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Arbeitsrecht -

Befristungsabrede ohne Sachgrund auf dem Prüfstand

BVerfG, Beschl. v. 06.07.2010 - 2 BvR 2661/06

Bundesverfassungsgericht verneint die Verletzung der Vertragsfreiheit eines Arbeitgebers durch die auf das Mangold-Urteil gestützte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur diskriminierenden Befristung von Arbeitsverträgen älterer Arbeitnehmer.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Darum geht es:

Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen der Automobilzulieferung, das im Februar 2003 mehrere befristete Arbeitsverträge mit zuvor arbeitslosen Personen geschlossen hat, ohne für die Befristung einen sachlichen Grund zu haben. Nach der damals geltenden Fassung von § 14 Abs. 3 Satz 4 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) konnte ein Arbeitgeber auf den sachlichen Befristungsgrund verzichten, wenn der Arbeitnehmer bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 52. Lebensjahr bereits vollendet hatte.

Mangold-Urteil widerspricht einer altersdiskriminierenden Befristungsabrede

Diese Regelung hielt das Bundesarbeitsgericht für europarechtswidrig. Die gegen diese Befristung gerichtete Feststellungsklage eines Arbeitnehmers der Beschwerdeführerin hatte Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass nationale Gerichte § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG nicht anwenden dürften, weil sie insoweit an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22.11.2005 in der Rechtssache Mangold gebunden seien (Slg. 2005, S. I-9981). Danach sei eine nationale Regelung wie § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG mit der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG und dem allgemeinen Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung unvereinbar.

Obwohl die im Streit stehende Befristungsabrede vor dem Mangold-Urteil getroffen wurde, lehnte das Bundesarbeitsgericht es ab, § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG aus Gründen des gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen Vertrauensschutzes anzuwenden.

Arbeitgeber glaubt seine Vertragsfreiheit verletzt

Die Beschwerdeführerin sieht sich durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in ihrer Vertragsfreiheit und in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Eine Verletzung ihrer Vertragsfreiheit macht sie aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln geltend. Sie ergebe sich zunächst daraus, dass das Bundesarbeitsgericht sich maßgeblich auf das Mangold-Urteil des Europäischen Gerichtshofs gestützt habe, mit welchem dieser seine Kompetenzen in mehrfacher Hinsicht überschritten habe. Eine Verletzung ihrer Vertragsfreiheit folgt nach Ansicht der Beschwerdeführerin des Weiteren daraus, dass das Bundesarbeitsgericht keinen hinreichenden Vertrauensschutz gewährt habe. Schließlich hätte das Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorlegen müssen, ob nicht Grundsätze des gemeinschaftsrechtlichen oder des nationalen Vertrauensschutzes eine zeitliche Einschränkung des Mangold-Urteils geböten.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen. Die Entscheidung ist hinsichtlich der Gründe mit 6:2 Stimmen und im Ergebnis mit 7:1 Stimmen ergangen. Der Richter Landau hat der Entscheidung eine abweichende Meinung angefügt.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

1. Keine Verletzung der Vertragsfreiheit wegen Ultra-vires-Akt des EuGH

Die Beschwerdeführerin ist nicht deswegen in ihrer Vertragsfreiheit verletzt, weil das angegriffene Urteil des Bundesarbeitsgerichts auf einer unzulässigen Rechtsfortbildung des Europäischen Gerichtshofs beruht und das Mangold-Urteil deshalb als sogenannter Ultra-vires-Akt in Deutschland nicht hätte angewendet werden dürfen.

Wie der Senat in seinem Lissabon-Urteil festgestellt hat, darf die Ultra-vires-Kontrolle von Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen durch das Bundesverfassungsgericht nur europarechtsfreundlich ausgeübt werden. Sie kommt deshalb nur in Betracht, wenn ein Kompetenzverstoß der europäischen Organe und Einrichtungen hinreichend qualifiziert ist. Dies setzt voraus, dass das Handeln der Unionsgewalt offensichtlich kompetenzwidrig ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten der Mitgliedstaaten führt.

Bei der Kontrolle von Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen hat das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich als verbindliche Auslegung des Unionsrechts zu beachten. Soweit der Europäische Gerichtshof die aufgeworfenen Fragen noch nicht geklärt hat, ist ihm deshalb vor der Annahme eines Ultra-vires-Akts die Gelegenheit zur Auslegung der Verträge sowie zur Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der fraglichen Handlungen zu geben.

