Arbeitsrecht -

Sozialauswahl nach AGG und KSchG

In welchem Verhältnis stehen die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu denjenigen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) über die Sozialauswahl?

Bei der aufgeworfenen Frage handelt es sich um eine der derzeit umstrittensten Fragen des deutschen Arbeitsrechts. Nach der Vorschrift des § 2 Abs. 4 AGG gelten für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes. Hierzu zählen die gesetzlichen Bestimmungen des BGB und insbesondere diejenigen des KSchG. Die von den Gerichten hieraus gezogenen Schlüsse sind vor dem Hintergrund des europäischen Rechts hingegen uneinheitlich.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Nach dem Urteil des ArbG Lörrach vom 23.01. 2007 – 1 Ca 426/06 zu § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB bleibt es bei der bloßen Anwendung des Kündigungsschutzrechts, wenn dessen Bestimmungen so eindeutig sind, dass eine richtlinienkonforme Auslegung nicht möglich ist. In diesem Sinne hat auch das LAG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 31.07. 2008 – 10 Sa 295/08 entschieden. Danach wäre wohl das Alter im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG als „hohes Alter“ zu interpretieren. Ähnlich beurteilt das LAG Düsseldorf die Rechtslage. Es hat die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB als eindeutig und einer Auslegung im Sinne des europäischen Antidiskriminierungsrechts nicht zugänglich eingeschätzt. Aus diesem Grunde hat es mit Beschluss vom 21.11. 2007 – 12 Sa 1311/07 dem EuGH im Vorlageverfahren nach Art. 234 EGV die Frage nach der Europarechtswidrigkeit der Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB vorgelegt.

Auf einer ganz anderen Linie liegen die Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg vom 24.07. 2007 – 7 Sa 561/07 und des LAG Schleswig-Holstein vom 28.05. 2008 – 3 Sa 31/08. Danach ist die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB europarechtswidrig und deshalb von deutschen Gerichten unangewendet zu lassen.

Allen Entscheidungen liegt die Auffassung zugrunde, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 4 AGG die Anwendung der Vorschriften des AGG über das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters im Bereich des gesamten Kündigungsschutzes ausschließe. Insbesondere verdrängt das Verbot der Benachteiligung wegen u.a. des Alters aus §§ 7 i.V.m. 1 AGG nicht die ältere Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB.

Überträgt man diese Auffassung auf die Vorschriften des KSchG, ergibt sich hieraus ein erhebliches Risiko für jeden Arbeitgeber, der eine ordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen ausspricht. Wendet er § 1 Abs. 3 KSchG an, besteht das Risiko, dass sich junge Arbeitnehmer auf die Vorschriften des AGG berufen. Lässt er die Vorschrift des § 1 Abs. 3 KSchG hingegen teilweise unangewendet, indem er lediglich auf die Auswahlkriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung abstellt, läuft er Gefahr, dass er gegen die Vorschrift des § 1 Abs. 3 KSchG verstößt, die einer Auslegung nicht zugänglich ist.

Völlig unbeachtet lassen die zuvor zitierten Entscheidungen hingegen die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG, nach der

„Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig (sind) in Bezug auf:
(…)
2. die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich (..) Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der (…) Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses.“

Das BAG beschreitet einen anderen Weg. Im Urteil vom 06.11.2008 – 2 AZR 701/07 geht es von einer umfassenden Geltung der Vorschriften des AGG auch im Kündigungsschutz aus:

„Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§§ 1 - 10 AGG) finden im Rahmen des Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Eine Kündigung, die ein Diskriminierungsverbot verletzt, kann daher sozialwidrig und damit unwirksam sein (§ 1 KSchG). Das Verbot der Altersdiskriminierung (§§ 1, 10 AGG) steht der Berücksichtigung des Lebensalters im Rahmen der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) nicht entgegen. Auch die Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG) ist nach dem AGG zulässig.“

Im entschiedenen Fall hatte ein Arbeitnehmer seine Kündigung mit der Begründung angegriffen, die Zuteilung von Sozialpunkten nach dem Lebensalter und die Bildung von Altersgruppen verstoße gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Der Arbeitgeber hatte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste vereinbart, dem eine Punktetabelle zugrunde lag. Die Tabelle sah u.a. für das Lebensalter Sozialpunkte vor. Die Sozialauswahl wurde nicht unter allen vergleichbaren Arbeitnehmern getroffen, sondern unter vergleichbaren Arbeitnehmern innerhalb von Altersgruppen, die jeweils bis zu zehn Jahrgänge umfassten (bis zum 25., 35., 45. und ab dem 55. Lebensjahr).

Das BAG beurteilt die Zuteilung von Sozialpunkten nach dem Lebensalter und die Altersgruppenbildung zwar als unterschiedliche Behandlung, die unmittelbar an das Alter anknüpft. Hingegen fände auch die Vorschrift des § 10 Satz 1 AGG Anwendung, die besondere Rechtfertigungsgründe aufführt, deren Vorliegen eine Benachteiligung ausschließt. Im entschiedenen Fall stellte das BAG an die Rechtfertigung keine zu hohen Anforderungen. Die Zuteilung von Alterspunkten führe mit einer hinnehmbaren Unschärfe zur Berücksichtigung von Chancen auf dem Arbeitsmarkt und im Zusammenspiel mit den übrigen sozialen Gesichtspunkten (Betriebszugehörigkeit, Unterhalt, Schwerbehinderung) nicht zu einer Überbewertung des Lebensalters. Die Bildung von Altersgruppen wirke der Überalterung des Betriebs entgegen und relativiere damit zugleich die Bevorzugung älterer Arbeitnehmer. Dies war nach Auffassung des BAG ausreichend.

Damit stellt das BAG klar, dass die Vorschriften des AGG und des KSchG nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis stehen, sondern die §§ 1- 10 AGG auch das Kündigungsschutzrecht beeinflussen.

Angemerkt sei insoweit, dass im Bereich des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB diese Erkenntnis nicht  weiterhilft.

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Martin Kolmhuber - Beitrag vom 10.12.08