Arbeitsrecht -

Einsatz des Privatfahrzeugs im Rahmen der Rufbereitschaft – Arbeitgeber haftet für Schäden

BAG, Urt. v. 22.06.2011 - 8 AZR 102/10

Darum geht es:

Ein Oberarzt war in einem Klinikum beschäftigt. An einem Sonntag hatte er Rufbereitschaft und hielt sich in einer einige Kilometer von seinem Arbeitsplatz entfernten Wohnung auf. Als er zur Dienstaufnahme gerufen wurde, machte er sich mit seinem Privatfahrzeug auf den Weg in die Klinik. Dabei rutschte er mit seinem Pkw von der glatten Straße in den Graben. Nun verlangt er von seinem Arbeitgeber die Erstattung des dadurch an seinem Pkw entstandenen Schadens in Höhe von 5.727,52 €. Die Vorinstanzen haben die Klage des Arztes abgewiesen, die Revision hatte jedoch vor dem BAG Erfolg.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Nach Ansicht des BAG hat ein Arbeitnehmer, der im Rahmen seiner Rufbereitschaft bei der Fahrt von seinem Wohnort zur Arbeitsstätte mit seinem Privatwagen verunglückt, grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz des an seinem Pkw entstandenen Schadens gegen seinen Arbeitgeber. Die Höhe des Schadensersatzanspruchs bemisst sich nach den Regeln des innerbetrieblichen Schadensausgleichs.

Aus diesem Grund hat der Senat den Fall an das zuständige LAG zurückverwiesen. Dieses hat die Höhe des Unfallschadens und den Grad des Verschuldens des Oberarztes festzustellen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Arbeitgeber sollten also keinesfalls das Risiko eines Unfallschadens bei Arbeitnehmern in Rufbereitschaft außer Acht lassen. Insbesondere die Regeln des innerbetrieblichen Schadensausgleichs sind hier zu berücksichtigen und im Vorfeld abzuwägen.
Der innerbetriebliche Schadensausgleich ist in entsprechender Anwendung des § 254 BGB aufgrund einer Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere des Verschuldens des Arbeitnehmers auf der einen und des Betriebsrisikos des Arbeitgebers auf der anderen Seite, vorzunehmen.

Grundsätzlich hat der Schuldner nach § 276 BGB für Vorsatz und Fahrlässigkeit einzustehen. Schädigt bei betriebsbezogenen Tätigkeiten der Arbeitnehmer allerdings den Arbeitgeber, haftet der Arbeitnehmer bei leichtester Fahrlässigkeit unter bestimmten Voraussetzungen nicht, während bei mittlerer, ausnahmsweise sogar bei grober Fahrlässigkeit, eine Schadensteilung eintritt.
Der vorsätzlich handelnde und im Regelfall auch der grob fahrlässig handelnde Arbeitnehmer haftet hingegen voll.
Das Verschulden muss sich nicht nur auf die Pflichtverletzung, sondern auch auf den Eintritt des Schadens beziehen.
Der Gefahrentlastung des Arbeitnehmers liegt der Gedanke zugrunde, dass das mit der Tätigkeit verbundene Schädigungsrisiko ein Betriebsrisiko des Arbeitgebers ist. Deshalb ist diesem Betriebsrisiko ein Mitverschulden des entstandenen Schadens analog § 254 BGB gegenüberzustellen. Es ist also eine Abwägung von Verschulden und Betriebsrisiko vorzunehmen. Dabei sind nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen:

  • die Höhe des Schadens,
  • das vom Arbeitgeber einkalkulierte Risiko,
  • das durch Versicherungen deckbare Risiko,
  • die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb,
  • die Höhe des Arbeitsentgelts des Arbeitnehmers,
  • die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers,
  • die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers,
  • das Lebensalter des Arbeitnehmers,
  • seine Familienverhältnisse,
  • sein bisheriges Verhalten und
  • hier insbesondere seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.


Die Rechtsprechung berücksichtigt in der Praxis alle Umstände für die Schadensteilung. Arbeitnehmeranwälte sollten in Prozessen also sämtliche den Arbeitnehmer entlastende Umstände vortragen.

Die Regeln der Haftungsverteilung gelten für alle Arbeitnehmer des Betriebs, auch für leitende Angestellte und Leiharbeitnehmer im Verhältnis zum Entleiher. Lediglich für Geschäftsführer sollen die Haftungserleichterungen nicht gelten. Das Betriebsrisiko ist durch den Dienstvertrag oder den Abschluss einer entsprechenden Versicherung abzusichern.

Arbeitsrecht ist Arbeitnehmerschutzrecht und die Regeln zur Haftungsbeschränkung können durch arbeitsvertragliche Regelungen nicht ausgeschlossen werden. Dies gilt selbst für Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge.

Quelle: RA Arno Schrader - vom 28.10.11