Arbeitsrecht -

Bindung des Arbeitgebers an frühere Beurteilungen

Bindet ein erteiltes Zwischenzeugnis den Arbeitgeber hinsichtlich des Inhalts eines Endzeugnisses?

Das Arbeitszeugnis hat für das berufliche Fortkommen eines Arbeitnehmers ganz erhebliche Bedeutung. Die Beurteilung des Leistungs- und Führungsverhaltens durch den oder die ehemaligen Arbeitgeber spielt bei der Einstellungsentscheidung des neuen Arbeitgebers nämlich eine erhebliche Rolle. Dies gilt in erster Linie für Arbeitnehmer in Führungspositionen, aber auch für alle anderen, insbesondere qualifizierte Arbeitnehmer. Für den neuen Arbeitgeber stellt das Arbeitszeugnis ein Instrument der Personalauswahl dar, indem es die Kenntnis des fachlichen und nicht-fachlichen Leistungsvermögens des Stellenbewerbers vermittelt.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Gerade in denjenigen Fällen, in denen ein Arbeitsverhältnis streitig beendet wird, entzündet sich an Form und Inhalt des Zeugnisses häufig ein heftiger Streit. Das subjektive Beurteilungsvermögen des Arbeitgebers ist möglicherweise durch die negativen Eindrücke des noch schwelenden Rechtsstreits unbewusst geprägt. Es ist nicht auszuschließen, dass der Arbeitgeber im Einzelfall die Erteilung eines schlechten Zeugnisses auch bewusst dazu nutzt, dem Arbeitnehmer „eins auszuwischen“.

Der Gesetzgeber hat deshalb im Jahre 2003 in § 109 GewO die Grundsätze der Zeugniserteilung geregelt. Nach § 109 Abs. 2 GewO muss das Zeugnis klar und verständlich formuliert sein (Grundsatz der Zeugnisklarheit). Deshalb darf das Zeugnis keine Formulierungen enthalten, die eine andere als die aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer treffen. Weiterhin muss das erteilte Zeugnis Leistung und Sozialverhalten des Arbeitnehmers zutreffend wiedergeben (Grundsatz der Zeugniswahrheit). Der Grundsatz der Zeugniswahrheit erstreckt sich auch auf die Vollständigkeit des Zeugnisses. Im Arbeitszeugnis sind alle wesentlichen Tatsachen und Vorkommnisse, die für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers bedeutsam sind, zu berücksichtigen (LAG Düsseldorf, Urt. vom 03.05.2005 – 3 Sa 359/05, DB 2005, 799). Die Interessen des Arbeitnehmers an seinem beruflichen Fortkommen werden durch den Grundsatz der wohlwollenden Beurteilung berücksichtigt (BAG, Urt. vom 21.06.2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104).

Damit treffen bei der Zeugniserteilung die Interessen des Arbeitnehmers an einer Förderung seines beruflichen Fortkommens und die Interessen des (neuen) Arbeitgebers an der wahrheitsgemäßen Information aufeinander. Bei dem Kompromiss zwischen Wahrheit und verständigem Wohlwollen hat die Wahrheit an erster Stelle zu stehen (BAG, Urt. vom 21.06.2005 – 9 AZR 352/04, NZA 2006, 104).

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze wurden in zwei jüngeren Entscheidungen konkretisiert und bestätigt.

  • Nach dem Urteil des BAG vom 12.08.2008 – 9 AZR 632/07 bestimmt sich der weitere notwendige Zeugnisinhalt im Rahmen des Grundsatzes der Zeugniswahrheit nach dem Zeugnisbrauch. Dieser kann nach Branchen und Berufsgruppen unterschiedlich sein. Lässt ein erteiltes Zeugnis hiernach übliche Formulierungen ohne sachliche Rechtfertigung aus, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Ergänzung. Die Auslassung eines bestimmten Inhalts, der von einem einstellenden Arbeitgeber in einem Zeugnis erwartet wird, kann ein unzulässiges Geheimzeichen sein. Damit ist der Inhalt des Zeugnisses nicht nur abhängig von der Funktion des Arbeitnehmers, sondern auch von Besonderheiten der Branche, im entschiedenen Fall der Medienbranche (Tageszeitung).

  • Bereits im oben zitierten Urteil vom 21.06.2005 – 9 AZR 352/04 hatte das BAG festgestellt, dass ein Arbeitgeber vorbehaltlich neuer Umstände an seine bisherige Verhaltensbeurteilung gebunden ist, wenn er auf das berechtigte Verlangen des Arbeitnehmers nach einer Berichtigung des Zeugnisses dem Arbeitnehmer ein "neues" Zeugnis zu erteilen hat. Diese Entscheidung wurde vom BAG mit Urteilvom 16.10.2007 – 9 AZR 248/07 bestätigt. Danach ist der Arbeitgeber regelmäßig an den Inhalt eines zuvor erteilten Zwischenzeugnisses gebunden, wenn er ein Endzeugnis erteilt. Dies gilt nach den Ausführungen des BAG selbst dann, wenn der Betriebsveräußerer das Zwischenzeugnis vor einem Betriebsübergang erteilt hat und der Arbeitnehmer das Endzeugnis vom Betriebserwerber verlangt.

Fazit:

Aus der Zusammenschau der Entscheidungen des BAG lässt sich eine starke Bindung des Arbeitgebers an einmal abgegebene Beurteilungen des Arbeitnehmers folgern. Ohne Änderung der Umstände, für die der Arbeitgeber beweispflichtig ist, ist eine Änderung der Beurteilung kaum zulässig.

Für die Personalabteilung bedeutet dies insbesondere, dass im laufenden Arbeitsverhältnis Beurteilungen und formelle Zwischenzeugnisse nicht lediglich zur Vermeidung unangenehmer Personalgespräche deutlich zu wohlwollend ausfallen sollten. Dies gilt für Beurteilungen auf allen Ebenen, auch im Zusammenhang mit der Feststellung des Zielerreichungsgrades bei Einsatz von Zielvereinbarungen als Führungsinstrument. Eine spätere Korrektur ist praktisch unmöglich.

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Martin Kolmhuber - Beitrag vom 03.09.08