Arbeitsrecht -

Nachweis von Indizien im AGG

Kann der Nachweis der Vermutungstatsachen im Sinne des § 22 AGG durch eine Statistik geführt werden?

Dem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 zufolge, sind statistische Nachweise berücksichtigungsfähig.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Das Problem

Nach den Grundsätzen des deutschen Prozessrechts werden die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast der Prozessparteien danach bestimmt, wer sich auf das Vorliegen bestimmter Tatsachen beruft und in wessen Einflussbereich sich bestimmte Vorgänge ereignet haben.

Grundsatz

Grundsätzlich müsste derjenige, der Ansprüche wegen einer Benachteiligung geltend macht, den Vollbeweis für alle die Benachteiligung begründenden Umstände führen. Der Anspruchsgegner wäre hingegen für alle entlastenden Einreden und Einwendungen darlegungs- und beweispflichtig. Er müsste z.B. darlegen und beweisen, dass er eine Pflichtverletzung in Form eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot nicht zu vertreten hat (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG).

Ausnahme

Von dieser allgemeinen Beweislastverteilung weicht § 22 AGG zugunsten des Beschäftigten ab. Die Vorschrift des § 22 AGG ist auf dieselbe Wirkung gerichtet wie diejenige des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB. Anders als seinerzeit bei § 611a Abs.1 BGB wird aber vom Beschäftigten der volle Beweis von Indizien verlangt. Eine Erleichterung des Beweismaßes kommt dem Beschäftigten nicht zugute. Die bewiesenen Indizien selbst müssen nur die Vermutung für eine Benachteiligung tragen, nicht hingegen deren vollen Beweis.


Im Falle der Geltendmachung von Ansprüchen wegen einer Benachteiligung aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe, ergibt sich nach der Beweislastregel des § 22 AGG folgende abgestufte Darlegungs- und Beweislast der Parteien:

1. Stufe: Kläger – Beweis einer Benachteiligung

Der Kläger muss zunächst einmal zur vollen Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen, dass er gegenüber einer anderen Person ungünstiger behandelt worden ist. Auf dieser ersten Stufe des Nachweises der Ungleichbehandlung kommt dem Beschäftigten keinerlei Beweiserleichterung zugute.


2. Stufe: Kläger – Beweis von Indizien für Benachteiligungsgrund

Dann muss der Kläger Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Bei den Indizien handelt es sich also um sog. Vermutungstatsachen, aus denen sich auf eine unterschiedliche Behandlung aus einem in § 1 AGG genannten Grund schließen lässt. Auch insoweit muss der Kläger den vollen Beweis erbringen. Eine Absenkung des Beweismaßes ist damit nicht verbunden, dem Beschäftigten wird lediglich die Last genommen, dem Arbeitgeber bestimmte Motive für eine ungleiche Behandlung nachzuweisen. Die Vorschrift des § 22 AGG sieht eine Beweiserleichterung nur hinsichtlich dieser Gründe für eine Ungleichbehandlung zugunsten des Beschäftigten vor.

3. Stufe: Beklagter – Gegenbeweis

Ist es dem Kläger gelungen, eine ungleiche Behandlung und Indizien für eine diskriminierende Motivation des Beklagten zur vollen Überzeugung des Gerichts darzulegen und zu beweisen, muss der Beklagte den Gegenbeweis führen. Er muss zur vollen Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen, dass andere Gründe als die in § 1 AGG genannten die Ungleichbehandlung rechtfertigen oder aber dass die Ungleichbehandlung nach den Vorschriften des AGG zulässig ist.


Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der Eignung einer Statistik als Indiz im Sinne des § 22 AGG zu beurteilen. Erheblich ist diese Fragestellung immer dann, wenn eine mittelbare Diskriminierung i.S.d. § 3 Abs. 2 AGG behauptet wird. Wie sonst, wenn nicht durch die Darlegung und den Beweis einer besonderen Häufung von Ungleichbehandlungen von Arbeitnehmern, die ein bestimmtes Diskriminierungsmerkmal nach § 1 AGG aufweisen, soll im Falle von „dem Anschein  nach neutralen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren“ der Beweis denn geführt werden? Aus diesem Grunde wird die Möglichkeit des Beweises von Indizien durch einen statistischen Nachweis für Fälle, in denen sich der Beschäftigte auf eine mittelbare Benachteiligung beruft, überwiegend befürwortet (Vgl. z.B. Palandt (Grüneberg), 67. Aufl. 2008, § 22 AGG, Rn. 2; LNK-AGG (Kolmhuber) § 22 AGG Rn. 2; ArbG Stuttgart, 26.04.2007 - 15 Ca 11133/06).


