrechts bzw. abweichende historische Vorstellungen stehen einer Anwendung auf zwei Personen gleichen Geschlechts nicht entgegen. Jedoch begründet ein allein soziales-familiäres Elternverhältnis zum Kind des Lebenspartners keine verfassungsrechtliche Elternschaft. Träger des verfassungsrechtlichen Elternrechts können grundsätzlich nur Personen sein, die in einem durch Abstammung oder durch einfachgesetzliche Zuordnung begründeten Elternverhältnis zum Kind stehen.
  • Schließlich verletzt der Ausschluss der Sukzessivadoption auch nicht das durch Art. 6 Abs. 1 GG garantierte Familiengrundrecht. Zwar bildet die sozial-familiäre Gemeinschaft aus eingetragenen Lebenspartnern und dem leiblichen oder angenommenen Kind eines Lebenspartners eine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Familie. Jedoch kommt dem Gesetzgeber bei der rechtlichen Ausgestaltung der Familie ein Spielraum zu. Dieser ist durch die Verwehrung der Sukzessivadoption nicht überschritten. Der Gesetzgeber ist durch Art. 6 Abs. 1 GG nicht verpflichtet, in jedem Fall einer faktischen Eltern-Kind-Beziehung das volle Elternrecht zugewähren.

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung - vom 19.02.13