Arbeitsrecht -

Die Benachteiligung wegen des Alters unter der Geltung des AGG

Bereits kurz nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) bildete sich die einhellige Meinung heraus, dass in Deutschland insbesondere das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters gem. § 7 Abs. 1 AGG eine zentrale Rolle spielen würde. So genannte Altersprivilegien sind im deutschen Gesetzesrecht und insbesondere in Tarifverträgen ebenso institutionalisiert wie Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 GG durch Altersgrenzen. Bisher waren das BVerfG und das BAG sehr zurückhaltend bei der Beschränkung der Gestaltungsfreiheit von Gesetzgeber und Sozialpartnern. Das BAG ging unter der Prämisse der Richtigkeitsgewähr davon aus, dass die Sozialpartner angemessene Regelungen treffen, das BVerfG räumte dem deutschen Gesetzgeber ein erhebliches Ermessen und das Recht zum prognostischen Irrtum ein. Gegenwärtig werden die überkommenen Wertungen des nationalen Gesetzgebers und der nationalen Sozialpartner durch den EuGH und die Arbeitsgerichte an den Maßstäben des Europäischen Rechts überprüft. Das Ergebnis dieser Überprüfung hat erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für die deutschen Arbeitgeber – denn auch im Bereich des AGG gilt der Grundsatz: Der Arbeitgeber zahlt immer und alles, selbst wenn er rechtstreu und redlich handelt!

Die bisher ergangenen Entscheidungen lassen sich in zwei unterschiedliche Gruppen kategorisieren, nämlich die Überprüfung von Altersgrenzen, mit denen ältere Beschäftigte bei der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit beschränkt werden, und die Überprüfung von Altersprivilegien, die ältere Arbeitnehmer gegenüber jüngeren Arbeitnehmern wegen des Alters bevorzugen. Von besonderer Bedeutung ist die Abstimmung der Vorschriften des AGG mit denjenigen des KSchG. Die nachfolgende Auswahl an Entscheidungen orientiert sich an deren Aktualität und Relevanz.

1. Die Überprüfung von Altergrenzen

Altersgrenzen sind in zwei Formen anfällig für Benachteiligungen: solche, deren Überschreitung zur Beendigung der Berufsausübung führt, und solche, deren Überschreitung ein Hindernis für die Aufnahme einer Beschäftigung ist. Gegenwärtig und in Zukunft kommen sämtliche Regelungen erneut auf den Prüfstand.

• EuGH, Urt. v. 12. 01.2010 — Rs. C-341/08 („Petersen“)

Der EuGH hat die gesetzliche Festlegung einer Höchstaltersgrenze von 68 Jahren in §§ 95 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V für Vertragszahnärzte für europarechtswidrig erklärt. Den Rechtfertigungsgrund des Schutzes der Krankenversicherten erkennt der EuGH zwar grundsätzlich an. Die Rechtfertigung war im vorliegenden Fall aber nicht konsistent, weil das Berufsausübungsverbot sich ausschließlich an Vertragszahnärzte richtete, nicht hingegen an andere Zahnärzte. Ein etwaiges altersbedingtes Risiko der Krankenbehandlung bestehe aber unabhängig von der Abrechnungsmodalität der erbrachten Leistungen.

Damit steht fest, dass das BSG sowohl am 06.02.2008 — 6 KA 41/06 R als auch am 09.04.2008 — 6 KA 44/07 R ein Fehlurteil gefällt hat. Danach ist nämlich die Altersgrenze für Vertragsärzte in § 95 Abs. 7 S. 3 SGB V auch in Bezug auf die Fachärzte für Pathologie mit dem deutschen Verfassungsrecht und dem Recht der Europäischen Union (EU) vereinbar.

• EuGH, Urt. v. 12.01.2010 — Rs. C-229/08 („Wolf“)

Anders hat der EuGH beim Zugang zum Beruf des Feuerwehrmanns entschieden, der unmittelbar bei der Brandbekämpfung eingesetzt wird. Hier hat das Land Hessen ein Höchstalter von 30 Jahren bei der Einstellung festgesetzt. Eine solche Ungleichbehandlung sei unter dem Aspekt der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der Berufsfeuerwehr gerechtfertigt.

• BAG, Beschl. v. 17.06.2009 — 7 AZR 112/08

Das BAG hat dem EuGH den wohl populärsten Fall einer Altersbenachteiligung vorgelegt, über den seinerzeit umfassend in den Medien berichtet wurde. Es geht um die Wirksamkeit einer Regelung des Manteltarifvertrags einer Fluggesellschaft, nach der das Arbeitsverhältnis eines Piloten mit Vollendung des 60. Lebensjahres endet. Das BAG hält diese tarifliche Regelung aus Gründen der Gewährleistung der Flugsicherheit für gerechtfertigt, sieht aber die Möglichkeit einer abweichenden Wertung des europäischen Rechts. Zur verbindlichen Auslegung des europäischen Rechts ist aber der EuGH berufen. Aus diesem Grunde hat das BAG den vorliegenden Vorlagebeschluss gefasst.

