Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat über eine Popularklage auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Bebauungsplans mit Grünordnungsplan Nr. 40 „Gut Kaltenbrunn“ der Gemeinde Gmund a. Tegernsee vom 9. Dezember 2003 entschieden.
Gegenstand der Popularklage ist die Frage, ob der o.g. Bebauungsplan gegen die Bayerische Verfassung verstößt. Dieser Bebauungsplan umfasst eine Fläche von 23,7 ha westlich des Ortskerns der Gemeinde Gmund in exponierter Lage am Nordufer des Tegernsees. Er enthält Festsetzungen für eine Hotelanlage auf dem Gelände, auf dem sich derzeit das denkmalgeschützte, in den Anfängen auf das 14./15. Jahrhundert zurückgehende und im 19. Jahrhundert ausgebaute Gut Kaltenbrunn befindet. Teile dieses historischen Vierseithofs sollen abgerissen, die verbleibenden Bereiche in die geplante Hotelanlage integriert werden.
Die Antragsteller sind der Auffassung, der Bebauungsplan verstoße gegen die Bayerische Verfassung und sei daher nichtig. Die nach den Festsetzungen des Bebauungsplans mögliche Bebauung würde die Denkmaleigenschaft des Gutes Kaltenbrunn unwiederbringlich zerstören. Insbesondere der Bauraum im Westen des Plangebiets und der dort vorgesehene Turmbau der Hotelanlage würden die charakteristische Form der Vierseitanlage sprengen und hätten gravierende Folgen für das Erscheinungsbild des Gutes. Das Willkürverbot des Art. 118 Abs. 1 BV sei verletzt, weil die Gemeinde Gmund bei der im Rahmen der Planung vorzunehmenden Abwägung der unterschiedlichen Belange die Bedeutung und Tragweite der sich aus Art. 141 Abs. 2 BV ergebenden Pflicht zum Schutz, zur Pflege und zur Erhaltung von Denkmälern der Kunst und der Geschichte in krasser Weise verkannt habe.
Die Gemeinde Gmund und die Bauherrin bezweifeln die Zulässigkeit der Popularklage. Das Antragsrecht sei verwirkt, weil der Bebauungsplan bereits am 25. März 2004 bekannt gemacht, die Popularklage aber erst am 12. September 2007 erhoben wurde.
Jedenfalls sei die Popularklage unbegründet. Es gebe keinen absoluten Vorrang der Denkmalpflege. Die Gemeinde habe sich ausreichend mit den Bedenken des Landesamts für Denkmalpflege auseinandergesetzt. Eine funktionsfähige Nutzung der bestehenden Gebäude ohne relevante bauliche Veränderungen sei auf Dauer wirtschaftlich nicht tragfähig. Denkmalrechtliche Anforderungen dürften nicht dazu führen, dass der Eigentümer von dem Baudenkmal keinen wirtschaftlich vernünftigen Gebrauch mehr machen könne.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat der Popularklage mit Entscheidung vom 22. Juli 2008 stattgegeben, weil der Bebauungsplan mit Grünordnungsplan Nr. 40 „Gut Kaltenbrunn“ der Gemeinde Gmund a. Tegernsee vom 9. Dezember 2003 gegen Art. 118 Abs. 1 BV verstößt und daher nichtig ist.
1. Die Popularklage ist zulässig.
Das Klagerecht ist nicht durch Zeitablauf verwirkt. Da ein Normenkontrollverfahren beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erst im Mai 2007 rechtskräftig abgeschlossen wurde, konnte die Grundstückseigentümerin bei Einreichung der Popularklage am 12. September 2007 berechtigterweise noch nicht damit rechnen, dass es nicht mehr zu einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung kommen werde.
2. Die Popularklage ist auch begründet.
Der Bebauungsplan „Gut Kaltenbrunn“ missachtet die Belange des Denkmalschutzes (Art. 141 Abs. 2 BV, § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 BauGB 1998) in sachlich schlechthin nicht mehr zu rechtfertigender Weise und damit unter Verstoß gegen Art. 118 Abs. 1 BV.
