Nedjo © fotolia.de

Nedjo © fotolia.de

Arbeitsrecht -

Das BAG zur Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer

BAG, Urt. v. 09.06.2011 – 2 AZR 703/09

Arbeitnehmer können ihren Sonderkündigungsschutz bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltend machen, sofern der Arbeitgeber von einem Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft Kenntnis hat. {DB:tt_content:2566:bodytext}

Darum geht es:

Arbeitnehmer und Arbeitgeber streiten sich über die Erforderlichkeit einer Zustimmung des Integrationsamts zur fristlosen Kündigung des Arbeitnehmers.

Am 02.01.2007 beantragte der Arbeitnehmer rückwirkend ab dem 27.09.2006 die Feststellung einer Behinderung. Im Februar 2007 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zu Ende Juli 2007 aus betriebsbedingten Gründen. Gegen diese Kündigung reichte der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage ein und sein Prozessbevollmächtigter teilte mit außergerichtlichem Schreiben vom 07.03.2007 mit, dass der Arbeitnehmer einen Antrag auf Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung gestellt habe. Am 21.03.2007 wurde die Schwerbehinderung dann vom Versorgungsamt mit einem Grad der Behinderung von 100 % rückwirkend ab dem 27.09.2006 festgestellt. Am 16.04.2007 fand die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht statt und die Parteien einigten sich auf einen Widerrufsvergleich mit ratenweiser Zahlung einer Abfindung. Am 27.04.2007 wandte sich der Arbeitnehmer an seine Arbeitgeberin und forderte sie auf, die Abfindung in einer Summe zu zahlen. Die Arbeitgeberin behauptete daraufhin, der Arbeitnehmer habe versucht, sie zu nötigen und hat deshalb Strafanzeige erstattet. Zudem kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 08.05.2007 fristlos – ohne die Zustimmung des Integrationsamts.

Die ursprüngliche Kündigungsschutzklage wurde später zurückgenommen, gegen die fristlose Kündigung legte der Arbeitnehmer jedoch eine weitere Klage ein. Er war der Auffassung, dass das Integrationsamt der Kündigung hätte zustimmen müssen. Schließlich habe er am 07.03.2007 vom Antragsverfahren zur Erlangung der Schwerbehinderung unterrichtet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Arbeitgeberin zurückgewiesen.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Auch die Revision der Arbeitgeberin blieb ohne Erfolg.

Das BAG hat in seinem Urteil die Voraussetzungen der Kündigung eines Schwerbehinderten ausführlich dargestellt. Nach Ansicht des Gerichts war die Kündigung im zugrunde liegenden Fall unwirksam, da sie der Zustimmung des Integrationsamts bedurfte.

Der Arbeitnehmer durfte sich nach § 6 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf diesen Unwirksamkeitsgrund berufen. Denn unzweifelhaft stand dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen zweiten Kündigung ein Sonderkündigungsschutz zu.

Der Sonderkündigungsschutz setzt grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderung bereits anerkannt (oder eine Gleichstellung erfolgt) ist oder die Stellung des Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung (oder Gleichstellung) mindestens drei Wochen zurückliegt.

Ein Arbeitnehmer muss in Abweichung zu § 6 KSchG binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung auf seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch hinweisen, um den besonderen Kündigungsschutz zu erhalten. Diese Frist ist aus Gründen des Vertrauensschutzes nach dem BAG gerechtfertigt. Der Arbeitgeber kann sich also darauf berufen, dass der besondere Kündigungsschutz i.S.d. § 242 BGB verwirkt ist, wenn der Arbeitnehmer diese Mitteilung unterlässt. Denn der Arbeitgeber hat letztlich keinen Anlass, eine behördliche Zustimmung zur Kündigung einzuholen, wenn er keine Kenntnis von der Schwerbehinderung hat. Dies gilt jedoch nur, wenn der Arbeitgeber tatsächlich schutzbedürftig ist.

Allerdings kann der Arbeitgeber keinen Vertrauensschutz geltend machen, wenn er von der Schwerbehinderung oder von dem Antrag vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis hatte und deshalb mit dem Zustimmungserfordernis rechnen musste. Weiterhin liegt keine Schutzbedürftigkeit vor, wenn die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offensichtlich ist.

Dass der Arbeitnehmer hier mit Schreiben vom 07.03.2007 auf die Antragstellung beim Versorgungsamt hingewiesen hat, ist für den besonderen Kündigungsschutz ausreichend. Weitergehende Informationen musste die Arbeitgeberin nicht erhalten. Diese hätte mit den ihr bekannten Informationen zumindest vorsorglich die Zustimmung zur Kündigung beantragen können.

Ist die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers im Kündigungszeitpunkt noch nicht festgestellt worden, sondern liegt lediglich ein entsprechender Antrag vor, besteht der Sonderkündigungsschutz nur dann, wenn der Arbeitnehmer den Antrag so frühzeitig gestellt hat, dass eine Entscheidung bei Ausspruch der Kündigung binnen der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX möglich gewesen wäre. Hat der Arbeitnehmer seinen Antrag nicht mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt, kann er keinen besonderen Kündigungsschutz beanspruchen. Ausnahme: Es ist bereits über seinen Antrag positiv entschieden worden.

Darauf kam es in diesem Fall jedoch nicht an, da im Kündigungszeitpunkt der Bescheid bereits vorlag.

Quelle: RA Arno Schrader - vom 27.09.11