Der Kläger hat darzulegen und zu beweisen, dass der Anteil der begünstigten Beschäftigten, die ein bestimmtes Merkmal nach § 1 AGG aufweisen, in der Gruppe aller begünstigten Beschäftigten signifikant geringer ist. Dann kann der Arbeitgeber gezwungen sein, Ausschreibungsunterlagen, das Anforderungsprofil einer ausgeschriebenen Stelle bzw. die Auswahlkriterien bzw. Stellenbeschreibungen vorzulegen und offenzulegen, wie viele Beschäftigte mit und ohne ein bestimmtes Merkmal nach § 1 AGG auf den relevanten Stellen beschäftigt werden.

Diese Grundsätze wurden nun durch das LAG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 26.11.2008 – 15 Sa 517/08 bestätigt.


Danach kann als Indiz für eine mittelbare Benachteiligung (im entschiedenen Fall für eine Geschlechtsdiskriminierung bei einer Beförderung auf einen Führungsposten) insbesondere auch eine Statistik über die Geschlechtsverteilung auf den einzelnen Hierarchieebenen herangezogen werden. Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg müssen statistische Nachweise schon deswegen berücksichtigungsfähig sein, da anderenfalls eine verdeckte Diskriminierung bei Beförderungen ("gläserne Decke") nicht ermittelbar wäre.

Das LAG Berlin-Brandenburg setzt sich ausführlich mit der Frage der Eignung von Statistiken auseinander und nimmt einen Gestaltungsauftrag an.


Anmerkung

M.E. ist dem LAG Berlin-Brandenburg nur bedingt zu folgen.

Die Eignung von Statistiken zum Nachweis von Indizien ist grundsätzlich zu befürworten. Dies folgt schon aus der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urt. v. 27.10.1993 – Rs. C-127/92 „Enderby“ und EuGH, Urt. v. 30.06.1988 - Rs. C-318/86 für Fälle, in denen das Entgeltsystem oder das Einstellungssystem völlig intransparent waren).

Es gilt aber zu beachten, dass das AGG erst seit 18.08.2006 geltendes Recht darstellt. Erst seit diesem Zeitpunkt ist auch die Vorschrift des § 22 AGG in Kraft. Bis zum Inkrafttreten des AGG nicht sanktionierte Maßnahmen der Personalentwicklung können also auch zum Nachweis einer mittelbaren Diskriminierung nicht herangezogen werden. Hat eine Unternehmen z.B. bis zum 17.08.2006 alle Führungspositionen nur mit Heterosexuellen, vom 18.08.2006 an aber nur mit Homosexuellen besetzt, liegt bei der ersten Beförderung eines Heterosexuellen nach Inkrafttreten des AGG auch dann kein Indiz für eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn der Anteil der Homosexuellen in Führungspositionen im Vergleich zur Gesamtbelegschaft unterdurchschnittlich ist.


Außerdem ist die Statistik auf relevante Daten zu beschränken. Wenn das LAG Berlin-Brandenburg auf gesamtgesellschaftliche Statistiken abstellt und daraus einen politischen Gestaltungsauftrag der Arbeitsgerichte ableitet, wird die Vorschrift des § 22 AGG verkannt. Ausschließlich aussagekräftige und fallbezogene Statistiken können Indizien i.S.d. § 22 AGG darstellen. Haben sich seit Inkrafttreten des AGG keine Frauen, die das entsprechende Eignungsprofil aufweisen, auf Führungspositionen beworben, können nicht statistische Aussagen über die Gesamtbelegschaft zum Nachweis eines Indizes herangezogen werden. Es fehlt an der notwendigen Eignung einer solchen Statistik.

Zuzugeben ist, dass dann im Einzelfall über die Eignung einer Statistik als Indiz entschieden werden muss. Gelingt dem Beschäftigten dieser Nachweis nicht, gelten die allgemeinen Regeln des Beweisrechts. Im diesem Fall ist dem Beschäftigten der Nachweis nicht gelungen.

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Martin Kolmhuber - Beitrag vom 20.01.09