Arbeitsrecht -

Für die Besetzung freier Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besteht eine Prüfpflicht

BAG, Urt. v. 13.10.2011 - 8 AZR 608/10

Arbeitgeber müssen prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Dazu gehört auch das Einschalten der Agentur für Arbeit.

Darum geht es:

in mit einem Grad von 60 schwerbehinderter Arbeitnehmer bewarb sich bei einer Gemeinde auf eine ausgeschriebene Stelle für eine Mutterschaftsvertretung. Die Stelle lag im Bereich Personalwesen, Bauleitplanung, Liegenschaften und Ordnungsamt. Als Vorbildung gab der Arbeitnehmer {DB:tt_content:2566:bodytext}

  • eine kaufmännische Ausbildung,
  • ein Fachhochschulstudium der Betriebswissenschaft und
  • die Ausbildung zum gehobenen Verwaltungsdienst an.

Die Gemeinde hat nicht geprüft, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden konnte. Sie hat keinen Kontakt zur Agentur für Arbeit aufgenommen, sondern die Stelle mit einem anderen Bewerber besetzt.

Der Arbeitnehmer verlangte daraufhin eine Entschädigung, da er sich wegen seiner Behinderung benachteiligt sah.

Im Anschluss an dieses Bewerbungsverfahren machte der Arbeitnehmer auch gegenüber anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften Ansprüche auf Entschädigungen geltend. Im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vor dem LAG Baden-Württemberg verlangte er bereits in 27 Fällen Entschädigungsansprüche. In diesen Verfahren hatte er wie in dem vorliegenden auf eine Behinderung, teils aber auch auf eine Schwerbehinderung hingewiesen. Einige Verfahren wurden außergerichtlich erledigt. In zahlreichen anderen Fällen sind jedoch noch Verfahren vor den Arbeitsgerichten und Verwaltungsgerichten anhängig.

Mit einer Klage begehrte der Arbeitnehmer von der Gemeinde eine Entschädigung in Höhe von mindestens drei Bruttomonatsgehältern. Dies entspricht einer Summe von 6.689,85 €.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Vor dem BAG hatte der Arbeitnehmer jedoch Erfolg.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Das BAG verwies zunächst auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX. Insoweit ist die Rechtslage klar: Arbeitgeber sind danach stets verpflichtet zu prüfen, ob sie freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen können. Um diese Prüfung vollständig durchführen zu können, müssen sie sich frühzeitig mit der Agentur für Arbeit in Verbindung setzen. Klargestellt hatte das BAG auch, dass diese Pflicht nicht nur die öffentlichen Arbeitgeber trifft, sondern sämtliche Arbeitgeber. Wird diese Pflicht verletzt, kann sich ein abgelehnter schwerbehinderter Bewerber darauf berufen, dass dies seine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lässt.

Die Prüfpflicht für Arbeitgeber besteht unabhängig davon, ob sich ein schwerbehinderter Mensch beworben hat oder ob er bei seiner Bewerbung diesen Status offenbart hat. Verletzt der Arbeitgeber seine Prüfpflicht, so ist dies ein Indiz dafür, dass er einen abgelehnten schwerbehinderten Menschen wegen der Behinderung benachteiligt hat. Er hat seine Förderungspflichten unbeachtet gelassen.

In dem vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber die Vermutung der Benachteiligung nicht widerlegen. Das BAG hat den Rechtsstreit an das zuständige LAG zurückverwiesen. Dieses wird nun über die Höhe der dem Kläger zustehenden Entschädigung zu entscheiden haben.

Folgerungen aus der Entscheidung

Wie das LAG hat auch das BAG offensichtlich die von dem Arbeitnehmer bisher geführten anderen 27 Rechtsstreite gegen öffentliche Arbeitgeber nicht ausreichen lassen, um auf einen Rechtsmissbrauch zu schließen. Es hat dem geltend gemachten Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) entsprochen. Danach ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Bewerber eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Es wird also erkennbar, dass die Höchstgrenze bei weitem nicht bei drei Monatsgehältern zu ziehen ist. Die Entschädigungsansprüche können - insbesondere bezüglich der Vermögensschäden noch wesentlich höher werden.

Deutlich hat das BAG die Arbeitgeber auf ihre gesetzliche Verpflichtung aus § 81 Abs. 1 SGB IX hingewiesen.

Praxishinweis

Alle Arbeitgeber haben das Urteil und die seit 2006 existierende Gesetzeslage nunmehr in der Praxis zu beachten. Es ist künftig bei jeder freien Stelle

  • zu prüfen und zu dokumentieren, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann und
  • in jedem Fall die Agentur für Arbeit einzuschalten.

Findige Arbeitgeber werden nun die Frage stellen, ob die Agentur für Arbeit auch nach einer negativen Prüfung zu involvieren ist, nämlich in dem Fall, in dem der Arbeitgeber festgestellt hat, dass die Stelle nicht für einen schwerbehinderten Menschen geeignet ist. Davor ist ausdrücklich zu warnen. Teil der Prüfung ist das Einschalten der Agentur für Arbeit.

Rechtsberater sollten Arbeitgeber dringend und schnellstmöglich auf dieses neue Urteil des BAG hinweisen. Allein das Nichteinschalten der Agentur für Arbeit indiziert eine Diskriminierung und hat die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen zur Folge.

Quelle: RA Arno Schrader - vom 15.11.11