Arbeitsrecht -

Vollstreckbarkeit eines auf Zeugniserteilung gerichteten Titels

BAG, Beschl. v. 09.09.2011 - 3 AZB 35/11

Ein Arbeitgeber kann seine Formulierungshoheit hinsichtlich eines qualifizierten Zeugnisses in einem Prozessvergleich bis zur Grenze des Wahrheitsgrundsatzes auf den Arbeitnehmer übertragen.  {DB:tt_content:2566:bodytext}

Darum geht es:

Die Parteien schlossen einen gerichtlichen Vergleich, der folgende Regelungen enthält:

„Die Beklagte erstellt zugunsten des Klägers ein pflichtgemäßes qualifiziertes Zeugnis über den Gesamtzeitraum der Beschäftigung des Klägers seit dem Jahre 1987 entsprechend einem der Beklagten vom Kläger noch vorzulegenden Entwurf, der innerhalb eines Zeitraumes von zwei Wochen ab Überlassung auf dem Briefkopf der Beklagten mit dem Datum des 04.05.2010 ausgefertigt, von dem Geschäftsführer der Beklagten unterzeichnet und als ordnungsgemäßes Zeugnis an den Kläger zurückgereicht wird."

Der Kläger übermittelte der Beklagten einen Zeugnisentwurf. Das von der Beklagten erteilte Zeugnis wich in der Tätigkeitsbeschreibung sowie in der Bewertung von Leistung und Verhalten von dem Entwurf des Klägers ab.

Der Kläger betreibt die Zwangsvollstreckung zur Erzwingung der im Vergleich niedergelegten Verpflichtung der Beklagten auf Erteilung einesqualifizierten Zeugnisses entsprechend dem als Anlage beigefügten Entwurf. Er hat beantragt, gegen die Beklagte ein Zwangsgeld festzusetzen. Die Beklagte hat die Zurückweisung des Antrags begehrt, dader Inhalt des verlangten Zeugnisses nicht der Wahrheit entspreche.

Das Arbeitsgericht Essen hat mit Beschluss vom 16.03.2011 (6 Ca 1532/10)gegen die Beklagte ein Zwangsgeld festgesetzt. Das LAG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 10.06.2011 (13 Ta 203/11) auf die sofortige Beschwerdeden Vollstreckungsbeschluss des Arbeitsgerichts abgeändert und den Zwangsvollstreckungsantrag zurückgewiesen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hat das BAG mit Beschluss vom 09.09.2011 (3 AZB 35/11) den Beschluss des LAG Düsseldorf aufgehoben unddie Sache gem. § 577 Abs. 4 ZPO an das LAG zurückgewiesen.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Das BAG referiert zur Doppelnatur eines Prozessvergleichs und den Grundsätzen der Auslegung. Ein Prozessvergleich ist nach Ansicht des Gerichts nur insoweit Vollstreckungstitel i.S.v. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO,als er einen aus sich heraus zumindest bestimmbaren Inhalt hat. Dieser Inhalt ist allein durch Auslegung des protokollierten Inhalts des Vergleichs zu ermitteln. Auslegungsmaßstab ist der Verständnishorizont des Vollstreckungsorgans oder Beschwerdegerichts; Unklarheiten über den Inhalt der Verpflichtung dürfen nicht aus dem Erkenntnisverfahren in dasVollstreckungsverfahren verlagert werden. Dessen Aufgabe ist es zu klären, ob der Vollstreckungsschuldner seiner festgelegten Verpflichtungnachgekommen ist - nicht aber, worin diese besteht. Andererseits ist das Vollstreckungsgericht zur Klärung der Frage verpflichtet, ob die auseinem Titel folgende Verpflichtung erfüllt wurde.

Die gesetzliche Regelung des § 109 GewO verpflichtet den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer auf der Grundlage von Tatsachen zu beurteilen und ein objektives Bild über den Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu vermitteln.Daraus ergeben sich die Gebote der Zeugniswahrheit und der Zeugnisklarheit. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist der Arbeitgeber grundsätzlich in der Formulierung des Zeugnisses frei. Maßstab ist jenereines wohlwollenden verständigen Arbeitgebers. Mit der Wendung „entsprechend einem der Beklagten vom Kläger noch vorzulegenden Entwurf"haben die Parteien die Formulierungshoheit auf den Kläger übertragen. Es liegt damit beim Kläger darüber zu entscheiden, welche positiven odernegativen Leistungen er stärker hervorheben will. Allerdings muss auch die vom Kläger vorzuschlagende Formulierung des Zeugnisses die Grenze der Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit berücksichtigen.

Den von den Parteien geschlossenen Vergleich legt das BAG so aus, dass der Beklagte nicht verpflichtet ist, den vom Kläger gefertigten Entwurf ungeprüft und unverändert zu übernehmen. Die Verpflichtung zur Erstellung eines dem Entwurf „entsprechenden" Zeugnisses ermöglicht es der Beklagten, den Entwurf an die Vorgaben des § 109 GewO anzupassen.

Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beklagte ein qualifiziertes Zeugnis erteilt hat, das dem Entwurf des Klägers entspricht. Solange derGrundsatz der Zeugniswahrheit bei Erteilung eines solchen Zeugnisses gewahrt werde, ist die Beklagte im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO anzuhalten, ein solches Zeugnis zu erteilen. Der Arbeitgeber kann aber im Zwangsvollstreckungsverfahren Umstände vortragen, die ergeben, dass das verlangte Zeugnis nicht der Wahrheit entspricht. Gelangt das Beschwerdegericht infolgedessen zur Auffassung, dass die Beklagte mit dem erteilten Zeugnis den titulierten Anspruch erfüllt hat,hat es den Zwangsgeldantrag zurückzuweisen. Dem Kläger bleibt dann nur die Möglichkeit, eine Zeugnisberichtigung im Wege eines neuen Erkenntnisverfahrens zu verlangen.

Folgerungen aus der Entscheidung

it der Entscheidung steht fest, dass die Formulierungshoheit hinsichtlich des Zeugnisses wirksam auf den Arbeitnehmer übertragen werden kann.

Der vom BAG aufgestellte Grundsatz der Vollstreckbarkeit eines Prozessvergleichs über die Erteilung eines inhaltlich nicht konkretisierten Inhalts ist rein theoretisch. Vom Arbeitgeber vorgetragene „nachvollziehbare Umstände" hindern nämlich genau diese Vollstreckbarkeit.

Praxishinweis

In einem Verfahren zur Zeugnisberichtigung sollte der Arbeitnehmer sich auf den Standpunkt stellen, mit der Übertragung der Formulierungshoheit sei eine Umkehr der Beweislast verbunden. Der Arbeitgeber müsse beweisen, dass der vom Kläger vorgelegte Zeugnisentwurf nicht der Wahrheit entspreche.

Quelle: RA Dr. Martin Kolmhuber - vom 15.11.11