Der Vertretungszwang durch Prozessbevollmächtigte nach § 11 Absatz 4 ArbGG erfasst vor dem Bundesarbeitsgericht auch die Einlegung eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil, das im Revisionsverfahren ergangen ist. Das Versäumnisurteil muss demnach auch keinen Hinweis auf den für die Einlegung des Einspruchs geltenden Vertretungszwang enthalten. Das hat das BAG entschieden.
Sachverhalt
Eine 54-jährige Arbeitnehmerin russischer Herkunft bewarb sich im Wege einer Onlinebewerbung am 04.05.2015 erfolglos auf eine Stelle als „Java Software Entwickler (w/m)“. Die Absage des Arbeitgebers ging im E-Mail-Postfach der Klägerin am 13.05.2015 ein. Da sich die Arbeitnehmerin diskriminiert fühlte, hat sie einen Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG geltend gemacht. Die Klage ist am 16.07.2015 beim ArbG eingegangen. Das ArbG Frankfurt am Main hat die Klage mit Urteil vom 11.01.2016 (9 Ca 4991/15) abgewiesen.
Auf Antrag der Klägerin vom 07.03.2016 ist ihr mit Beschluss vom 21.04.2016 Prozesskostenhilfe für den Berufungsrechtszug unter Beiordnung eines Rechtsanwalts bewilligt worden. Sodann ist der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufung- und Berufungsbegründungsfrist gem. § 234 Abs. 1, Satz 1und Satz 2 ZPO gewährt worden, weil sie innerhalb der Notfrist des § 64 Abs. 6 ArbGG, § 517 ZPO einen vollständigen Prozesskostenhilfeantrag beim zuständigen LAG Hessen eingereicht hatte.
Das LAG Hessen hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 01.11.2016 (8 Sa 301/16) zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren vor dem BAG am 23.11.2017 hat die Klägerin keinen Antrag gestellt. Daraufhin ist gegen die Klägerin am 23.11.2017 ein Versäumnisurteil ergangen, das ihr persönlich am 02.12.2017 und ihrem Prozessbevollmächtigten am 07.12.2017 zugestellt wurde. Hiergegen hat die Klägerin selbst mit Schriftsätzen vom 30.11.2017 und vom 05.12.2017, beim BAG am 04. bzw. 07.12.2017 eingegangenen, Einspruch eingelegt.
Das BAG hat die Klägerin mit gerichtlichen Schreiben vom 11.04.2018 an sie persönlich und ihren Prozessbevollmächtigten, zugegangen am 14. bzw. 18.04.2018, auf ihre fehlende Postulationsfähigkeit hingewiesen. Das BAG hat den Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil vom 23.11.2017 als unzulässig verworfen.
Wesentliche Aussagen der Entscheidung
Der Einspruch ist gem. § 72 Abs. 5 ArbGG i.V.m. § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Da die Vorschrift des § 72 Abs. 6 ArbGG die Bestimmung des § 59 Satz 2 ArbGG nicht in Bezug nimmt, besteht im Revisionsverfahren die Notwendigkeit der Vertretung durch Prozessbevollmächtigte.
Der Vertretungszwang des § 11 Abs. 4 Satz 1 ArbGG erstreckt sich auf die Einlegung des Einspruchs gegen ein im Revisionsverfahren ergangenes Versäumnisurteil. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 Satz 2 ArbGG, unter denen eine Partei Prozesshandlungen ausnahmsweise selbst vornehmen kann, liegen im Fall der Klägerin nicht vor.
Etwas Abweichendes folgt nicht daraus, dass das Versäumnisurteil keinen Hinweis auf den für die Einlegung des Einspruchs geltenden Vertretungszwang enthält. Der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil ist kein Rechtsmittel i.S.v. § 9 Abs. 5 ArbGG.
Im Übrigen wäre der Einspruch selbst dann zu verwerfen, wenn man annähme, dass mit der Zustellung des Hinweises auf die mangelnde Postulationsfähigkeit eine neue Frist zur formgerechten Einlegung des Einspruchs in Gang gesetzt worden wäre. Die Klägerin hat sich bei der Einlegung des Einspruchs nicht von ihrem Prozessbevollmächtigten vertreten lassen, obgleich ihr dies möglich gewesen wäre.
Folgerungen aus der Entscheidung
Die Botschaft des BAG ist klar und deutlich. Vor dem BAG müssen sich die Parteien bei der Vornahme von Prozesshandlungen durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies stellt keine Überraschung dar, sondern die Bestätigung und Vertiefung des Urteils vom 08.05.2014 (6 AZR 465/12).
Schon seinerzeit hatte das BAG die Frage nach dem Vertretungszwang durch Prozessbevollmächtigte beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil des BAG beantwortet: „Der Einspruch unterliegt dem Vertretungszwang. § 59 Satz 2 ArbGG ist für das Revisionsverfahren durch § 72 Abs. 6 ArbGG anders als für das Berufungsverfahren nach § 64 Abs. 7 ArbGG nicht in Bezug genommen.“ Der Hilfserwägung des BAG hätte es nicht bedurft.
Praxishinweis
In dem Fall waren im Instanzenzug die Fristenregelungen nicht die besten Freunde der Klägerin. Dies sollte Anlass sein, sich mit der Frage des Vertretungszwangs vor den Arbeitsgerichten noch einmal zu befassen. Die Vorschrift des § 11 Abs. 4 Satz 1 ArbGG begründet den Vertretungszwang vor dem BAG und dem LG. Die Parteien müssen sich durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen.
Dies gilt ausnahmsweise nicht für Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können. Die Vorschrift des § 59 Satz 2 ArbGG sieht ausdrücklich vor, dass der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil „durch Abgabe einer Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt“ werden kann. Diese Vorschrift findet ausschließlich im Berufungsverfahren Anwendung (§ 64 Abs. 7 ArbGG). Bei einem Einspruch gegen ein zweitinstanzliches Versäumnisurteil besteht folglich kein Vertretungszwang. Vielmehr kann die Partei selbst den Einspruch schriftlich oder durch Abgabe einer Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle einlegen.
Die fehlende Verweisung auf die Vorschrift des § 59 ArbGG in § 72 Abs. 6 ArbGG hat auch zur Folge, dass die Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil in der Revisionsinstanz gem. § 72 Abs. 5 ArbGG i.V.m. §§ 565, 539 Abs. 3, 339 Abs. 1 ZPO zwei Wochen beträgt.
BAG, Urt. v. 07.06.2018 - 8 AZR 26/17
Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber