Arbeitsrecht -

Darlegungslast für die Anwendbarkeit des KSchG

Wer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die betrieblichen Voraussetzungen der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes?

Die betrieblichen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes regelt § 23 Abs. 1 KSchG. Danach muss ein Schwellenwert von fünf bzw. zehn Arbeitnehmern überschritten werden, damit die Vorschriften des 1. und 2. Abschnitts des KSchG Anwendung finden. Die Vorschrift hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. In der gegenwärtigen Fassung ist sie sprachlich völlig undurchsichtig formuliert. Dies nicht zuletzt aufgrund des gesetzgeberischen Ziels, einen Kompromiss zwischen Bestandsschutz zum 31.12.2003 und einer Heraufsetzung des Schwellenwerts auf zehn Arbeitnehmer herzustellen.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Arbeitnehmer, die zum 31.12.2003 Kündigungsschutz wegen des Überschreitens des damaligen Schwellenwerts von fünf regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern genossen, sollen diesen nach den Regelungen des § 23 Abs. 1 Satz 2, 3 KSchG behalten.

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass Kündigungsschutz nur dann besteht, solange der Bestandsschutz fortbesteht oder der Arbeitgeber mehr als zehn Arbeitnehmer regelmäßig beschäftigt. Das Kündigungsschutzgesetz findet keine Anwendung, wenn der Arbeitgeber zum Kündigungszeitpunkt weder mehr als zehn Arbeitnehmer noch mehr als fünf “Alt-Arbeitnehmer” in seinem Betrieb beschäftigt. Ersatzeinstellungen für ausgeschiedene “Alt-Arbeitnehmer” reichen nicht aus, um noch zu einer Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu gelangen. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 KSchG n.F. als auch aus der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung (BAG, Urteil vom 21.9.2006 - 2 AZR 840/05). Hinzu kommt, dass auch die Berücksichtigung von Arbeitnehmern in Teilzeit in Abhängigkeit von ihrer Arbeitszeit vom Gesetzgeber geändert wurde.

Die Darlegung und der Beweis der betrieblichen Voraussetzungen der Anwendbarkeit des KSchG können im Einzelfall also ganz erhebliche Probleme bereiten. Umso wichtiger ist die Beantwortung der Frage, wer die Darlegungs- und Beweislast trägt.

Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 26.06.2008 – 2 AZR 264/07 unter eingehender Auseinandersetzung mit den dazu vertretenen Auffassungen für die Vorschrift des § 23 Abs. 1 KSchG n.F. beantwortet:

„Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der in § 23 Abs. 1 KSchG geregelten betrieblichen Geltungsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes. Das gilt auch für die am 01.01.2004 in Kraft getretene Neufassung des § 23 KSchG.“

Der Leitsatz ist auf den ersten Blick eindeutig und weist der Arbeitnehmerseite nach dem Grundsatz, jede Partei sei für die ihr günstigen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig, die volle Darlegungs- und Beweislast zu. Das BAG setzt damit seine auf § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG in der bis zum 31.12.2003 maßgeblichen Fassung beschränkte Rechtsprechung (zuletzt: 24.02.2005 – 2 AZR 373/03) fort. Die weitere Lektüre der Entscheidungsgründe offenbart hingegen weite Erleichterungen für den Arbeitnehmer, die auf dem fortbestehenden Grundsatz der abgestuften Darlegungs- und Beweislast beruhen. Danach ist die Darlegungs- und Beweislast auf die Prozessparteien des Kündigungsschutzprozesses zu verteilen. Im Ergebnis trägt der Arbeitgeber diese Lasten nahezu vollständig.

An die Erfüllung der Darlegungslast durch den Arbeitnehmer sind nämlich nach dem Urteil vom 26.06.2008 – 2 AZR 264/07 keine zu hohen Anforderungen zu stellen.

  • Der Arbeitnehmer genügt regelmäßig seiner Darlegungslast, wenn er die für eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen und ihm bekannten äußeren Umstände schlüssig darlegt. Dem Arbeitnehmer soll nichts objektiv Unmögliches abverlangt werden. Hierfür spreche insbesondere, dass der Arbeitgeber auf Grund seiner Sachnähe ohne weiteres substantiierte Angaben zum Umfang und zur Struktur der Mitarbeiterschaft und ihrer arbeitsvertraglichen Vereinbarungen machen kann.

    Die Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht an die Darlegungen des Arbeitnehmers stellt, verlagern tatsächlich die Darlegungslast auf den Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast nämlich bereits dann, wenn er schlicht behauptet, der Arbeitgeber beschäftige mehr als fünf bzw. zehn Arbeitnehmer. Voraussetzung ist ausschließlich das Fehlen der weiteren eigenen Kenntnismöglichkeit des Arbeitnehmers.
  • Der Arbeitgeber muss dann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen erklären, welche rechtserheblichen Umstände gegen solche substantiierten Darlegungen des Arbeitnehmers sprechen. Es ist Sache des Arbeitgebers, sich vollständig über die Anzahl der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer unter Benennung der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel zu erklären. Zu den Beweismitteln können Vertragsunterlagen, Auszüge aus der Lohnbuchhaltung, Zeugen usw. gehören.
  • Hierzu muss der Arbeitnehmer Stellung nehmen und Beweis antreten. Benennt der Arbeitgeber Beweismittel, etwa Zeugen, so kann der Arbeitnehmer sich der vom Arbeitgeber benannten Beweismittel bedienen. Hierauf muss das Gericht den Arbeitnehmer nach § 139 ZPO hinweisen – wenn er sie erkennbar übersehen hat.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass das BAG mit keinem Wort auf die Obliegenheit des Arbeitnehmers eingeht, sich Kenntnis zu verschaffen. Das LAG hatte argumentiert, der Arbeitnehmer müsse sich bei den Personen, deren Arbeitnehmerstatus streitig sei, erkundigen oder andere Mitarbeiter fragen. Soweit dies möglich ist – zumutbar ist dies auf jeden Fall – hängt von dem Ergebnis dieser Erkundigungen die Möglichkeit eigener Kenntnis des Arbeitnehmers ab. Das BAG geht auf eine solche Obliegenheit mit keinem Wort ein.


Fazit:

Entgegen dem klaren Wortlaut des Leitsatzes im Urteil vom 26.06.2008 – 2 AZR 264/07 bleibt es faktisch dabei, dass der Arbeitgeber die Darlegungslast trägt. Der Arbeitnehmer kann sich auf die schlichte Behauptung des Überschreitens des Schwellenwerts des § 23 Abs. 1 KSchG beschränken und damit den Arbeitgeber zu ausführlichen Darlegungen unter Beweisantritt zwingen.

Die Beweislast trifft formell den Arbeitnehmer, der sich dabei aber auf die vom Arbeitgeber zu benennenden Beweismittel berufen kann. Der Arbeitgeber muss also die zum Beweisantritt durch den Arbeitnehmer erforderlichen Beweismittel benennen.

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Martin Kolmhuber - Urteilsanmerkung vom 09.10.08