Arbeitsrecht -

Diskriminierungsverbote und Kündigungsschutz

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hat immer stärkere Auswirkungen auf Rechtsstreitigkeiten. Insbesondere im Kündigungsschutzrecht liegt zwischenzeitlich eine Vielzahl wichtiger Entscheidungen vor.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gehört mittlerweile zum Arbeitsalltag. Gerade deshalb sollten Kollegen, die sich vornehmlich mit dem Kündigungsschutzrecht befassen, die Auswirkungen für sich und ihre Mandanten nutzen.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Begonnen hat alles am 27.11.2000, also vor ca. neun Jahren. Die Richtlinie des Rates 2000/78/EG von diesem Tag beschäftigt sich mit der Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Die sog. Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie ist eines der Kernstücke der Gleichstellungspolitik der Europäischen Union.

Die Umsetzung hatte grundsätzlich bereits bis zum 02.12.2003 zu erfolgen. Die Umsetzungsfrist konnte auf Antrag jedoch verlängert werden.

Die Bundesrepublik hat die Richtlinie 2000/78/EG durch das Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung umgesetzt und als dessen wichtigsten Bestandteil das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft treten lassen.

Das AGG

Das AGG verbietet unzulässige Benachteiligungen. Die Diskriminierungsmerkmale sind in § 1 AGG aufgezählt. Es handelt sich dabei um folgende Merkmale:

  • Rasse
  • ethnische Herkunft
  • Geschlecht
  • Religion
  • Weltanschauung
  • Behinderung
  • Alter
  • sexuelle Identität

Das Problem der Kündigungsfristen

In § 622 BGB sind die gesetzlichen Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen aufgeführt. Eine besondere Bedeutung kommt hier § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB zu. Darin heißt es wörtlich: „Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt.“

Diese Norm könnte gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung, wie sie auch in der Richtlinie 2000/78/EG niedergelegt sind, verstoßen.

Was ist aber mit § 2 Abs. 4 AGG? Dort heißt es: „Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.“

Hier hat die Rechtssprechung verschiedene Lösungsmöglichkeiten entwickelt.

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.07.2007 - 7 Sa 561/07

Das LAG stellt zunächst einen Verstoß gegen die Richtlinie fest. Dies führe dazu, dass die Regelung im BGB bei der Berechnung der Kündigungsfristen nicht anzuwenden sei. Das Verbot der Altersdiskriminierung sei ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, dessen Geltung in den Mitgliedsstaaten nicht von der vorherigen Umsetzung einer Richtlinie durch die Mitgliedsstaaten abhänge. Deshalb sei auch eine Vorlage an den EuGH nicht erforderlich.

LAG Düsseldorf, Vorlagebeschl. v. 21.11.2007 - 12 Sa 1311/07

Das LAG Düsseldorf ist einen anderen Weg gegangen. Es hat die Entscheidung dem EuGH als Vorabentscheidung vorgelegt. Insbesondere wird die Frage interessant sein, ob die Regelung im BGB unter Umständen sogar gerechtfertigt ist.

Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof ist der Auffassung, dass die altersabhängige Staffelung von Kündigungsfristen gegen EU-Antidiskriminierungsregeln verstößt. Auch vertritt er die Meinung, dass entgegenstehende nationale Rechtsvorschriften, also hier das BGB, Gerichte nicht anwenden dürfen.

Eine Entscheidung soll noch in diesem Jahr gefällt werden.

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 31.07.2008 - 10 Sa 295/08

Das LAG Rheinland-Pfalz hält eine Rechtfertigung der Diskriminierung für nicht ausgeschlossen. Das Gericht überlässt dem BGH eine eventuelle Vorlage dem BAG. Jedenfalls sagt es deutlich, dass die Rechtsprechung in Deutschland das Gesetz so lange anwenden müsse, bis das Gesetz verändert sei oder für nichtig erklärt werden würde.

Gleichbehandlung und Behinderung

Der EuGH hat am 17.07.2008 zu Az.: C-303/06 in seiner Coleman-Entscheidung den Schutz vor Diskriminierungen massiv ausgeweitet. In der Entscheidung ging es um die Frage, ob der Schutz vor Diskriminierungen nur von demjenigen beansprucht werden kann, der selbst behindert ist, oder ob auch Dritte erfasst werden.

Die Klägerin, Frau Coleman, ist Mutter eines behinderten Sohnes und hatte geltend gemacht, von ihrer Arbeitsgeberin als „faul“ bezeichnet worden zu sein, als sie frei nehmen wollte, um ihren Sohn zu betreuen. Weiterhin sei ihr vorgeworfen worden, sie benutze ihr „scheiß Kind“, um ihre Arbeitsbedingungen zu manipulieren. Frau Coleman hat vor dem EuGH Recht bekommen!

In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des EuGH vom 11.07.2006 - C-13/05 (Chacón Navas) interessant. Anlass der Entscheidung war die Vorlage eines spanischen Gerichts, welches über eine krankheitsbedingte Kündigung entscheiden musste. Es warf unter anderem die Frage auf, ob eine solche Kündigung gegen das Diskriminierungsverbot fällt. Der EuGH entschied ganz klar, dass eine Krankheit nicht als weiteres Merkmal einer Person anerkannt werden kann, welches unter das Diskriminierungsverbot der Richtlinie fällt.