Die Begründung des Bebauungsplans attestiert dem Gut Kaltenbrunn eine „traumhafte Einbettung in die Landschaft des Tegernseer Tales“. Im Zuge des Bebauungsplan-Aufstellungsverfahrens ist die besondere Wertigkeit der Gesamtanlage wiederholt von fachkundiger Seite betont worden.
Angesichts der herausragenden und überregionalen Bedeutung des Denkmals Gut Kaltenbrunn musste dem Schutz und der Pflege des Denkmals im Rahmen der Bauleitplanung und der nach § 1 Abs. 6 BauGB 1998 vorzunehmenden Abwägung besonderes Gewicht zukommen. Das beabsichtigte Nutzungskonzept wäre deshalb in erster Linie an der Bedeutung des Denkmals und seiner weitestmöglichen Bewahrung zu messen gewesen. Ausgangspunkt und Maßstab der Planung musste vorrangig der überlieferte Baubestand sein, Ziel in erster Linie der Erhalt der Anlage in Charakter, historischer Baukonstruktion und landschaftlicher Einbettung. Dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung eines geschützten Denkmals kann nur durch die Inpflichtnahme des Eigentümers Rechnung getragen werden. Sein Eigentum unterliegt einer gesteigerten Sozialbindung (vgl. Art. 103 Abs. 2 BV), die sich aus der Situationsgebundenheit seines Grundbesitzes ergibt. Angesichts des hohen Rangs des Denkmalschutzes im Allgemeinen und der Bedeutung des Gutes Kaltenbrunn im Besonderen muss der Eigentümer es grundsätzlich hinnehmen, dass ihm eine möglicherweise rentablere Nutzung des Grundstücks verwehrt bleibt.
Die Gemeinde Gmund hat die umgekehrte Vorgehensweise gewählt. Sie hat die denkmalpflegerische Bedeutung des Gutes Kaltenbrunn zwar nicht schon im Ansatz verkannt, diese aber von vornherein in den Dienst eines vorgegebenen und von ihr insbesondere wegen der Tourismusbelange gutgeheißenen Investorkonzepts (Fünf-Sterne-Hotel der gehobenen Kategorie mit Wellnessangeboten, Räumlichkeiten für Tagungen, Seminare, Familienfeiern und Kulturveranstaltungen) gestellt. Durch die wiederholte abwägende Befassung mit dem Themenkreis des Denkmalschutzes zieht sich wie ein roter Faden die Erwägung, die Wirtschaftlichkeit des Projekts sei gefährdet, wenn es räumlich beschränkt werde.
Insgesamt ist mit dem Planungsvorgang dem besonders hohen Gewicht des Denkmalschutzes in keiner Weise Rechnung getragen worden. In keiner Phase des Planungsverfahrens haben sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Interessen des Eigentümers an dem konkreten Hotelprojekt und die daran anknüpfenden Tourismusbelange der Gemeinde auch nur annähernd ein sachliches Gewicht aufweisen, das es hätte rechtfertigen können, planend in der vorgesehenen Weise tief in die Substanz des Denkmals einzugreifen. Schon die Begründung des Bebauungsplans stellt fest, dass ein erheblicher Eingriff in die historische Bausubstanz erfolgen und sich somit das bestehende Erscheinungsbild des Gutes nachhaltig verändern werde. Als besonders gravierend erweisen sich sowohl das Ausmaß des südlichen, weit über das bisherige Gut hinaus nach Westen reichenden Bauraums als auch das dort im sogenannten Turm vorgesehene Nutzungsmaß. Die Realisierung des Bebauungsplans würde das traditionelle Gut Kaltenbrunn sowohl in seiner baulichen Substanz als auch in seinem Erscheinungsbild grundlegend verändern und von ihm nicht mehr als einen gewissen Erinnerungswert an das integrale Denkmal belassen, das hier einmal seinen historischen Platz hatte.
Quelle: Bayerischer Verfassungsgerichtshof - Pressemitteilung vom 24.07.08