Gina Sanders © fotolia.de

Gina Sanders © fotolia.de

Arbeitsrecht -

Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess

BAG, Urt. v. 16.05.2012 - 5 AZR 347/11

Für die Darlegung und den Beweis der Leistung von Überstunden gelten dieGrundsätze wie für die Behauptung des Arbeitnehmers, die geschuldete (Normal-)Arbeit verrichtet zu haben.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Darum geht es

Der Kläger war als Kraftfahrer beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag war er verpflichtet, vorübergehend Mehrarbeit (Überstunden) zu leisten, die durch die Gehaltszahlung pauschal abgegolten ist.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Vergütung von Überstunden geltend gemacht. Er hat unter Vorlage und Berufung auf von ihm gefertigte Listen vorgebracht, an welchem Tag er zu welcher Uhrzeit konkrete Tätigkeiten ausgeübt hat. Nach einer internen Anweisung sind die Kraftfahrer der Beklagten verpflichtet, vor der geplanten Abfahrt notwendige Arbeitsvorbereitungen (technische Überprüfung, Behebung von Mängeln, Betanken etc.) vorzunehmen. Sämtliche Fahrten seien von der Beklagten angeordnet gewesen. Die pauschale Abgeltung von Überstunden sei unwirksam.

Die Beklagte hat geltend gemacht, beim Kläger habe es sich um einen Fahrer bzw. Beifahrer von Lkw mit mehr als 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht gehandelt. Nach § 21a ArbZG sei für Fahrpersonal eine Arbeitszeit von 48 Wochenstunden zulässig und die Beifahrerzeit nicht vergütungspflichtig. Überstunden habe sie weder angeordnet noch gebilligt.

Das Arbeitsgericht Leipzig hat die Klage mit Urteil vom 14.04.2010 (13 Ca 4172/09) abgewiesen. Das LAG Chemnitz hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 14.10.2010 (6 Sa 343/10) zurückgewiesen. Das BAG hat das Urteil des LAG Chemnitz aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

§ 21a Abs. 4 ArbZG regele nur die Arbeitszeit eines Kraftfahrers, die arbeitsschutzrechtlich nicht überschritten werden dürfe. Die Vorschrift schließe eine Vergütung für die Arbeit als Beifahrer nicht aus (BAG, Urt. v. 20.04.2011 - 5 AZR 200/10). Der Kläger könne daher auch für eine Beifahrertätigkeit die vertraglich vereinbarte Vergütung beanspruchen.

Der Arbeitsvertrag sei ein Verbrauchervertrag i.S.d. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, auf den die Bestimmungen der §§ 305c Abs. 2, 306 und 307 bis 309 BGB anzuwenden seien. Die vertraglich geregelte Pauschalabgeltung von Überstunden sei unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Umfang der Überstunden, die von der pauschalen Abgeltung erfasst sind, sei im Arbeitsvertrag ebenso wenig bestimmt wie die Voraussetzungen, unter denen Überstunden zu leisten sind. Der Kläger habe nicht erkennen können, welche Leistungen er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen müsse.

Sei im Arbeitsvertrag die Vergütung von Überstunden nicht geregelt, komme als Anspruchsgrundlage nur § 612 Abs. 1 BGB in Betracht. Danach gelte eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten sei. Die erforderliche - objektive - Vergütungserwartung sei gegeben. Der Kläger schulde weder Dienste höherer Art, noch erhalte er eine deutlich herausgehobene Vergütung.

Für die Darlegung und den Beweis der Leistung von Überstunden gelten dieselben Grundsätze wie für die Behauptung des Arbeitnehmers, die geschuldete (Normal-)Arbeit verrichtet zu haben (vgl. BAG, Urt. v. 18.04.2012 - 5 AZR 248/11). Dabei genüge der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, wenn er vortrage, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten habe. Auf diesen Vortrag müsse der Arbeitgeber im Rahmen einer gestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen habe und in welchem Zeitraum der Arbeitnehmer diesen Weisungen nicht nachgekommen sei. Die Darlegungs- und Beweislast bedürfe stets der Berücksichtigung der im jeweiligen Streitfall zu verrichtenden Tätigkeit und der konkreten betrieblichen Abläufe. Das pauschale Bestreiten der Anordnung von Überstunden durch die Beklagte sei nicht ausreichend. Benötige ein Kraftfahrer für eine angewiesene Tour eine bestimmte Zeit und könne er sie nur unter Leistung von Überstunden ausführen, waren die Überstunden zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig.

Der Vortrag der Parteien habe schriftsätzlich zu erfolgen. Die bloße Bezugnahme auf die den Schriftsätzen beigefügte Anlagen könne den schriftsätzlichen Vortrag nicht ersetzen. Das Gericht sei nicht verpflichtet, sich die unstreitigen oder streitigen Arbeitszeiten aus den Anlagen selbst zusammenzusuchen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Die vorliegende Entscheidung festigt die Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Abreden über die pauschale Abgeltung von Überstunden sowie zur Üblichkeit der Vergütung von Überstunden. Damit liegt bereits jetzt eine ständige Rechtsprechung vor.

Neu ist die tendenzielle Verschiebung der Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitgeber wird verstärkt prozessual in die Pflicht genommen. In Zukunft wird es nicht mehr ausreichen, es beim schlichten Bestreiten der Leistung oder der Anordnung von Überstunden zu belassen.

Praxishinweis

Die Entscheidung bringt eine Menge Mehrarbeit für die Parteivertreter mit sich. Die Informationen des Mandanten müssen durch den Rechtsanwalt aufgearbeitet werden. Eine schlichte Weiterleitung der Unterlagen des Arbeitnehmers, aus denen sich das Gericht die einschlägigen Informationen selbst zusammenstellen soll, ist nicht mehr möglich. Gleiches gilt gegenüber dem Arbeitgeber. Auch dieser ist prozessual nicht gehalten, auf nicht substantiierten Vortrag zu erwidern. Die abgestufte Darlegungslast betrifft nur den schriftsätzlichen Vortrag.

Quelle: RA Dr. Martin Kolmhuber - vom 27.09.12