Hieran gemessen hat das Bundesarbeitsgericht die Tragweite der Vertragsfreiheit der Beschwerdeführerin nicht verkannt. Der Europäische Gerichtshof hat seine Kompetenzen durch das in dem Mangold-Urteil gefundene Ergebnis jedenfalls nicht hinreichend qualifiziert verletzt.

Dies gilt insbesondere für die Herleitung eines allgemeinen Grundsatzes des Verbots der Altersdiskriminierung. Es kann dahinstehen, ob sich ein solcher Grundsatz aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten ableiten ließe. Denn auch eine unterstellte, rechtsmethodisch nicht mehr vertretbare Rechtsfortbildung des Europäischen Gerichtshofs würde erst dann eine hinreichend qualifizierte Verletzung seiner Kompetenzen darstellen, wenn sie auch praktisch kompetenzbegründend wirkte. Mit der Herleitung eines allgemeinen Grundsatzes des Verbots der Altersdiskriminierung wurde aber weder eine neue Kompetenz für die Europäische Union begründet noch eine bestehende Kompetenz ausgedehnt. Insoweit hatte bereits die Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG das Verbot der Altersdiskriminierung für arbeitsvertragliche Rechtsbeziehungen verbindlich gemacht und damit Auslegungsspielräume für den Europäischen Gerichtshof eröffnet.

2. Keine Verletzung der Vertragsfreiheit mangels Gewährung von Vertrauensschutz

Die Beschwerdeführerin ist auch nicht deswegen in ihrer Vertragsfreiheit verletzt, weil das angegriffene Urteil des Bundesarbeitsgerichts keinen Vertrauensschutz gewährt hat.

Das Vertrauen in den Fortbestand eines Gesetzes kann nicht nur durch die rückwirkende Feststellung seiner Nichtigkeit durch das Bundesverfassungsgericht, sondern auch durch die rückwirkende Feststellung seiner Nichtanwendbarkeit durch den Europäischen Gerichtshof berührt werden. Die Möglichkeiten mitgliedstaatlicher Gerichte zur Gewährung von Vertrauensschutz sind jedoch unionsrechtlich vorgeprägt und begrenzt. Vertrauensschutz kann von den mitgliedstaatlichen Gerichten demnach nicht dadurch gewährt werden, dass sie eine nationale Regelung, deren Unvereinbarkeit mit Unionsrecht festgestellt wurde, für die Zeit vor Erlass der Vorabentscheidung anwenden.

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs finden sich hingegen keine Anhaltspunkte dafür, dass es den mitgliedstaatlichen Gerichten verwehrt wäre, sekundären Vertrauensschutz durch Ersatz des Vertrauensschadens zu gewähren. Zur Sicherung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes ist deshalb zu erwägen, in Konstellationen der rückwirkenden Nichtanwendbarkeit eines Gesetzes infolge einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs innerstaatlich eine Entschädigung dafür zu gewähren, dass ein Betroffener auf die gesetzliche Regelung vertraut und in diesem Vertrauen Dispositionen getroffen hat.

Hieran gemessen hat das Bundesarbeitsgericht die Tragweite eines verfassungsrechtlich zu gewährenden Vertrauensschutzes nicht verkannt. Wegen des gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs durfte es sich außer Stande sehen, Vertrauensschutz dadurch zu gewähren dass es die zugunsten der Beschwerdeführerin ergangenen Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Ein ohne Verstoß gegen den Anwendungsvorrang möglicher Anspruch auf Entschädigung gegen die Bundesrepublik Deutschland für Vermögenseinbußen, die die Beschwerdeführerin durch die Entfristung des Arbeitsverhältnisses erlitten hat, war nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesarbeitsgericht.

3. Kein Entzug des gesetzlichen Richters

Die Beschwerdeführerin wurde schließlich nicht dadurch ihrem gesetzlichen Richter entzogen, dass das Bundesarbeitsgericht das Verfahren nicht an den Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat. Das Bundesarbeitsgericht nahm insoweit vertretbar an, nicht zur Vorlage verpflichtet zu sein.

Das Bundesverfassungsgericht bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Rechtsprechung, wonach der Willkürmaßstab, den es allgemein bei der Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen anlegt, auch für die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV gilt (vgl. BVerfGE 82, 159 <194>). Das Bundesverfassungsgericht ist unionsrechtlich nicht verpflichtet, die Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht voll zu kontrollieren und an der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auszurichten (anders BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 -, NJW 2010, S. 1268 <1269>).

Das Sondervotum des Richters Landau kann auf der Seite des BVerfG nachgelesen werden.

 

Quelle: BVerfG - Pressemitteilung vom 26.08.10