2. Die Überprüfung von Altersprivilegien

Häufig enthalten Tarifverträge Regelungen, die ältere Mitarbeiter im Vergleich zu jüngeren Mitarbeitern bevorzugen. Bei Tarifverträgen handelt es sich um Vereinbarungen i.S.d. § 7 Abs. 2 AGG, die möglicherweise wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot unwirksam sind.

• LAG Hessen, Urt. v. 22.04.2009 — 2 Sa 1689/08

Der Arbeitgeber wendet die Vorschriften des BAT an. Am 01.08.2007 stellt er den Arbeitnehmer B ein. Die Vergütung erfolgt nach Vergütungsgruppe IIa der Anlage 1a zum BAT entsprechend dem Alter des B in Lebensaltersstufe 31. Das Bruttomonatsgehalt beträgt EUR 1.350,00. Mit dem B vergleichbare Arbeitnehmer in Vergütungsgruppe IIa mit identischer Dauer der Betriebszugehörigkeit in Lebensaltersstufe 45 beziehen ein Bruttomonatsgehalt von ca. EUR 1.700,00. Der B hält die Unterscheidung nach Lebensaltersgruppen für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters. Deshalb verlangt er eine der Dauer seiner Dienstzugehörigkeit entsprechende Vergütung in der (höchsten) Lebensaltersgruppe 45.

Das LAG Hessen hat im vorbezeichneten Urteil folgende Leitsätze verfasst:

- Eine tarifliche Regelung, in der die Höhe der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen gestaffelt wird, ist wegen unmittelbarer Benachteiligung wegen des Alters i.S.d. §§ 1, 3 AGG unwirksam.
- Die hierdurch eintretende unmittelbare Benachteiligung ist nicht im Sinne des AGG gerechtfertigt.
- Folge dieses Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters ist, dass die leistungsgewährenden, nicht benachteiligenden Tarifvertragsbestimmungen auf diejenigen Personen zu erstrecken sind, die entgegen den Benachteiligungsverboten von den tariflichen Leistungen ausgeschlossen wurden.
- Der Arbeitgeber kann sich im Hinblick auf den Verstoß gegen das gesetzliche Diskriminierungsverbot nicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berufen, da der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Kläger Grundvergütung gemäß der Vergütungsgruppe IIa der Anlage 1a zum BAT nach der Lebensaltersstufe „nach vollendetem 45. Lebensjahr“ für die Monate August 2007 bis Dezember 2008 zu zahlen.

Der Arbeitgeber (das Land Hessen) beziffert die Belastung aus einer solchen Gleichbehandlung „nach oben“ jüngerer mit älteren Arbeitnehmern mit 100 Mio. Euro. 

Aber auch der deutsche Gesetzgeber behandelt jüngere und ältere Arbeitnehmer ungleich. Nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ist die gesetzliche Kündigungsfrist jüngerer Arbeitnehmer im Vergleich zu älteren Arbeitnehmern bei gleicher Dauer der Betriebszugehörigkeit kürzer: „Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt.“

• EuGH, Urt. v. 19. Januar 2010 — Rs. C-555/07 (Kücükdeveci)

Mit dem Urteil hat der EuGH eine höchst streitige Rechtsfrage entschieden. Hierbei handelt es sich nicht um die Frage, ob die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen das Benachteiligungsverbot der RL 2000/78/EG verstößt. Hierüber bestand grundsätzliche Einigkeit. Vielmehr war die Frage umstritten, wie die nationalen Arbeitsgerichte mit diesem Befund umgehen sollen. Nach dem Urteil des LAG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 31.07.2008 — 10 Sa 295/08 zu § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB bleibt es bei der Anwendung des Kündigungsschutzrechts, wenn dessen Bestimmungen eindeutig sind, sodass eine richtlinienkonforme Auslegung nicht möglich ist. Ähnlich beurteilt das LAG Düsseldorf die Rechtslage. Es hat die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB als eindeutig und einer Auslegung im Sinne des europäischen Antidiskriminierungsrechts nicht zugänglich eingeschätzt. Aus diesem Grunde hat es mit Beschl. v. 21.11.2007 — 12 Sa 1311/07 dem EuGH im Vorlageverfahren nach Art. 234 EGV die Frage nach der Europarechtswidrigkeit der Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB vorgelegt. Auf einer ganz anderen Linie liegen die Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg vom 24.07.2007 — 7 Sa 561/07 und des LAG Schleswig-Holstein vom 28.05.2008 — 3 Sa 31/08. Danach ist die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB europarechtswidrig und deshalb von deutschen Gerichten unangewendet zu lassen.

