Arbeitsrecht -

Inkenntnissetzen i.S.d. § 174 Satz 2 BGB ist gleichwertiger Ersatz für die Vorlage einer Vollmachtsurkunde

BAG, Urt. v. 14.04.2011 – 6 AZR 727/09

Die bloße Mitteilung der Kündigungsbefugnis des Funktionsinhabers im Arbeitsvertrag reicht für ein Inkenntnissetzen i.S.d. § 174 Satz 2 BGB nicht aus. Der Arbeitnehmer muss in die Lage versetzt werden, den jeweiligen Stelleninhaber zu identifizieren.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Darum geht es:

Die Parteien haben einen befristeten Arbeitsvertrag mit der Möglichkeit der ordentlichen Kündigung vereinbart. Insoweit heißt es im Arbeitsvertrag: „Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses kann auch durch den Objektleiter/Niederlassungsleiter ausgesprochen werden.“

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.08.2008 durch den zuständigen Niederlassungsleiter. Die Klägerin hatte vor der Kündigungserklärung keinen beruflichen Kontakt zu diesem Niederlassungsleiter und kannte ihn nicht. Auch wusste die Klägerin nichts von seiner Stellung als Niederlassungsleiter. Sie wies die Kündigung wegen der Nichtvorlegung einer Vollmachtsurkunde zurück. Das Arbeitsverhältnis endete spätestens mit Befristungsablauf am 31.03.2009.

Nach der Abweisung der Klage durch Urteil des ArbG Offenbach vom 04.12.2008 (3 Ca 375/08) gab das LAG Frankfurt/Main mit Urteil vom 24.08.2009 (16 Sa 2254/08) der Kündigungsschutz- und Zahlungsklage der Klägerin statt. Die Klägerin vollstreckte aus dem Berufungsurteil hinsichtlich der Zahlungsansprüche.

Die Beklagte verfolgt mit der Revision die Klageabweisung weiter und macht im Wege der Widerklage erstmals in der Revision die Rückzahlung der von ihr zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des LAG geleisteten Zahlungen geltend.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Das BAG hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Der mit dem Widerklageantrag verfolgte Anspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO kann weder im arbeitsgerichtlichen Verfahren noch in der Revisionsinstanz gestellt werden, soweit der Hauptsacheanspruch noch rechtshängig ist. Es handelt sich um einen prozessrechtlichen Anspruch, dessen Umfang durch die materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 812 ff. BGB bestimmt wird. Er kann auch im Wege der Widerklage verfolgt werden.

Sinn von § 717 Abs. 3 ZPO ist es, nach Aufhebung des die Vollstreckung ermöglichenden Urteils Vermögensverschiebungen, die ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind, so schnell wie möglich rückgängig zu machen. Bis zur Urteilsaufhebung durch das Revisionsgericht besteht der Bereicherungsanspruch nur bedingt. Die Urteilsaufhebung ist ein innerprozessuales Ereignis, ohne dessen Eintritt über den Antrag gem. § 717 Abs. 3 ZPO nicht zu befinden ist.
Ausgehend davon handelt es sich bei diesem Antrag in jedem Fall um einen Eventualantrag. Wegen des Obsiegens der Klägerin ist der von der Beklagten geltend gemachte Anspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO nicht zur Entscheidung angefallen.

Die Kündigung der Beklagten vom 25.08.2008 ist wegen der unverzüglichen Zurückweisung der Kündigung durch die Klägerin unwirksam. Das Zurückweisungsrecht ist gem. § 174 Satz 2 BGB nur ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber dem Erklärungsempfänger die Bevollmächtigung vorher mitgeteilt hat.
Die Vorschrift des § 174 BGB dient dazu, klare Verhältnisse zu schaffen. Der Empfänger einer einseitigen Willenserklärung soll nicht nachforschen müssen, welche Stellung der Erklärende hat und ob damit das Recht zur Kündigung verbunden ist oder üblicherweise verbunden zu sein pflegt. Das Inkenntnissetzen gem. § 174 Satz 2 BGB muss darum ein gleichwertiger Ersatz für die fehlende Vorlage der Vollmachtsurkunde sein.

Die Mitteilung der Kündigungsbefugnis des jeweiligen Inhabers einer bestimmten Funktion durch den Arbeitgeber stellt lediglich die Kundgabe der Erteilung einer Innenvollmacht dar. Diese genügt den Anforderungen an ein Inkenntnissetzen i.S.d. § 174 Satz 2 BGB allein noch nicht. Hierfür bedurfte es eines weiteren Handelns der Beklagten, durch das es der Klägerin möglich gewesen wäre, die zur Kündigung berechtigte Person zu identifizieren. Ausreichend für ein solches Inkenntnissetzen ist es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Zugang der Kündigung in die Lage versetzt, diese Person unschwer in Erfahrung zu bringen. In Frage kommen z.B. ein Aushang an der Arbeitsstelle oder die Möglichkeit der Auskunftseinholung bei einem jederzeit leicht erreichbaren Vorgesetzten. Voraussetzung ist jedoch nicht, dass der Arbeitnehmer diese Informationsmöglichkeit vor Zugang der Kündigung auch nutzt.

Nicht ausreichend ist hingegen der Hinweis des Kündigenden auf die Vertreterstellung im Kündigungsschreiben.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das BAG vertieft und bekräftigt mit dieser Entscheidung seine ständige Rechtsprechung zu den Anforderungen, die an ein rechtzeitiges Inkenntnissetzen der Arbeitnehmer von der Kündigungsbefugnis eines Bevollmächtigten zu stellen sind.

Quelle: RA Dr. Martin Kolmhuber - vom 22.07.11