Aber: Eine Einschränkung, die auf einer Krankheit basiert, kann unter den Behinderungsbegriff fallen, wenn sie wahrscheinlich von langer Dauer ist.

Deshalb können auch langfristige Erkrankungen oder chronische Erkrankungen künftig als Behinderung zu werten sein. Insoweit ist bei krankheitsbedingten Kündigungen seit der Entscheidung stets die Diskriminierungsproblematik durch Rechtsberater zu beachten.

Sozialauswahl und AGG

Das Arbeitsgericht Osnabrück (Urt. v. 03.07.2007 - 3 Ca 199/07) hat gleich die gesamten Norm des § 2 Abs. 4 AGG für europarechtswidrig erklärt und daher nicht angewandt. Dies war wohl etwas verfrüht.

Das Bundesarbeitsgericht

Das BAG hat in verschiedenen Entscheidungen (u.a. Urt. v. 19.06.2007 - 2 AZR 304/06, Urt. v. 06.11.2008 - 2 AZR 523/07 und Urt. v. 12.03.2009 - 2 AZR 418/07) seine Meinung zur Sozialauswahl getroffen. Danach sind grundsätzlich Altersgruppenbildungen und Punktevergaben bei der Sozialsauswahl möglich. Der Rechtsberater sollte jedoch genau aufpassen und sich an die von BAG aufgestellten Vorgaben halten.

Krankheit und Altersdiskriminierung

Abschließend soll auf eine interessante Entscheidung des LAG Baden-Württemberg vom 18.06.2007 - 4 Sa 14/07 kurz eingegangen werden. Das Landesarbeitsgericht stellte fest, dass eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen eine unzulässige Altersdiskriminierung darstellen könne. Dieses könnte insbesondere dann gegeben sein, wenn einem älteren Arbeitnehmer wegen Fehlzeiten, die über den durchschnittlichen Fehlzeiten von jüngeren Arbeitnehmern liegen, gekündigt wird, er sich aber noch im Rahmen der durchschnittlichen Fehlzeiten vergleichbarer Arbeitnehmer seiner Altersgruppe bewegt.

In dem entschiedenen Fall hatte der Kläger zwar keinen Erfolg, es wird jedoch deutlich, dass hier große Problemfelder bei der Kündigung älterer Arbeitnehmer stecken.

Fazit

Rechtsberater auf Seiten des Arbeitnehmers sowie auf Seiten des Arbeitsgebers sollten den Diskriminierungsschutz stets beachten und den jeweiligen Auftraggeber darauf hinweisen. Gerade bei der Kündigung älterer Arbeitnehmer und kranker Arbeitnehmer werden häufig Diskriminierungs-Tatbestände verwirklicht, die sachlich nicht gerechtfertigt sein dürften. Dies kann nicht nur zu einem Verlust des Rechtsstreits führen, sondern auch erhebliche Entschädigungszahlungen nach sich ziehen.

Checkliste für Arbeitgeber

Anhand der folgenden Checkliste können Arbeitgeber und/oder deren Rechtsvertreter prüfen, ob sie ihre Personalmaßnahmen AGG-konform durchführen.

  1. Es wird ein diskriminierungsfreies Auswahlverfahren bei Einstellungen sichergestellt:
    > Stellenausschreibungen werden geschlechtsneutral formuliert und
    > es werden keine diskriminierenden Anforderungen gestellt, wie „ausschließlich Bewerber bis 30 Jahre“.
  2. Einstellungsentscheidungen werden stets auf objektive Kriterien gestützt.
  3. Es werden keine unzulässigen Fragen in Einstellungsgesprächen gestellt, zum Beispiel nach Alter, Schwangerschaft, sexueller Ausrichtung, ethnischer Herkunft.
  4. Personalentscheidungen werden immer schriftlich dokumentieren. Diese Dokumentation wird mindestens zwei Monate aufbewahrt.
  5. Bestehende Arbeitsverträge werden auf Diskriminierungen geprüft.Sämtliche vorhandene Stellen und Arbeitsplätze werden auf mögliche Diskriminierungen und Ungleichbehandlungen untersucht.
  6. Geschlechts- oder altersbezogene Benachteiligungen werden sofort abgebaut.
  7. Der Gesetzestext des AGG hängt im Betrieb wie alle aushangpflichtigen Gesetze aus.
  8. Es wird eine Beschwerdestelle im Betrieb eingerichtet.
  9. Die Arbeitnehmer werden gesondert über die Fristen und die Behandlung von Beschwerden nach dem AGG informiert.
  10. Betriebsräte werden zum Thema AGG geschult.
  11. Diskriminierungen werden sofort beseitigt.
  12. Im Fall von Kündigungen werden Diskriminierungen wegen Krankheit, Behinderungen und wegen des Alters vermieden.
  13. Im Fall von Kündigungen werden insbesondere in der Sozialauswahl keine Diskriminierungen vorgenommen.

Quelle: Rechtsanwalt und FaArbR Arno Schrader, Herford - Beitrag vom 01.10.09