Arbeitsrecht -

Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG

Wann beginnt der Lauf der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG?

Die Vorschrift des § 15 Abs. 4 AGG lautet:

„Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.“

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Anwendungsbereich des § 15 Abs. 4 AGG

Bei der Vorschrift handelt es sich um eine materielle Ausschlussfrist. Der Anwendungsbereich ist auf Schadenersatz- und Entschädigungsansprüche gemäß § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG beschränkt. Nur diese Ansprüche sind vom benachteiligten Beschäftigten gemäß § 15 Abs. 4 AGG innerhalb von zwei Monaten gegenüber dem Arbeitgeber schriftlich geltend zu machen. Die verspätete Geltendmachung hat den Untergang der Ansprüche zur Folge.

Sind Vereinbarungen oder Maßnahmen des Arbeitgebers unwirksam und erfolgt deshalb eine „Anpassung nach oben“ (vgl. z.B. LAG Hessen, Urt. vom 22.04.2009 – 2 Sa 1689/08 = DRsp. Nr. 2009/15450 zur Unwirksamkeit von Lebensaltersstufen in Tarifverträgen), unterliegen diese Ansprüche nicht der gesetzlichen Ausschlussfrist. Hier können ausschließlich vertragliche oder tarifliche Ausschlussfristen einschlägig sein.

Beginn der Ausschlussfrist

Der Lauf der Ausschlussfrist wird im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung ausgelöst. Will sich der Arbeitgeber auf eine verfristete Geltendmachung etwaiger Ansprüche berufen, ist er insoweit beweisbelastet. Er muss also im Falle eines Streits den Zeitpunkt des Zugangs der Ablehnung beweisen. Auch wenn für die Ablehnung eine bestimmte Form nicht vorgesehen ist, empfiehlt sich die schriftliche Ablehnung. Wird sie mündlich mitgeteilt, ist zumindest eine exakte Protokollierung in einer Aktennotiz festzuhalten.

Musterformulierung:

„Die Bewerbung von Herrn/Frau [NAME] vom [Datum] auf die ausgeschriebene Stelle eines [Stellenbezeichnung] wurde nicht berücksichtigt. Ich habe heute, am [Datum] – [Uhrzeit], Herrn/Frau [NAME] die Ablehnung mit folgenden Worten mitgeteilt:
‚Vielen Dank für Ihre Bewerbung vom [Datum] auf unsere Stelle als [Stellenbezeichnung]. Leider konnten wir Sie nicht berücksichtigen.’

Ort, Datum, Unterschrift“

In allen anderen Fällen beginnt der Lauf der Frist zu dem Zeitpunkt, in dem der Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Dieser Zeitpunkt lässt sich häufig präzise ermitteln, wie z.B. im Fall eines tätlichen sexuellen Übergriffs. In anderen Fällen bereitet die Feststellung des Zeitpunkts des Fristbeginns Schwierigkeiten, so bei der Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG, der mittelbaren Benachteiligung und der drohenden Benachteiligung.

Belästigung gem. § 3 Abs. 3 AGG

Nach Auffassung des BAG ist die Schaffung eines feindlichen Umfelds Tatbestandsmerkmal der Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG (BAG, Urt. v. 24.09.2009 - 8 AZR 705/08). Ein einmaliger Vorfall kann aus diesem Grunde keine Belästigung sein. Gleichzeitig stellt das BAG in demselben Urteil für den Beginn des Laufs der Ausschlussfrist nach § 3 Abs. 3 AGG auf den Zeitpunkt der ersten Belästigungshandlung ab.


Der Fall:

Vier türkischstämmige Beschäftigte werden im Lager des Arbeitgebers R beschäftigt. Auf der Herrentoilette hatten Unbekannte ein Hakenkreuz und die Parolen: „Scheiß Ausländer, ihr Hurensöhne, Ausländer raus, ihr Kanaken, Ausländer sind Inländer geworden“ angebracht. Nach der vom Arbeitgeber bestrittenen Behauptung wies ein Mitarbeiter den Niederlassungsleiter des R bereits im September 2006 auf diese Schmierereien hin, worauf dieser nichts veranlasste und sich lediglich dahingehend äußerte, „dass die Leute eben so denken würden“. Spätestens aber im März 2007 erfuhr R von den Beschriftungen. Er ließ diese Anfang April 2007 beseitigen.

Mit Schreiben vom 11.04.2007 haben die Kläger von R eine Entschädigung wegen einer Belästigung i.S.v. § 3 Abs. 3 AGG verlangt.

Die Schmierereien stellen eine unzulässige Belästigung der Kläger wegen deren ethnischer Herkunft dar. Diese sind dem R nicht zuzurechnen, weil sie von Unbekannten stammen.

Demgegenüber wird dem R die Kenntnis von der Belästigung vermittelt durch seinen Niederlassungsleiter zugerechnet. Dessen Reaktion auf die Information über die Belästigung und seine Untätigkeit werden dem R ebenfalls zugerechnet.

Auffassung des BAG

Nach Auffassung des BAG (Urt. v. 24.09.2009 - 8 AZR 705/08) begann die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG im vorstehenden Fall spätestens ab dem Zeitpunkt der von den belästigten Beschäftigten behaupteten Unterrichtung des Niederlassungsleiters über die ausländerfeindlichen Parolen auf den Mitarbeitertoiletten im September 2006 zu laufen. Ein feindliches Umfeld i.S.d.. § 3 Abs. 3 AGG wird aber durch die schlichte Unterrichtung des Niederlassungsleiters über diese Beschriftungen und dessen spontane Reaktion darauf nicht geschaffen.