Der EuGH hat erwartungsgemäß entschieden, dass die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB europarechtswidrig sei. Es stellt in der Begründung wieder auf die Inkonsistenz der vorgetragenen Rechtfertigungsgründe ab, die die Bundesregierung als Beteiligte des Vorlageverfahrens angeführt hat. Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Entscheidung, weil der EuGH den deutschen Arbeitsgerichten aufgibt, das geltende deutsche Recht unangewendet zu lassen, sofern dies erforderlich ist, um dem europäischen Recht wirksam Geltung zu verschaffen („effet utile“).

Für die Praxis bedeutet dies, dass alle Kündigungsfristen unabhängig vom Alter gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB berechnet werden.

3. Das Verhältnis von AGG und KSchG/ Berücksichtigung des Alters bei Sozialplänen

Das BAG hat mit Urteil vom 06.11.2008 — 2 AZR 701/07 das Verhältnis von AGG und Kündigungsschutz geklärt. Es geht von einer umfassenden Geltung der Vorschriften des AGG auch im Kündigungsschutz aus. Dem stehe § 2 Abs. 4 AGG nicht entgegen.

In demselben Urteil stellt das BAG fest, dass die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgesehene Berücksichtigung des Lebensalters als Kriterium der Sozialauswahl eine an das Alter anknüpfende unterschiedliche Behandlung darstellt. Diese ist jedoch nach § 10 Satz 1, 2 AGG gerechtfertigt. Auch die Bildung von Altersgruppen kann nach § 10 Satz 1, 2 AGG durch legitime Ziele gerechtfertigt sein. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn die Altersgruppenbildung bei Massenkündigungen aufgrund einer Betriebsänderung erfolgt.

Geklärt ist aus Sicht des BAG auch die Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit des Alters durch die Betriebsparteien bei der Bemessung von Sozialplanansprüchen.

• Im Urt. v. 21.07.2009 — 1 AZR 566/08 stellt das BAG fest:

Die Betriebsparteien können eine Höchstgrenze für eine Sozialplanabfindung vorsehen. Eine solche Kappungsgrenze behandelt alle davon betroffenen Arbeitnehmer gleich.

Anmerkung:  Bei dieser Entscheidung fällt auf, dass das BAG den Aspekt der mittelbaren Diskriminierung nicht prüft. Nach meiner Erfahrung sind von Kappungsgrenzen aber vornehmlich ältere Arbeitnehmer betroffen.

• Im Urt. v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07 führt das BAG aus:

Die Betriebsparteien können in Sozialplänen für Arbeitnehmer, die im Anschluss an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf vorzeitige Altersrente haben, geringere Abfindungen vorsehen.

• Das Urteil wurde durch das Urteil des BAG vom 20.01.2009 — 1 AZR 740/07 bestätigt:

Betriebsparteien und Einigungsstelle können in Sozialplänen geringere Abfindungen für Arbeitnehmer rentennaher Jahrgänge vorsehen, die nach einem relativ kurzen, vollständig oder überwiegend durch den Bezug von Arbeitslosengeld überbrückbaren Zeitraum Anspruch auf eine gesetzliche Altersrente haben.

• In dieselbe Richtung geht das Urteil des BAG vom 26.05.2009 — 1 AZR 198/08:

Sozialpläne dürfen eine nach Lebensalter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vorsehen. Sie dürfen für rentenberechtigte Arbeitnehmer Sozialplanleistungen reduzieren oder ganz ausschließen. Die damit verbundene unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist durch § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gedeckt.

4. Fazit

Die vorstehende Auswahl von Entscheidungen ist selbstverständlich nicht erschöpfend. Sie zeigt sehr deutlich, dass alle bisherigen Wertungen und Entscheidungen des deutschen Gesetzgebers, der deutschen Gerichte und der Tarifparteien über Regelungen und Maßnahmen, die an das Alter anknüpfen, unter dem Gesichtspunkt des europäischen Antidiskriminierungsrechts erneut geprüft werden müssen.

Die Rechtsprechung des EuGH lässt insoweit immer wiederkehrende Argumentationsmuster erkennen, die auch für andere Fallgestaltungen erheblich sind.

Für den arbeitsrechtlich beratenden Rechtsanwalt sollten die Entscheidungen Anlass sein, jede Art von Altersbeschränkung oder Anknüpfung an das Lebensalter in einschlägigen Regelungen unter Benachteiligungsgesichtspunkten zu überprüfen. Unbedingt notwendig ist aus Haftungsgründen die Berücksichtigung der bereits ergangenen Rechtsprechung.

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Quelle: Rechtsanwalt Dr. Martin Kolmhuber - Beitrag vom 10.02.10