Arbeitsrecht -

Zeitpunkt des Verfalls übertragener Urlaubsansprüche

BAG, Urteil vom 09.08.2011 – 9 AZR 425/10

Der wegen einer Erkrankung des Arbeitnehmers übertragene Urlaub unterfällt bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis gemeinsam mit dem Urlaub aus dem Jahr der Wiedergenesung der Verfallfrist des § 7 Abs. 3 BurlG.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Darum geht es:

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger noch Urlaubsansprüche für die Jahre 2005 bis 2007 zustehen. Der Kläger ist seit 1991 bei der Beklagten beschäftigt und hat einen jährlichen Anspruch auf 30 Urlaubstage. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklausel ein Tarifvertrag Anwendung, dessen § 21 lautet:„Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit schriftlich gegenüber dem Arbeitsvertragspartner geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung aus. “

In der Zeit von Januar 2005 bis Juni 2008 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Seit Juni 2008 arbeitet er wieder. Die Beklagte gewährte dem Kläger im Jahr 2008 30 Urlaubstage. Dieser machte mit Schreiben vom 22.04.2009 erstmals seine Urlaubsansprüche aus den Jahren 2005 bis 2007 im Umfang von 90 Arbeitstagen geltend.

Die Klage hatte vor dem Neunten Senat des BAG – ebenso wie bereits die Vorinstanzen (ArbG Aachen, Urt. v. 08.12.2009 – 4 Ca 2559/09 und LAG Köln, Urt. v. 18.05.2010 – 12 Sa 38/10) keinen Erfolg.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Bisher liegt zu dieser Entscheidung lediglich die Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 64/11 vom 09.08.2011 vor.

Nach Auffassung des BAG ist der von dem Kläger erhobene Urlaubsanspruch spätestens mit Ablauf des 31.12.2008 untergegangen.

Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG müsse der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Der am Ende des Urlaubsjahres nicht genommene Urlaub verfalle, sofern kein Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 BUrlG vorliege. Diese gesetzliche Verfallsvorschrift sei abweichenden einzel- oder tarifvertraglichen Regelungen zugänglich. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr sei nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigten. Im Fall der Übertragung müsse der Urlaub gem. § 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden.

Übertragene Urlaubsansprüche seien in gleicher Weise befristet. Werde ein zunächst arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer im Kalenderjahr einschließlich des Übertragungszeitraums so rechtzeitig gesund, dass er in der verbleibenden Zeit seinen Urlaub nehmen könne, erlösche der aus früheren Zeiträumen stammende Urlaubsanspruch genauso wie der Anspruch, der zu Beginn des Urlaubsjahrs neu entstanden ist.

Die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Arbeitnehmer Urlaubsansprüche über mehrere Jahre ansammeln können, hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich offengelassen

Folgerungen aus der Entscheidung:

Die Entscheidung dient der unionsrechtskonformen Gestaltung des deutschen Urlaubsrechts nach dem Urteil des EuGH vom 20.01.2009 – Rs. C-350/06 und Rs. C-520/06. Danach steht Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten entgegen, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf des im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums auch dann erlischt, wenn die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers während des gesamten Zeitraums bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat und der Arbeitnehmer deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte.

Das Bundesarbeitsgericht hatte aufgrund dieser Entscheidung des EuGH seine bisherige Rechtsprechung mit Urteil vom 24.03.2009 – 9 AZR 983/07 dahingehend geändert, dass § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG so zu verstehen sei, dass gesetzliche Urlaubsabgeltungsansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deswegen arbeitsunfähig seien. Diese Rechtsprechung– bezogen auf Ansprüche, die entstehen, wenn ein Arbeitnehmer seinen ihm zustehenden Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr nehmen kann– wurde mit der vorliegenden Entscheidung auf reguläre Urlaubsansprüche übertragen. Mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit folgen wegen Arbeitsunfähigkeit übertragene Urlaubsansprüche „aus früheren Zeiträumen“ denselben Regelungen wie solche Ansprüche, die im Kalenderjahr der Genesung entstehen. Welchen Umfang solche übertragene Urlaubsansprüche annehmen können, lässt das BAG offen.

Darüber hinaus ergibt sich aus der Pressemitteilung in Zusammenschau mit dem Urteil des LAG Köln vom18.05.2010 – 12 Sa 38/10, dass die gesetzliche Vorschrift des § 7 Abs. 3 BUrlG als speziellere gesetzliche Verfallfrist die Anwendung tariflicher oder einzelvertraglicher Verfallfristen hindert. Sonst wäre die Geltendmachung durch den Kläger am 22.04.2009 fristwahrend erfolgt.

Quelle: RA Dr. Martin Kolmhuber - vom 04.10.11