Arbeitsrecht -

Prozesskostenhilfe bei zwei parallel geführten Prozessen

BAG, Beschl. v. 08.09.2011 - 3 AZB 46/10

In der Regel können nicht miteinander zusammenhängende Streitgegenstände dem Berechtigten Anlass geben, gesonderte Klagen einzureichen. Dafür ist in jedem Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Darum geht es:

Eine Arbeitnehmerin erhob eine Zahlungsklage. Sie machte Lohnrückstände für die Zeit von Oktober 2009 bis April 2010 geltend. Diese Klage wurde im Juni und Juli 2010 um Lohnrückstände für Mai und Juni 2010 erweitert. Ihr wurde für diese Klage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten bewilligt. {DB:tt_content:2566:bodytext}

Ebenfalls im Juni 2010 erhob sie in einem gesonderten Verfahren eine Kündigungsschutzklage. Auch hier hat sie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten beantragt. Das Arbeitsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts war es mutwillig, eine neue Klage zu erheben, statt die Zahlungsklage zu erweitern.

Gegen diese Entscheidung legte die Arbeitnehmerin sofortige Beschwerde ein und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Umfang der Mehrkosten, die durch eine Klageerweiterung im Verfahren über die Lohnzahlung entstünden.

Das LAG wies die sofortige Beschwerde zurück. Das BAG wies die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des LAG zurück.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Die zulässige Rechtsbeschwerde war nach Auffassung des BAG nicht begründet.

Prozessuale Hindernisse standen einer Entscheidung nicht entgegen, insbesondere war die sofortige Beschwerde statthaft.
Nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. § 11a Abs. 3, § 78 ArbGG ist die sofortige Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren immer statthaft, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 ZPO genannten Betrag von 600 € übersteigt. Dies setzt allerdings voraus, dass das Gericht die Prozesskostenhilfe nicht schon wegen der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen verneint hat.

Übersteigt der Wert der Beschwerde den Betrag von 600 €, ist die Berufung also ohne ausdrückliche Zulassung statthaft. § 127 Abs. 2 ZPO ordnet durch Verweis auf § 511 ZPO deshalb an, dass im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren die sofortige Beschwerde immer dann statthaft ist, wenn gegen eine Entscheidung in der Hauptsache ohne ausdrückliche Zulassung Berufung eingelegt werden könnte.
Anders als in § 511 ZPO ist die Statthaftigkeit der Berufung im arbeitsgerichtlichen Verfahren allerdings gem. § 64 Abs. 2 ArbGG anders geregelt. Danach ist die Berufung vor den Arbeitsgerichten unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstands immer dann möglich, wenn es um die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses geht.

Das BAG verweist im Folgenden auf die klare gesetzliche Regelung in § 114 Satz 1 ZPO. Danach erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Frage der Mutwilligkeit hat das BAG genau geprüft. Natürlich ist es wegen der degressiven Kosten und Gebühren günstiger, ein neues Klageziel im Wege der Erweiterung einer bereits anhängigen Klage zu erreichen.

Dabei gibt es nach Ansicht des Gerichts aber auch sachliche Gründe, die eine gesonderte Klage rechtfertigen. Es geht sogar davon aus, dass in der Regel die Vermeidung der Überfrachtung eines Verfahrens durch eine Vielzahl innerlich nicht miteinander zusammenhängender Streitgegenstände berechtigten Anlass geben kann, eine gesonderte Klage zu erheben.

Auch die Gefahr einer sonstigen Überlastung des ursprünglichen Rechtsstreits kann für getrennte Verfahren sprechen. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn eine unangemessene Verzögerung der Entscheidung über den ursprünglichen Streitgegenstand zu befürchten ist. Da bei Kündigungsstreitigkeiten nach den §§ 61a, 64 Abs. 8 ArbGG eine besondere Prozessförderungspflicht besteht, wird eine gesonderte Klageerhebung nach dem BAG sogar in den meisten Fällen angebracht erscheinen. In jedem Fall hat aber der Antragsteller die Gründe darzulegen, die ihn zur Erhebung einer gesonderten Klage veranlasst haben.

In dem entschiedenen Fall waren nach der Auffassung des BAG jedoch keine Gründe ersichtlich und von dem Antragsteller auch nicht vorgetragen. Deshalb war der Prozesskostenhilfeantrag insgesamt zurückzuweisen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Prozessbevollmächtigte werden aus zwei Gründen getrennte Verfahren anstrengen:

  1. Die Verfahren sollen nicht überlastet und damit schnell zu Ende gebracht werden.
  2. Es besteht die Möglichkeit der Abschöpfung höherer Gebührensätze.

In der Zukunft wird deshalb vermehrt mit gesonderten Verfahren zu rechnen sein.

Praxishinweis

Auch die Prozesskostenhilfepartei ist über die höheren Kosten aufzuklären. Denn sie muss dem Staat die gewährten Prozesskostenhilfegebühren ersetzen. Entschließt sich die Prozesskostenhilfepartei dazu, eine gesonderte Klage einzureichen, muss dies im Rahmen des Prozesskostenhilfeantrags begründet werden. Bei Bestandsstreitigkeiten dürfte dies nach dem vorliegenden Urteil des BAG keine großen Anstrengungen verursachen. Ein Hinweis auf die Prozessförderungspflicht aus den §§ 61 a, 64 Abs. 8 ArbGG wird zumeist schon ausreichen. Aber auch für alle übrigen Verfahren müssen die Begründungen nicht überfrachtet werden. Denn das BAG hat die Regel aufgestellt, dass nicht miteinander zusammenhängende Gegenstände berechtigten Anlass geben, eine gesonderte Klage zu erheben.

Quelle: RA Dr. Arno Schrader - vom 15.11.11