Bei einer ambulanten Kur haben gesetzlich Krankenversicherte nur dann Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn die Kur in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation stattfindet und ein Urlaubszweck nicht vorliegt. Das hat das BAG entschieden. Die allgemeinen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung sind vielen Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht geläufig.
Sachverhalt
Es ging um eine seit dem Jahr 2002 beim Land Nordrhein-Westfalen beschäftigte Köchin. Drei Wochen machte sie auf der Insel Langeoog eine ambulante Kur – von der AOK Niedersachsen bezuschusst. Sie hielt sich in einem Kur-und Wellnesscenter auf und erhielt dort 30 Anwendungen, bestehend aus je sechs Meerwasserwarmbäder, Bewegungsbäder, Massagen, Schlickpackungen und Lymphdrainagen. Zudem sollte sie jeden Tag in der Brandungszone inhalieren.
Ihr Arbeitgeber, das Land Nordrhein-Westfalen, hatte sich bereits im Vorfeld geweigert, die Arbeitnehmerin für die Dauer der Kur unter Fortzahlung der Vergütung freizustellen. Deshalb hatte die Frau vorsichtshalber Urlaub beantragt, der ihr auch bewilligt worden war. Nun klagte sie darauf, dass der genommene Urlaub nicht auf den Urlaubsanspruch angerechnet werden soll. Schließlich hatte sie nach ihrer Auffassung einen Entgeltfortzahlungsanspruch.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Das BAG stellte sich auf die Seite der Arbeitgeberin. Besteht keine Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit, dürfen Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation nach § 10 BUrlG nicht auf den Urlaub angerechnet werden, wenn ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach im Krankheitsfall besteht. Und das richtet sich nach den Regelungen des EntgFG.
Bei gesetzlich Versicherten setzt ein Anspruch Entgeltfortzahlung nach § 9 Abs. 1 S. 1 EntgFG voraus, dass die vom Träger der Sozialversicherung oder einem sonstigen Sozialleistungsträger bewilligte ambulante Vorsorgekur in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation durchgeführt wird. Das sind nur Einrichtungen, die den Anforderungen des § 107 Abs. 2 SGB V genügen, was vorliegend nicht der Fall war.
Folgerungen aus der Entscheidung
Gesetzlich Krankenversicherte haben also nur dann einen Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung gegen ihren Arbeitgeber während einer Rehabilitationsmaßnahme oder Kur, wenn
- ein Sozialleistungsträger die Maßnahme bewilligt hat und
- die Maßnahmen durch eine Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation i.S.d. § 107 Abs. 2 SGB V durchgeführt werden und
- sie keinen urlaubsmäßigen Zuschnitt hat.
Ist der Arbeitnehmer nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse oder nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, gilt das vorher Gesagte entsprechend, wenn eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation ärztlich verordnet worden ist und in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation oder einer vergleichbaren Einrichtung durchgeführt wird.
Praxishinweis
Einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat ein Arbeitnehmer dann,
- wenn er infolge Krankheit arbeitsunfähig erkrankt (§ 3 Abs. 1 S. 1 EntgFG) und
- durch diese Erkrankung (bzw. Verletzung) auch an seiner Arbeitsleistung gehindert ist.
Während einer Vorsorge oder Rehabilitationsmaßnahme gilt vorher Gesagtes entsprechend.
Das spricht gegen einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung:
- Die Wartezeit muss erfüllt sein. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht erst nach vierwöchigem ununterbrochenen Bestehen des Arbeitsverhältnisses (§ 3 Abs. 3 EntfFG). Abgestellt wird hierbei auf das rechtliche Bestehen des Arbeitsverhältnisses, nicht auf die tatsächliche Beschäftigung. In der Wartezeit erhält der Arbeitnehmer Krankengeld von der Krankenkasse.
- Es liegt ein Selbstverschulden des Mitarbeiters vor. Einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung hat ein Mitarbeiter nur dann, wenn ihn an seiner Arbeitsunfähigkeit kein Verschulden trifft.
Wann liegt aber ein Verschulden vor?
Die Rechtsprechung ist hierzu zurückhaltend: Ein Verschulden wird nur dann angenommen, wenn ein Mitarbeiter „grob gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen verstößt“. Nur leichtsinniges Verhalten reicht für ein Eigenverschulden dabei noch nicht. Es muss also schon um ein besonders leichtfertiges Verhalten oder gar um vorsätzliches Handeln gehen, so z.B. bei einer Verletzung infolge einer Trunkenheitsfahrt mit Unfallfolgen.
Diskutiert wird ein Eigenverschulden immer wieder bei der Ausübung gefährlicher Sportarten. Allerdings sind die Arbeitsgerichte hierzu sehr restriktiv. Die Ausübung gefährlicher Sportarten wie Drachenfliegen, Skifahren oder Boxen führt nicht automatisch zu einem Verschulden, obwohl das Verletzungsrisiko erheblich ist.
Allerdings zieht die Rechtsprechung eine Grenze, wenn der Arbeitnehmer einen Sport betreibt, der seine Fähigkeiten und Kräfte deutlich übersteigt. Auch, wenn der Arbeitnehmer in besonders grober Weise gegen die Regeln der jeweiligen Sportart verstößt, kann der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entfallen. Eigenverschulden liegt dann aber nicht vor, wenn sich nur das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht. Das kann dann vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer einem Kind helfen will, das von einem Hund angefallen wird. Verletzt sich der Arbeitnehmer dabei, liegt zwar ein Eigenverschulden vor, es hat sich aber nur ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht. Und diese Grundsätze gelten letztendlich auch bei Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation.
BAG, Urt. v. 25.05.2016 - 5 AZR 298/15
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Arno Schrader