Arbeitsrecht -

Verpflichtung zur Leistung von Überstunden muss arbeitsvertraglich vereinbart sein

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15.12.2011 - 2 Sa 559/11

Leistet ein Arbeitnehmer, der vertraglich nicht zur Leistung von Überstunden verpflichtet ist, der Anordnung von Überstunden durch den Arbeitgeber keine Folge, liegt kein Pflichtenverstoß vor.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Darum geht es

Ein Arbeitnehmer verlangt die Entfernung von zwei Abmahnungen aus der Personalakte. Regulärer Arbeitsbeginn bei seiner Arbeitgeberin ist 06:45 Uhr. Nach Abstimmung mit der Belegschaft ordnete die Arbeitgeberin ab Montag, den 28.02.2011 einen Arbeitsbeginn von 05:45 Uhr an. Der Arbeitnehmer kam am darauffolgenden Dienstag gegen 06:45 Uhr zur Arbeit, am Mittwoch um 07:57 Uhr. Die Arbeitnehmerin erteilte dem Arbeitgeber zwei Abmahnungen mit Datum vom 02.03.2011. In der ersten Abmahnung warf sie ihm vor, am Dienstag unentschuldigt erst um 06:45 Uhr zur Arbeit erschienen zu sein und in der zweiten Abmahnung, am Mittwoch zu spät zur Arbeit erschienen zu sein. In der zweiten Abmahnung wird auf den Verstoß vom Dienstag verwiesen.

Der Arbeitnehmer beruft sich darauf, dass die Arbeitgeberin seit vielen Monaten einseitig Überstunden angeordnet habe. Er selbst sei von den Überstunden ausgenommen gewesen. Die Arbeitgeberin habe ihm bereits im Oktober 2010 ausdrücklich untersagt, Überstunden zu leisten. Daher sei er davon ausgegangen, dass auch die Anordnung des früheren Arbeitsbeginns für ihn nicht gelten solle.
Die Arbeitgeberin beruft sich darauf, dass der Arbeitnehmer sowohl während der Abstimmung über den Zeitpunkt der Überstunden als auch bei deren Anordnung zugegen gewesen sei.

Das Arbeitsgericht Trier hat die Klage mit Urteil vom 23.08.2011 (1 Ca 574/11) abgewiesen. Nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist hat der Arbeitnehmer vorgetragen, er sei nach dem Inhalt der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen nicht verpflichtet, Überstunden zu leisten. Ein Vertragsverstoß läge daher nicht vor. Das LAG Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 15.12.2011 (2 Sa 559/11) das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Arbeitgeberin verurteilt, die beiden Abmahnungen vom 02.03.2011 aus der Personalakte zu entfernen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Der Arbeitnehmer hat sich in der Berufungsbegründung ausreichend mit der Begründung des arbeitsgerichtlichen Urteils auseinandergesetzt und dargelegt, weshalb diese fehlerhaft sei. Dass er einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen hat, macht das zulässig begründete Rechtsmittel nicht nachträglich unzulässig. Der Sachvortrag, der Arbeitnehmer sei zur Leistung von Überstunden nicht verpflichtet gewesen, kann auch berücksichtigt werden. Dem steht nicht entgegen, dass dieser entscheidende rechtliche Gesichtspunkt nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgetragen wurde. Dies hat nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits geführt. Die Parteien haben in der Berufungsverhandlung klargestellt, dass eine verbindliche Vereinbarung über die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Ableistung von Überstunden nicht getroffen wurde.

Der Arbeitnehmer hat keinen arbeitsvertraglichen Verstoß begangen. Grundsätzlich schuldet ein Arbeitnehmer nur die Arbeitsleistungen während der Regelarbeitszeit. Ob er darüber hinaus verpflichtet ist, Mehrarbeit zu leisten, hängt davon ab, aus welchen Gründen diese von ihm gefordert wird. Aus der arbeitsvertraglichen Treuepflicht ist er nur zur Leistung von Mehrarbeit verpflichtet, wenn einer Notlage anders nicht begegnet werden kann. Dies ist hier nicht der Fall gewesen. Da eine vertragliche Vereinbarung über die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Leistung von Arbeit über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus nicht feststellbar ist, liegt kein objektiver Pflichtenverstoß vor. Die erste Abmahnung ist deshalb fehlerhaft. Die zweite Abmahnung ist allein deswegen fehlerhaft, weil sie auf einen wiederholten Verstoß, den es nicht gegeben hat, Bezug nimmt.

Das arbeitsgerichtliche Urteil wäre ohne diesen berechtigten Einwand des Arbeitnehmers zu bestätigen gewesen. Die Berufung hat ausschließlich Erfolg, weil der Arbeitnehmer sich erstmals darauf berufen hat, dass er arbeitsvertraglich nicht zur Leistung von Überstunden verpflichtet sei. Diesen Vortrag hatte er in erster Instanz nicht gehalten, obwohl er dazu imstande gewesen wäre. Deshalb hat die Kammer in Anwendung von § 97 Abs. 2 ZPO dem Arbeitnehmer die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.

Folgerungen aus der Entscheidung

Die Entscheidung bestätigt die Rechtsprechung zur Frage der Verpflichtung zur Leistung von Überstunden und den Voraussetzungen einer berechtigten Abmahnung. Die Entscheidung des LAG, dem Arbeitnehmer die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, ist zu begrüßen. Sie macht deutlich, wie wichtig die ordentliche Ermittlung und ein vollständiger Tatsachenvortrag sind.

Praxishinweis

Die Durchführung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens zur Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte ist im Ergebnis ein Beweissicherungsverfahren auf Kosten des Arbeitnehmers. Diese leidvolle Erfahrung hätte sich der Arbeitnehmer ersparen können. Im vorliegenden Fall wäre eine Gegendarstellung oder ein Widerspruch gegen die Abmahnung, die zur Personalakte genommen werden, völlig ausreichend gewesen. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis später zum Beispiel aus verhaltensbedingten Gründen wegen häufigen Zuspätkommens, ist er auch hinsichtlich des Pflichtenverstoßes, der der Abmahnung zugrunde lag, voll darlegungs- und beweispflichtig. Er hätte also beweisen müssen, dass der Arbeitnehmer zur Ableistung von Überstunden verpflichtet ist und schuldhaft gegen diese Verpflichtung verstoßen hat.

Quelle: RA Dr. Martin Kolmhuber - vom 30.04.12