Arbeitsrecht -

Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln

Welche Wirkung hat eine dynamische Bezugnameklausel auf den jeweils einschlägigen Tarifvertrag?

Für die Beantwortung der Frage kommt es ganz entscheidend darauf an, zu welchem Zeitpunkt die dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart wurde.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Urteil vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04

Mit Urteil vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04 hat das BAG den Grundsatz aufgestellt, dass arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen, die bis zum 31.12.2001 abgeschlossen wurden ("Altverträge"), regelmäßig als „Gleichstellungsabrede“ ausgelegt werden sollen. Nach dieser Auslegung bezweckt die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifverträge zwischen Arbeitnehmer und einem tarifgebundenen Arbeitgeber regelmäßig nur die Gleichstellung nicht tarifgebundener mit tarifgebundenen Arbeitnehmern. Schon damals hat das BAG aber angekündigt, diese Auslegungsregel nicht auf nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01.01.2002 abgeschlossene Arbeitsverträge anzuwenden.

Urteil vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05

Dieser Grundsatz wurde im Urteil vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 für den Fall einer einzelvertraglich vereinbarten dynamischen Bezugnahme auf einen bestimmten Tarifvertrag bestätigt. Grundsätzlich handelt es sich nicht um eine Gleichstellungsabrede, sondern um eine "unbedingte zeitdynamische Verweisung“. Eine solche konstitutive Verweisungsklausel werde weder durch einen Verbandsaustritt des Arbeitgebers noch durch einen sonstigen Wegfall seiner Tarifgebundenheit berührt. Das BAG bestätigte die Vertrauensschutzrechtsprechung aus dem Urteil vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, nach der auch die streitentscheidende Klausel wie eine "Gleichstellungsabrede" auszulegen ist, sofern sie vor dem 01.01.2002 vereinbart wurde.

Urteil vom 22.10.2008 – 4 AZR 793/07 - Lesen Sie dazu die Pressemitteilung des BAG vom 22.10.2008

Eine erneute Bestätigung hat der Grundsatz durch das jüngste Urteil des BAG vom 22.10.2008 – 4 AZR 793/07 erfahren: Wird in einem nach dem 01.01.2002 geschlossenen Arbeitsvertrag auf das einschlägige Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung verwiesen, ist der Arbeitgeber auch nach dem Austritt aus dem tarifschließenden Verband verpflichtet, die nach dem Ende der Verbandsmitgliedschaft abgeschlossenen Tarifverträge anzuwenden. Im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber versucht, über den Wechsel in eine sog. OT-Mitgliedschaft die zukünftigen Tarifentwicklung zu verhindern.

Damit bleibt zu konstatieren, dass es besonderer Vereinbarungen oder Umstände beim Vertragsabschluss bedarf, um eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel, die nach dem 31.12.2001 vereinbart wurde, als Gleichstellungsabrede auszulegen. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass „Altverträge“ nach dem 31.12.2001 geändert wurden. Finden in der Vergangenheit gängige Bezugnahmeklauseln auch nach dem 31.12.2001 noch Verwendung, werden diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht als Gleichstellungsabrede ausgelegt. Regelmäßig bleibt es vielmehr auch bei Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers bei der nach dem Wortlaut der Bezugnahmeklausel vereinbarten Dynamik der Arbeitsbedingungen.

Für jeden Arbeitgeber, aber auch jeden arbeitsrechtlichen Berater bergen arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln ein erhebliches Risiko. Die vorstehend skizzierten Entscheidungen stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus der umfänglichen Kasuistik des BAG zu Bezugnahmeklauseln dar. Gleichwohl geben sie klare Hinweise über risikoanfällige Situationen. In allen Fällen sind bestehende Verträge nach dem 31.12.2001 geändert oder angepasst worden. Dabei sind die aus der Zeit vor dem 01.01.2002 stammenden Bezugnahmeklauseln unverändert übernommen worden. Damit verlor der jeweilige Arbeitgeber den vom BAG gewährten Vertrauensschutz. Eine fortbestehende Tarifbindung beeinflusst zum einen die laufenden Personalkosten, zum anderen bestehen erhebliche Haftungsrisiken, wenn in der Vergangenheit zu unrecht von einem Wegfall der Tarifbindung ausgegangen wurde.

Praxishinweis

Für den Arbeitgeber und seinen Berater ergeben sich daraus folgende Schlussfolgerungen:

  • Für die Zukunft ist bei jeder Vertragsänderung von „Altverträgen“ unbedingt auf eine gleichzeitige Änderung etwaiger Bezugnahmeklauseln hinzuwirken.

  • Bei jedem Betriebsübergang oder Unternehmenskauf hat das besondere Augenmerk des Beraters des Erwerbers im Rahmen einer due diligence etwaigen Änderungsvereinbarungen von (Alt-)Arbeitsverträgen nach dem 31.12.2001 zu gelten.

  • Bei Neuverträgen sollte entweder auf die Bezugnahmeklausel verzichtet werden oder aber eine Klausel Verwendung finden, die den Anforderungen des BAG an eine „Gleichstellungsklausel“ oder eine „Tarifwechselklausel“ genügt.

Jedem Arbeitnehmeranwalt ist zu raten, im Rahmen der Erbringung von Beratungsleistungen einen Blick auf etwaige Bezugnahmeklauseln im Arbeitsvertrag zu werfen und diese auf ihre Relevanz für Ansprüche des Mandanten zu prüfen.

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Martin Kolmhuber - vom 06.11.08