Kritik an der Rechtsauffassung des BAG

Die Rechtsauffassung des BAG ist deshalb fehlerhaft. Zum Zeitpunkt der erstmaligen, dem Arbeitgeber nicht zurechenbaren Belästigungshandlung existierte noch kein feindliches Umfeld. War also der Tatbestand einer Belästigung noch nicht erfüllt, kann ein Beschäftigter auch keine Kenntnis davon haben. Ein dem Arbeitgeber zuzurechnendes Verhalten lag in dem behaupteten Verhalten des Niederlassungsleiters, nämlich seinen Bemerkungen und dem Unterlassen der Entfernung der Schmierereien. Das Unterlassen der Entfernung der Schmierereien ist aber ein Dauertatbestand, der erst bei Überschreiten einer gewissen Intensitätsschwelle als Schaffung eines feindlichen Umfelds zu betrachten ist.

Es hätte deshalb der — schwierigen — Feststellung bedurft, wann die Gesamtumstände im entschiedenen Einzelfall dazu geführt haben, dass ein solches feindliches Umfeld i.S.d. § 3 Abs. 3 AGG geschaffen wurde. Frühestens vom Zeitpunkt der Kenntnis der tatsächlichen Umstände an, die das feindliche Umfeld ausmachen, kann die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG zu laufen beginnen. M.E. besteht die Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG auch solange fort, bis der R ein angemessenes, belästigungsarmes Arbeitsumfeld geschaffen hat. Es handelt sich um einen Dauertatbestand.

Genau diesen Aspekt verkennt das BAG. Im Falle eines Dauertatbestands beginnt die Ausschlussfrist erst mit dessen Beendigung zu laufen. Unterstellt man im vorliegenden Fall den Vortrag der türkischstämmigen Beschäftigten als bewiesen, läuft die Ausschlussfrist also erst ab Beseitigung der Schmierereien Anfang April 2007 und damit des beeinträchtigenden Umfelds. Die Geltendmachung erfolgte also vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG.

Fristbeginn bei mittelbarer Benachteiligung

Zweifelhaft ist der Zeitpunkt des Fristbeginns auch in Fällen einer mittelbaren Benachteiligung. Dem Gesetz selbst lässt sich nicht entnehmen, ob zur Kenntnis der Benachteiligung in diesen Fällen auch die Kenntnis über das Ergebnis des vorzunehmenden Gruppenvergleichs zur Ermittlung der mittelbaren Benachteiligung zählt.

Nach den Gesetzesmaterialien ist Zweck der Ausschlussfrist angesichts der in § 22 AGG geregelten Beweislastverteilung, den Arbeitgeber hinsichtlich seiner Aufbewahrungs- und Dokumentationspflicht zu entlasten. Dieser soll erhebliche Unterlagen nicht bis zum Ablauf der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren aufbewahren müssen. Hinzu kommt, dass eine Benachteiligung bereits durch eine ungünstigere Behandlung realisiert wird.

Infolge dessen wird der Lauf der Ausschlussfrist auch in Fällen einer mittelbaren Benachteiligung bereits in Gang gesetzt, wenn der Arbeitgeber eine konkrete Maßnahme durchgeführt hat, die zu einer Benachteiligung führt.

Fristbeginn bei drohender Benachteiligung

Problematisch sind die Fälle der drohenden Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG. Hier hat sich die Benachteiligung noch nicht verwirklicht, tritt aber bei unveränderter Situation in der Zukunft ein. Die nur drohende Benachteiligung ist eine der gesetzlich definierten Formen der unmittelbaren Benachteiligung.

Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 4 AGG würde die Ausschlussfrist in einem solchen Fall bereits mit Kenntnis des potenziell Benachteiligten von dem Umstand der möglichen weniger günstigen Behandlung in Lauf gesetzt.

Beispiel:

Beim Arbeitgeber A besteht ein Lohn- und Gehaltssystem, das einen Lohn- und Gehaltsabschlag bei weiblichen Beschäftigten vorsieht, die älter als 45 Jahre alt sind. Dieses Lohn- und Gehaltssystem stellt offensichtlich eine Benachteiligung wegen des Alters dar.

Arbeitnehmerinnen, denen wegen Erreichung des 45. Lebensjahres ein geringeres Gehalt gezahlt wird, haben wegen der Unwirksamkeit der Vergütungsregeln einen Anspruch auf die höhere Vergütung. Daneben haben sie gemäß § 15 Abs. 2 AGG einen Anspruch auf Entschädigung.

Nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 AGG stellt diese Vergütungsregelung für weibliche Beschäftigte unter 45 Jahren eine Benachteiligung in der Form der drohenden Benachteiligung dar. Bei unverändertem Fortbestand der Vergütungsregelung würde z.B. eine 43 Jahre alte Beschäftigte mit Vollendung des 45. Lebensjahres Vergütungsabschläge erleiden. Beschäftigten, die jünger als 45 Jahre alt sind, droht also eine weniger günstige Behandlung wegen des Geschlechts bereits vom Zeitpunkt des Eintritts beim Arbeitgeber. Nach dem Konzept des BAG im Urteil vom 24.09.2009 - 8 AZR 705/08 beginnt folglich die Ausschlussfrist ebenfalls von der Kenntnis dieser Benachteiligung an, d.h. ab Kenntnis des diskriminierenden Lohn- und Gehaltssystems, zu laufen.

Die drohende Benachteiligung ist hingegen Dauertatbestand. M.E. setzt der Beginn des Laufs der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG bei Dauertatbeständen neben der Kenntnis von den tatsächlichen Umständen die Beendigung des benachteiligenden Tatbestands voraus. Dies ist im Fall der drohenden Benachteiligung die Änderung der potentiell benachteiligenden Vereinbarung oder Maßnahmen.

Quelle: Dr. Martin Kolmhuber, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht - Urteilsbesprechung vom 12.10.09