Gina Sanders © fotolia.de

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Arbeitsrecht -

Das Nachtatverhalten ist bei Kündigungsausspruch zu berücksichtigen

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 01.12.2011 - 2 Sa 2015/11

Das Nachtatverhalten eines Arbeitnehmers ist vor Ausspruch der Kündigung zu berücksichtigen. Nach Ansicht des BAG gilt etwas anderes nur für ein Verhalten im Kündigungsschutzprozess.

Darum geht es

Die Parteien streiten über den angeblichen Arbeitszeitbetrug eines Fahrers. Dieser hatte am 10.07.2010 wegen eines unbegründeten Aufenthalts an einer Tankstelle eine Abmahnung erhalten. Am 05.04.2011 wurde er von seinem Fuhrparkleiter darauf angesprochen, dass er sich wiederum unberechtigt während der Arbeitszeit an einer Tankstelle aufgehalten hatte.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Nur zwei Tage später, am 07.04.2011, wurde dem Fahrer außerordentlich - hilfsweise ordentlich - gekündigt. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass sich der Arbeitnehmer an diesem Tag mindestens für einen Zeitraum von 27 Minuten, möglicherweise aber auch für einen Zeitraum von 45 bis 50 Minuten, an einer Tankstelle aufgehalten und nicht gearbeitet habe. Von der Pause sagte er seinem Arbeitgeber zunächst nichts und trug sie auch nicht in die Arbeitszeitnachweise ein. In einem am Folgetag geführten Gespräch mit der Personalleiterin und dem Juniorchef leugnete der Arbeitnehmer zunächst, überhaupt am Vortag an einer Tankstelle gewesen zu sein. Nachdem er mit der Aussage eines Kollegen konfrontiert wurde, bestätigte er jedoch seinen Aufenthalt an der Tankstelle und begründete diesen mit Magenproblemen. Den Aufenthalt an der Tankstelle habe er zunächst bestritten, da er sich geschämt habe, seine Magenprobleme zu offenbaren.

Gegen die Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs wehrte sich der Arbeitnehmer mit einer Klage und gewann in der ersten Instanz. Die Arbeitgeberin legte dagegen Berufung beim LAG ein.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das LAG bestätigte die fristlose außerordentliche Kündigung. Es stellte einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB fest, der den Arbeitgeber berechtigte, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen. Denn das Gericht hat Tatsachen festgestellt, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden konnte.

Zunächst betonte das LAG, dass der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers, die Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, an sich schon einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen kann. Dabei verwies es auch auf die entsprechende Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 09.06.2011 - 2 AZR 381/10; Urt. v. 24.11.2005 - 2 AZR 39/05). Überlässt der Arbeitgeber den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit seinen Arbeitnehmern und wird dann vorsätzlich ein Formular falsch ausgefüllt, stellt dies in der Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar.

Die Behauptung des Arbeitnehmers, er habe Magenprobleme gehabt und sich geschämt, diese zu offenbaren, hat das LAG als nicht schlüssige Einlassung gewertet. In der Interessenabwägung hat es zudem das Nachtatverhalten des Arbeitnehmers - das ursprüngliche Leugnen und das Einräumen der Tat erst nach Vorhalt der Zeugenaussage - besonders gewichtet.

Dabei ging das Gericht auch auf eine Entscheidung des BAG vom 10.06.2010 (2 AZR 541/09) ein. Das BAG hatte in diesem Verfahren festgestellt, dass das Prozessvorbringen der Klägerin nicht auf den Kündigungsgrund zurückwirken kann. Im vorliegenden Fall geht es nach Ansicht des LAG jedoch nicht um ein prozessuales Verteidigungsvorbringen, sondern um die Begehung von Pflichtwidrigkeiten vor Ausspruch der Kündigung. Es ging hier also gerade nicht um Umstände, die der Arbeitgeber bei der Fassung des Kündigungsentschlusses zu berücksichtigen hatte.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das Urteil des LAG widerspricht nicht der einschlägigen Rechtsprechung des BAG. Folgerichtig wurde die Revision nicht zugelassen. Tatsächlich hat das BAG festgestellt, dass das Prozessvorbringen eines Arbeitnehmers nicht auf den Kündigungsgrund zurückwirken kann. Etwas völlig anderes muss für ein Nachtatverhalten gelten, das noch vor dem Ausspruch der Kündigung liegt. Selbstverständlich kann und muss dieses vom Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung mitberücksichtigt werden. Hierbei ist eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten denkbar. So könnten das sofortige Eingestehen eines Fehlverhaltens, der Ausdruck des Bedauerns und das Versprechen, dass ein entsprechendes Fehlverhalten in der Folgezeit nicht mehr vorkommt, auch zugunsten des Arbeitnehmers wirken. Jedenfalls muss der Arbeitgeber bei seiner Interessenabwägung auch ein solches positives Nachtatverhalten berücksichtigen.

Praxishinweis

Rechtsberater sollten sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber darauf hinweisen, das Nachtatgeschehen genau zu dokumentieren. Es kann für die Entscheidung des Arbeitgebers, eine rechtmäßige Kündigung auszusprechen, von Bedeutung sein. Und in diesem vom LAG entschiedenen Fall hätte es dem Arbeitnehmer sicherlich gut gestanden, wenn er sofort die Wahrheit gesagt hätte. Dann wäre das Gericht aufgrund der 14-jährigen Betriebszugehörigkeit unter Umständen zu einem anderen Ergebnis gekommen. Denn nochmals: Für das Gericht war das Nachtatverhalten „von besonderem Gewicht".

Übrigens: Im Rahmen der Betriebsratsanhörung muss der Arbeitgeber das Nachtatverhalten seinem Betriebsrat mitteilen. Andernfalls ist die Anhörung nicht ordnungsgemäß.

Quelle: RA Arno Schrader - vom 19.03.12